CD
WEICH KÜSST DIE ZWEIGE DER WEISSE MOND
ERICH ZEISL: LIEDER
Ulf Bästlein, Bariton
Charles Spencer, Klavier
Naxos, 2022
Gleich das erste Werk lässt aufhorchen – verwirrt. Denn „Swing low, sweet chariot“ kennt man als amerikanisches Spiritual und würde es nicht mit dem österreichischen Komponisten Erich Zeisl in Verbindung bringen – falls man diesen überhaupt kennt. Doch offenbar hat dieser Wiener Komponist im amerikanischen Exil mehrere Werke dieses Genres bearbeitet, weshalb sie sich auch auf der CD finden, die der deutsche, an der Kunstuniversität Graz als Hochschullehrer tätige Bariton Ulf Bästlein unter dem Titel „Weich küsst die Zweige der weiße Mond“ mit Zeisl-Liedern aufgenommen hat.
Die Wiederentdeckung jener, die zu Unrecht vergessen sind, denen der historische Bruch, der durch das 20. Jahrhundert ging, Anerkennung und Nachruhm verweigert hat, schreitet fort. Diesmal wird auf die Lieder von Erich Zeisl aufmerksam gemacht, nachdem in den letzten Jahren, erst in Linz, dann in Hamburg, erfolgreich versucht wurde, dessen einzig bekannte Oper „Leonce und Lena“ zu beleben.
Zeisl, geboren 18. Mai 1905 in Wien, stammte aus wohlhabender jüdischer Mittelschicht, entschied sich allerdings nicht für den väterlichen Kaffeehausbetrieb, sondern für die Musik und studierte an der Musikakademie. Schon in frühen Jahren begann er zu komponieren und nahm im Wien der späten Zwanziger, Dreißiger Jahre einen Platz unter den „gemäßigten Modernen“ ein, den er gewissermaßen nie verlassen hat – immer wieder wird er als „Spätromantiker“ charakterisiert, was auch aus seinen Liedern heraus zu hören ist.
Zeisl, der ein umfangreiches Werk schuf, schrieb vorwiegend Kammermusik, und ein ganzes Jahr seines Lebens, 1931, widmete er Liedern. Sie stellen den Schwerpunkt seines Schaffens dar, es ist von Hunderten die Rede, die er im Anschluß an die Wiener Tradition von Schubert bis Wolf geschaffen hat. 23 versammeln sich auf der CD, ergänzt von fünf bearbeiteten „amerikanischen“ Songs.
Zeisl hatte nach der Emigration in Hollywood wenig Glück, er konnte nicht so gefällig schreiben wie Korngold, konnte sich dem amerikanischen Geschmack nicht anpassen, wie es Weill ja doch gelang. Zeisl wandte sich der Komposition von jüdischer Musik zu. Sein Leben bis zu seinem Tod am 18. Februar 1959 in Los Angeles hat er vordringlich als Lehrer verbracht. Zu der durchaus ersehnten Rückkehr nach Wien ist es nicht gekommen. Durch die Heirat seiner Tochter Barbara mit dem Sohn von Arnold Schönberg ist er Großvater jenes Anwalts Eric Randol Schoenberg, der das Bildnis der „Goldenen Adele“ von Gustav Klimt aus Wien in die USA, zu den Erben zurück gebracht hat.
Die ausgewählten Lieder der CD bestechen durch Vielfalt, schon allein der Textvorlagen. Da finden sich Klassiker wie Goethe („Wanderers Nachtlied“). Joseph von Eichendorff und Eduard Mörike und sogar Friedrich Nietzsche („Flamme bin ich sicherlich“). Aber dass Zeisl humoristisch auch andere Wege ging, davon zeugt nicht nur Ringelnatz („Der Briefmark“), sondern vor allem Lessings Grabschrift für einen Affen… welch eine Spannweite. Bemerkenswert, was ihn alles zur Vertonung gereizt hat.
Diese Texte geben ein breites Spektrum zwischen traditioneller Elegie, aber auch dem Aufbegehren der Arbeiter (in Texten von lfons Petzold), zwischen Humor und geradezu pastoser Hymnen-Lyrik, zwischen Leid und Schrei hier, souveräner Ironie dort, Natur- und Liebeslyrik, Einsamkeit und Abschiedsschmerz – und für all das hat Zeisl jeweils eine eigene, der Vorlage gemäße Musiksprache gefunden. Das ergibt ein reichhaltiges Repertoire zwischen Verhaltenheit, Pointiertheit und sogar Hochdramatik, wobei die Tonalität nie verlassen wird.
Das fordert dem Interpreten viel ab, und Ulf Bästlein lässt seinen angenehmen Bariton ebenso überzeugend zurückhaltend strömen, wie er ihn hochpeitscht wo nötig, kurz, alle vorgegebenen Nuancen bedient. Dabei ist die Textverständlichkeit immer außerordentlich gegeben, eine Voraussetzung dafür, um die Kombination von Inhalt und musikalischer Umsetzung zu würdigen.
Am Klavier wird der Sänger von Charles Spencer begleitet, der bekannt dafür ist, dass viele große Interpreten (voran natürlich Christa Ludwig) ihn geschätzt haben. Hörbar zurecht.
Fazit: Die Zeisl-Lieder präsentieren sich hier so vielfältig und effektvoll, dass man sich nicht wundern würde, wenn andere Sänger diese Stücke auch für sich entdeckten und sie öfter in den Konzertsälen auftauchten.
Renate Wagner