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CD „DER FERNE KLANG“ – Orchesterwerke und Lieder von FRANZ SCHREKER; Deutsche Grammophon

03.05.2023 | Allgemein, cd

CD „DER FERNE KLANG“ – Orchesterwerke und Lieder von FRANZ SCHREKER; Deutsche Grammophon

Klangpatissier mit Überraschungen

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Christoph Eschenbach hat sich als Chef des Konzerthausorchesters Berlin daran gemacht, auf zwei CDs einen Querschnitt durch Schrekers Schaffen zu präsentieren. Seine Bewunderung für Schrekers Vermögen, Orchesterfarben zu gestalten, war ein wesentliches Initialmoment der 2021 und 2022 entstandenen Aufnahmen.

Ich kannte bislang live von Schreker nur zwei Opern „Der ferne Klang“, einer Produktion der Wiener Staatsoper mit Catherine Malfitano und Thomas Moser aus dem Jahr 1991 sowie „Die Gezeichneten“, die im Theater an der Wien als Festwochengastspiel 1989 gezeigt wurden. Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen, weil ich fand, dass die beim ersten Hinhören so rauschhaft klangsüffige Musik mit ihren sich unendlich kräuselnden Harmonien, die von nirgendwoher zu kommen scheinen und im Nichts enden, sich um sich selbst dreht und die sinnenkitzelnden Klänge nicht vom Fleck kommen.

Der Eindruck bestätigt sich abgeschwächt bei der Wiederbegegnung mit dem Orchesterzwischenspiel „Nachtmusik“, der sicherlich charmanten „Valse lente“ als auch der fünfsätzigen Kammersymphonie. Schreker weiß sicherlich mit den Orchesterfarben zu jonglieren wie ein akrobatischer Zirkuskünstler, seine bevorzugten musikalischen Zuckerstreusel aus Harfe, Glockenspiel, Triangel und Xylophon bestehend, variieren hier wenig. Die Musik ergießt sich in gaumensüße Stimmungen und atmosphärische Daunen, Filmmusiken nicht unähnlich.   

Einen gänzlich anderen Schreker lernen wir mit den beiden lyrischen Gesängen „Wurzeln und Halme sind dies nur“ und „Ein Kind sagte: Was ist das Gras?“ nach Texten von Walt Whitman und besonders in den Fünf Gesängen für tiefe Stimme nach Gedichten der symbolistischen Dichterin Edith Ronsperger (das erste Lied „Arabische Nächte“ stammt aus den „Erzählungen aus tausendundeiner Nacht“) kennen. Hier überrascht Schreker die spätromantische Liedtradition weiterführend mit meisterlichen Güssen der Amalgamierung von Text und Klang in französisch impressionistischer Manier. Von der Art der Stimm- und Orchesterführung fühlen wir uns an Debussys „Pélleas et Mélisande“ erinnert.  

Zur Faszination dieser Orchesterlieder tragen wesentlich die beiden Solisten Chen Reiss und Matthias Goerne bei. Beide gestalten die vokalen Linien auf Basis einer hundertprozentigen Textverständlichkeit ganz aus dem poetisch-lyrischen Gehalt der Dichtungen heraus. Im fünfteiligen Zyklus vermag es Goerne in reifer Meisterschaft, die disparaten Seelenbilder der Sehnsucht, der hoffnungslos verlorenen Liebe, der schwarzen Mauer des Schweigens, der zerbrochenen Herzen, der Einsamkeit, der verklärten Erinnerung sowie des erlösenden Freitods („Ich schlaf‘ so tief, ein Strauß in meinen Händen und an der Stirn die kleinen rote Wunde.“) expressiv und tief berührend plastisch Gestalt annehmen zu lassen.

Wie groß die Bandbreite dieses böhmisch-altsteirischen Komponisten wirklich war, lässt sich anhand der großartigen „Kleinen Suite“ für Kammerorchester aus dem Jahr 1928 ermessen. Dieses – mein persönlicher Liebling des Albums – absolut hörenswerte neoklassizistische Werk weckt im kontrapunktischen ‚Fughette‘ Assoziationen an den expressiven Klangwitz des Igor Stravinsky und scheut sich im avantgardistischen Intermezzo als auch im abschließenden Capriccio nicht davor, exzentrisch groteske Grimassen zu schneiden.

Mit der prächtigen „Romantischen Suite“ Op.14 schließt ein verdienstvolles Doppelalbum, das Gelegenheit gibt, den häufig auf sein Opernschaffen reduzierten Schreker von anderen Seiten her kennenzulernen und neu zu erleben.

Christoph Eschenbach ist mit seinem persönlichen Engagement ein überzeugender Anwalt von Schrekers vielfältigem Schaffen. Er lässt das Konzerthausorchester Berlin in irisierend kaleidoskopischer Schönheit baden wie in expressiver Wucht tuschen.

Orchesterkultur und Klangqualität sind vom Feinsten.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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