CD „COMPLICES“ – JEAN-GUIHEM QUEYRAS, ALEXANDER THARAUD; harmonia mundi
Eine „Encore CD“ ist immer eine heikle Sache, obwohl es natürlich gerade für Klavier, Cello oder Violine solo bzw. die Paarung Klavier-Cello große Vorbilder gibt. Auch wenn es für Puristen schrecklich scheinen mag, Kreisler, Heifetz, Casals und Piatigorsky taten es. Sie eigneten sich nämlich in eigenen und teils eigenwilligen Bearbeitungen kurze, melodiös eingängliche und virtuos nach Applaus schreiende Repertoirereißer an, um sie als Zugaben zu ihren großen Konzerten einem aufgeheizten Publikum als musikalische Pralinen servieren zu können. Nach dem Motto: Wer schätzt nicht einen kleinen bekömmlichen Digestiv nach schwerer Kost?
In einem Interview bekräftigen die beiden Künstler den programmatischen Freiraum und die geringere Distanz zum Publikum nach einem offiziellen Konzertprogramm, die es erlauben, im Zugabenteil je nach Stimmung, Lust und Laune zu improvisieren oder eben vollkommen Grenzen überschreitende stimulierende Bearbeitungen zu spielen. Das Album stellt aus ihrer Sicht eine Art musikalische Novellensammlung dar. Da spielen Kontraste, Tonalitäten, Atmosphäre, ein alles verbindender subkutaner bunter Faden die entscheidende Rolle.
Das aufeinander eingespielte Duo Jean-Guihen Queyras (Cello) und Alexandre Tharaud (Klavier) nennt sein neues Album „Complices“, was auf deutsch in diesem Kontext mit sich sehr gut verstehende und blind einander vertrauende Freunde übersetzt werden mag. Die beiden sind ein ideales Gespann, wie leicht an ihren bereits vier erschienenen gemeinsamen Alben (u.a. mit Werken von Debussy, Poulenc und Schubert) nachvollzogen werden kann.
Neben salongeeichten Gassenhauern wie Fritz Kreislers „Liebesleid“ und Liebesfreud“ oder Brahms „Ungarischem Tanz“ Nr. 2 und der „Valse sentimentale“ von Tchaikovsky sind durchaus weniger süffige Nummern wie die „Kurze Studie Nr. 4“ von Bernd Alois Zimmermann oder die „Erste Strophe sur le nom de Sacher“ von Henri Dutilleux (beide Cello solo) zu hören. Gerahmt wird das Programm von zwei großartigen Gustostückerln von Joseph Haydn, dem Divertimento in D (ursprünglich für Baryton Trio komponiert, von Gregor Piatigorsky für Cello und Klavier arrangiert) und dem Adagio aus der Symphonie Nr. 13 in D-Dur (mit La Diane Francaise und Stéphanie-Marie Degand).
Dazu überrascht das Duo mit Seltenem, wie der „Valse triste“ von Franz von Vecsey, der „Serenade“, „Mazurka“ und dem fein um die Ohren surrenden „Elfentanz“ von David Popper oder den „Improvisition on Bach“ des 1974 geborenen französischen Jazzmusikers und Musikwissenschaftlers Raphaël Imbert (mit Imbert am Tenorsaxophon). Französisches rundet das temperamentvoll musizierte Zugaben-Album ab: „Papillon“ von Gabriel Fauré, „Le Cygne“ von Camille Saint-Saens und „Les Chemins de l‘amour“ von Francis Poulenc.
Was das Album neben der Programmauswahl in erster Linie von gediegener Barmusik unterscheidet, ist das olympische Spiel des Cellisten Jean-Guihen Queyras. Gänzlich uneitel und nie sich in gefühligem Kitsch anbiedernd sucht dieser Musiker in den Noten nach Sinn und Tiefe. Eine gewisse Klangverliebtheit steht immer im Dienste von Faktur und Form, von Ausdruck und vitaler Lebensfreude. Alexander Tharaud stellt nach zwei Jahrzehnten gemeinsamen Musizierens in Phrasierung und Farbenspiel einen echten Komplizenkumpel dar, der wie Queyras die totale Osmose mit dem Publikum sucht und findet. Seelenfutter!
Dr. Ingobert Waltenberger