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CD-Buch GASPARE SPONTINI „LA VESTALE“ – Marina Rebeka, de Barbeyrac, Christoyannis, Extrémo, Courjal und Witzcak; Bru Zane

09.05.2023 | Allgemein, cd

CD-Buch GASPARE SPONTINI „LA VESTALE“ – Marina Rebeka, de Barbeyrac, Christoyannis, Extrémo, Courjal und Witzcak; Bru Zane

Primadonna Marina Rebecca als beste Vestalin der Operngeschichte – referentiell

vestale

Waren es bislang in den erhaltenen Lives Leyla Gencer (Palermo 1969) und Gundula Janowitz (Rom 1974), die aus meiner Sicht in dieser klassizistischen französischen Oper als Titelheldinnen besonders reüssierten, so ist mit dieser sensationellen Bru Zane Aufnahme Marina Rebeka, diesmal im Studio, als aufregende wie stilistisch vollendete Julia zu entdecken. Mit ihrem agilen, von sanft gurrenden bis eisern zupackenden Sopran vermag sie alle Facetten der Titelrolle auf einzigartige Weise abzudecken. Pflichtbewusste Priesterin und liebende Frau, die sogar den Tod nicht scheut, nur um ihren Geliebten zu schützen, fasziniert ihre dramatische Arie „Sur cet autel sacré que ma douleur assiège“ genauso wie das Liebesduett mit Licinius „Quel troubel! Quels transports!“. Den so herausfordernden Spagat zwischen mädchenhafter Verzagtheit und antikisch übergroßem Aufbegehren spannt Rebeka künstlerisch atemberaubend. Aus den unendlichen Reserven ihres an der Verzierungskunst des Belcantos geschulten, durchschlagskräftigen Spinto-Soprans vermag Marina Rebeka einem lyrischen Innehalten auf der anderen Seite der Skala den ganz großen Tragödienton entgegenzusetzen. Was für ein vokal schillerndes Farbenspiel in stets klassisch ebenmäßig geformten Gesangslinien. Sogar das massivste Choraufgebot (Ô crime! Ô désespoir! Ô comble des revers!“) überstrahlt sie mühelos.

Die veristische Deutung durch Maria Callas in der Mailänder Premiere vom 7.12.1954 (Inszenierung Luchino Visconti) hat der Oper Aufmerksamkeit und einen Bekanntheitsschub verpasst. Ihre Leistung überzeugt manche aber eher emotional denn stilistisch. Dem liegen basic Opern-Interpretations-Diskussionspunkte zugrunde, die auch im Vorwort zum CD-Buch „Jenseits des Mythos“ von Alexandre Dratwicki angesprochen werden. Als da wären das Erbe der veristischen Oper, das die Praxis der 50- er und 60-er Jahre ästhetisch massiv beeinflusste, aber ebenso die von Dirigenten bei Spontini bevorzugt gewählten allzu behäbigen Tempi sowie deren exzessiver Rubato Einsatz. Dratwicki bringt es überspitzt auf den ironischen Punkt, wenn er schreibt, dass die dramatische Spannung dieser Aufführungen sich hauptsächlich in der übermenschlichen Anstrengung erschöpfte, gegen das Orchester anzukämpfen.

Die Stilfrage reicht aber weiter, weil es auch darum geht, welcher Stimmgattung die Rollen der beiden Freunde Licinius und Cinna angehören. Die Tessitura der Rollen schwankt zwischen derjenigen eines Tenors und eines Baritons. So gab es verschiedene Arten der Besetzung: Entschied sich Gustav Kuhn 1991 für zwei italienische Tenöre, so besetzte man in Palermo 1969 den Cinna mit dem höhensicheren Bariton Renato Bruson.

In der vorliegenden historisch informierten Lesart von Christophe Rousset mit seinem fabelhaft energisch wie rasant aufspielenden „Les Talents Lyriques“ ist der unglücklich, aber dafür umso heftiger in die junge keusche Vestalin Julia verliebte Feldherr Licinius mit Stanislas de Barbeyrac, einem Vertreter des ténor grave (oder Bariténor), besetzt. Tassis Christoyannis, ein hoher Bariton mit Fundament, singt hier die Rolle des unendlich treuen, Licinius auch in seinen riskantesten Aktionen stets stützenden Cinna. Die beiden sind zudem von Stimmfarbe und -charakter her ideal gewählt: Barbeyracs Licinius mit metallisch glänzender Bravour und enormer Stamina findet in dem sanft-einschmeichelnden und dufthölzern timbrierten Bariton von Christoyannis eine klanglich sehr reizvolle Ergänzung, vor allem im bewegenden Freundschaftsduett aus dem ersten Akt „Quand l’amitié seconde mon courage.“

