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CD „CHIAROSCURO“ – ROMAN BORISOV spielt Musik von Leopold Godowsky, César Franck und Sergej Rachmaninov; Alpha

11.03.2025 | Allgemein, cd

CD „CHIAROSCURO“ – ROMAN BORISOV spielt Musik von Leopold Godowsky, César Franck und Sergej Rachmaninov; Alpha

Vielversprechendes Solo-Album Debüt

bori

In den letzten Jahren ist zu beobachten, dass vor allem solche Aufnahmen florieren, die sich mit relativ wenig technischem Aufwand und daher kostenschonend realisieren lassen. Während Studioproduktionen von Opern und aufwändigen Chor- Orchesterwerken vergleichsweise rar sind, gibt es eine unüberschaubare Fülle an Neuerscheinungen von Klavier-Solo-Alben und Kammermusik. Dass es da nicht einfach ist, die raren „Perlen“ aus dem Meer an Tonkonserven herauszufischen, die durch technische Überlegenheit, programmatische Originalität und individuellen Ausdruck hervorstechen und daher wirklich einer näheren Beschäftigung wert sind, versteht sich von selbst.

Eines dieser unser aller Interesse verdienendes Debüt-Alben gilt dem jungen russischen Pianisten Roman Borisov.  Die Studien am staatlichen Konservatorium in Nowosibirsk bei Meri Lebenson und ab 2022 bei Eldar Nebolsin an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin sind offenbar auf fruchtbaren Boden gefallen. Für sein erstes Album für das Label Alpha hat sich Roman Borisov folgendes ausgedacht:

„Mit diesem Album möchte ich verschiedene Möglichkeiten aufzeigen, wie man sich von früheren Stilen inspirieren lassen kann. Dazu gehören freie Bearbeitungen von Werken anderer Komponisten, Verweise auf Gattungen, die in früheren Epochen eine größere Rolle spielten, im 19. und 20. Jahrhundert jedoch in den Hintergrund traten, sowie Variationen über das Folia-Thema – ein historischer Tanz, der erstmals im späten 15. Jahrhundert erwähnt wurde.“

Unter dem Titel „Renaissance“ hat Leopold Godowsky Musikstücke alter Meister frei arrangiert. Borisov hat daraus eine Sarabande und ein Menuet nach Jean-Philippe Rameau (aus dem troisième livre de pièces de clavecin), ein Pastorale (Angelus) nach Arcangelo Corelli (Concerto grosso Op. 6, Nr. 8), eine Courante nach John Loeillet, lange Zeit Lully zugeschrieben (Lessons for the Harpsichord or Spinet) sowie ein Concert-Allegro nach Domenico Scarlatti (Sonate K113) gewählt.

Der in Žasliai bei Vilnius in Litauen geborene polnisch amerikanische Komponist und Pianist Leopold Godowsky war eine interessante Erscheinung in der Musikwelt des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Als erst Siebenjähriger soll das Wunderkind schon Mendelssohns Violinkonzert Op. 64 gespielt haben. Mit ca. 14 Jahren studierte Godowsky Klavier an der Akademischen Hochschule für Musik in Berlin, bevor er auf eine US-Tournee aufbrach. Für Weimar und Liszt war es zu spät, dafür übernahm Saint-Saëns ca. drei Jahre hindurch die weitere pianistische und kompositorische Ausbildung Godowskys in Paris. Lange hielt es ihn nirgendwo. Bald leitete er die Klavierabteilung am Conservatory College in Chicago, bald war es wieder Europa, das ihn in seinen Bann zog. 1900 zog er als Privatlehrer nach Berlin, 1909 kam er als Nachfolger Ferruccio Busonis und Emil Sauers als Direktor der Klavierabteilung der k.k. Akademie für Musik und darstellende Kunst nach Wien. 1906 und 1909 hatte „Mr. God“ seine 16 freien Bearbeitungen von Werken alter Meister veröffentlicht. Sein Wirken als Komponist konzentrierte sich fast ausschließlich auf Werke für Klavier.

Bei Godowsky wie in der Interpretation der so duftig perlenden Prélude, Choral und Fuge in h-Moll FWV 21, des César Franck begeistert Roman Borisov, aufbauend auf einer stets klar strukturierten Klangarchitektur, mit unzähligen Anschlagsvarianten, zauberischen Rubati, einer poetisch verinnerlichten Sanglichkeit, zudem mit einem rhythmisch pointiert artikulierten Zugriff. Bei Francks tryptichonartiger Komposition aus dem Jahr 1884 finden sich Querverweise auf Johann Sebastian Bach, dessen 200. Geburtstag im März 1885 bevorstand.

Borisov weiß intuitiv mit Humor und Schalk umzugehen (Menuet), eine achtsam wohldosierte Portion Zuckerstreusel auf diese barocken Tänze rieseln zu lassen bzw. das Concert-Allegro flott-kontrapunktisch zu dynamisieren. Seine Tempi wählt er mit Bedacht. Bei Francks Fugue.Tempo I kommt Borisovs russische Schule mit ihrer atemberaubenden Virtuosität und einem Quäntchen Pathos zum Vorschein. Welch expressiver Parforceritt.

Das Glanzstück des Albums bilden die 20 Variationen auf ein Thema von Corelli, Op. 42 samt einleitendem Thema und finaler Coda von Sergej Rachmaninov. 1931 als letztes Originalwerk für Klavier entstanden, sind diese Variationen der Stoff, aus dem pianistische Träume Gestalt annehmen. 

Das Thema „La Folia“, das in Wirklichkeit nicht von Arcangelo Corelli komponiert wurde, sondern von ihm 1700 als Basis für 23 Variationen in der Sonate für Violine und Continuo in d-Moll, op. 5, Nr. 12 verwendet wurde – transformiert Rachmaninov mit seinem „Wahnsinns“-Rhythmus in eine emotional abwechslungsreiche, spätromantische Achterbahnfahrt. Schwindelerregend, schnell, farbenprächtig,  exzentrisch, aufrauschend-beseelt bis nachdenklich zeigt sich auch das Spiel von Roman Borisov in all seiner bestrickenden Vielfalt.

Hinweis: Roman Borisov ist auch auf dem Album Next Generation Mozart Soloists – Nr. 6 in Mozarts Klavierkonzerten Nr.11 & 13 mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter Howard Griffiths zu hören (2023 bei Alpha erschienen).

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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