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CD FERRUCCIO BUSONI: Konzert für Klavier und Orchester in C-Dur mit Männerchor op. 39, SWR-Klassik

04.03.2024 | Allgemein, cd

CD FERRUCCIO BUSONI: Konzert für Klavier und Orchester in C-Dur mit Männerchor op. 39, SWR-Klassik

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Die drei Gebäude sind der 1., 3. und 5. Satz, dazwischen die beiden ,lebendigen‘: Scherzo und die Tarantelle; das erste als Naturspiel einer Wunderblume und eines Wundervogels – das zweite durch Vesuv, Cypressen dargestellt. – Über dem Eingang geht die Sonne auf; an der Türe des Schlussgebäudes klebt ein Siegel; das geflügelte Wesen am Ende ist die Naturmystik von Oehlenschlaegers Chor.“ (Busoni an seine Frau, Juli 1902).

Von einer kritischeren Lebenswarte aus betrachtet, könnte man Busonis Klavierkonzert so wahrnehmen, als hätten sich ein besoffener Berlioz und ein neben der Spur dirilierender Liszt, assistiert von Max Reger, einen grandiosen Jux erlaubt. Mit über 72 Minuten Spielzeit in fünf dramaturgisch kaum verbundenen Sätzen mit unsichtbarem sechsstimmigem Männerchor handelt es sich formal weniger um ein Konzert als um eine große Symphonie mit einem die Themen verzierenden und ausschmückenden Klavierpart.

Jetzt ist das Konzert, das von zeitgenössischen Kritikern als „Höllenspektakel“ (Adolph Weißmann) und „Flut von Kakophonie“ (Tägliche Rundschau) bezeichnet wurde, wieder en vogue: In Berlin wurde es 2022 von Igor Levit und Antonio Pappano aufgeführt, kürzlich wieder in der Berliner Philharmonie mit dem DSO unter Robin Ticciati mit Benjamin Grosvenor als Solisten bejubelt. Ein Vorgriff auf den 100. Todestag des in Berlin Schöneberg begrabenen Komponisten am 27.7.2024?

Die Aufnahme mit dem furchtlosen, technisch großartigen wie pedalverliebten David Lively als Solisten, im Februar 1990 im Südwestfunk Baden-Baden entstanden, war 1990 erstmals beim deutschen Label Schwann Koch herausgekommen. Das SWF Sinfonieorchester Baden-Baden und der Herrenchor des Freiburger Vokalensembles unterstanden der musikalischen Leitung von Michael Gielen. Die zündende Studioeinspielung wird jetzt im Eigenverlag des Orchesters wieder zugänglich gemacht. Im Rahmen der 90 CD-Edition, die der SWR mit Aufnahmen unter der musikalischen Leitung von Michael Gielen publiziert hat, befanden sich von Busoni lediglich die „Berceuse elégiaque“, Op. 42a, die „Nocturne symphonique“, Op. 43 und „Sarabande et Cortège“. Ergo handelt es sich eine wertvolle Ergänzung der Michael Gielen und Busoni Diskografie zugleich.

Das hypertrophe wie megalomane Stück mit einem aberwitzig schwierigen Klavierpart ist hochinteressant, gerade weil Busoni alle Strömungen seiner Zeit unter einen Hut bringen und dieselben fortentwickeln wollte. Der virtuose Pianist und Komponist hat sich damit jedoch eine titanische, unerfüllbare Aufgabe gestellt. Neoromantisch donnern und krachen die Akkorde im „Prologo e Introito“, dass sie selbst den wuchtigen Anfang von Tchaikovskys ersten Klavierkonzert als bescheiden wirken lassen. Der Italiener mit Affinität zur deutschen Musik und verschlungener Kontrapunktik lässt sich nicht lange verleugnen. Spätestens im zweiten Satz, wo Busoni Liszts „Dante-Sonate“ und das virtuos verspielte „Venezia e Napoli“ zitiert, wird die Richtung gen Süden eingeschlagen. So richtig los galoppieren die Pferde im vierten Satz, einer Tarantella unter pianistischem Starkstrom als glühende Hommage an Bella Italia. Damit nicht genug, gibt es ein Chor-Finale auf Verse aus dem dramatischen Gedicht „Aladdin oder die Wunderlampe“ von Adam Gottlob Oehlenschläger, mit einem Text, der an Schwülstigkeit nicht zu überbieten ist.

Ein Meister des Kontrapunkts und Arrangeur vieler Stücke für Klavier, hob Busoni sein Klavierkonzert am 10. November 1904 im Beethoven-Saal in Berlin mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Karl Muck als Solist selbst aus der Taufe. Einen kleinen Lösungsversuch zum Verständnis bietet Busoni selbst, als er später einmal sagte,

Das frühreife und frühzeitig von ehrgeizigen Eltern vermarktete Kind – der Vater Klarinettist, die Mama Pianistin – erwartete ein reiches Leben mit Ausbildungs-, Lehr- und Lebensstationen in Wien, Leipzig, Helsinki, Moskau, Boston und Berlin. Jedoch sorgten übermäßiger Abusus von Alkohol und Nikotin des exzessiven Künstlers dafür, dass der belesene und hochgebildete Italiener in Berlin, von der Inflation seiner Geldmittel beraubt, als 58-jährifger starb.

Das was Pfitzner über Busoni schrieb, dass er „eine musikalische Komposition in ihrer Gesamtheit begreife und jedes Teilchen seinen passenden Platz im Rahmen des Tonbildes erhält“, kann man getrost auch auf Michael Gielens überlegte, formal ausgetüftelte und aus ihrer inneren Kraft zupackende Interpretation ummünzen. Die Aufnahme ist auf jeden Fall hörenswert und regt zu Diskussion und Reflexion an, nicht zuletzt, warum das monumentale Werk gerade jetzt wieder verstärkt auf den Spielplänen steht. Vielleicht trifft ja zu, was den rumänische Pianist Victor Nicoara, der am 30.06.2024 in der Königin-Luise-Kirche, Berlin Waidmannslust ein Gedenk-Konzert bei freiem Eintritt spielen wird, für Busoni einnahm:

„Er war vor allem ein genialer Komponist, der historische Musiktraditionen mit Experimenten des frühen 20. Jahrhunderts zu verschmelzen wusste, ohne sich je einer der bekannten Formen unterworfen zu haben.“

Mein Tipp: Entscheiden Sie selbst, ob Busoni genauso auf Sie wirkt. Das vorliegende Album bietet dazu die beste Gelegenheit!


Dr. Ingobert Waltenberger

 

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