Grundsätzlich gründet sich die Attraktivität dieser klassizistischen Oper im Heute auf die so dankbare Heroinenrolle mit mädchenhaftem Impetus, die extravagant auftrumpfenden Chöre (der Flämische Radiochor singt diese nicht zuletzt rhythmisch so schwierigen Nummern zum Niederknien präzise und herrlich transparent), sowie die dramatisch beeindruckenden Arien und rasenden Ensembles. Natürlich hat auch die Musikwissenschaft ein Wort mitzureden, die der Oper Beispielhaftes attestiert, weil ihr eine Brückenfunktion zwischen der barocken Tragédie lyrique und der hochromantischen Grand Opéra zukommt und dazu noch belkantistische Charakteristika vorwegnimmt.

Ich kann aber durchaus nachvollziehen, warum diese anfangs (die Uraufführung fand am 15. Dezember 1807 statt) so außergewöhnlich erfolgreiche Oper ab der Mitte des 19. Jahrhunderts in Anbetracht der so aufregenden Opern von Verdi bis Wagner, Gounod und Massenet peu á peu in Vergessenheit geriet. Die zwischen den Chören, Arien und Ensembles eingestreuten minutenlangen, staubtrockenen Rezitative stellen die Hörerschaft ab und an vor echte Herausforderungen.

Warum geht es in „La Vestale?“ Der Grundkonflikt der Oper ist ein – scheint es -unauflöslicher wie einfacher: Der General Licinius liebt die zur Keuschheit vereidete Vestalin Julia und vice versa. Ausgerechnet während der gegen die Gallier siegreiche Feldherr zeremoniell von Julia im Tempel gekrönt wird, flüstert er der verunsicherten jungen Priesterin ins Ohr, sie in der Nacht entführen zu wollen. Trotz aller Mahnungen der Großen Vestalin (Aude Extrémo mit ihrem pastosen Mezzo ihre strenge Botschaft verkündende Priesterinnenchefin), die Liebe zu meiden („L’amour est un monstre barbare, perfide ennemi de Vesta.“) und auf das heilige Feuer im Tempel zu achten, lässt sie Licinius ein und das Schicksal nimmt seinen Lauf: Während das ungleiche Paar heimlich die Zweisamkeit feiert und so den Altar entehrt, erlischt das Feuer. Als die Priester und Vestalinnen dies bemerken, gesteht Julia ihren Fehler, ohne den Namen des Tempelschänders preiszugeben. Sie wird vom Pontifex Maximus (mit allzu unruhigem Bass Nicola Courjal) zum Tod verurteilt. Dem Lebendig-Begraben-Werden entkommt die Sünderin am Ende nur durch ein Wunder: Blitze entzünden die heilige Flamme wieder, ein Zeichen, dass die Götter vergeben haben. Zum Schluss wird die Hochzeit mit dem Segen der Priester und Priesterinnen der Venus Erycina gefeiert. (Anm.: Der Beiname stammt vom Berg Eryx in Sizilien, dem heutigen Erice, wo die Göttin der Schönheit, des Verlangens und der Liebe ihren Haupttempel hatte).

Neben den so treffgenauen vokalen Leistungen der Aufnahme ist es Dirigent und Alte Musik Spezialist Christophe Rousset, der Spontinis „La Vestale“ zu einem Erlebnis sondergleichen macht. Seine federnde Pulsgebung lässt diese im Innersten so dramatisch sehnige Partitur trotz aller Stromschnellen und Wirbeln kurzweilig strömen, wie es nie zuvor zu hören war. Er scheut sich nicht vor äußerster Drastik, Phrasen zuzuspitzen, irrwitzige Tempi anzuschlagen (Duett Licinius Pontifex Maximus „C’est á toi de trembler“ im dritten Akt) bzw. die Chöre in voller Wucht (Schluss 3. Akt) antreten zu lassen.

Fazit: Die beste und künstlerisch geschlossenste Aufnahme dieser Oper auf dem Markt. Ein Lehrbeispiel dafür, was musikalische Gestaltung bewirken kann. Wie immer bei Publikationen von Bru Zane, enthält das in englischer und französischer Sprache angebotene Buch (151 Seiten) musikwissenschaftliche Texte auf dem neuesten Stand, mit zahlreichen Illustrationen versehen, sowie das vollständige Libretto. Es handelt sich um die 35. Operngesamtaufnahme der Stiftung im Katalog.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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