Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

CD BELCEA QUARTET mit Streichquartetten von DEBUSSY und SZYMANOWSKI; Alpha

12.10.2025 | Allgemein, cd

CD BELCEA QUARTET mit Streichquartetten von DEBUSSY und SZYMANOWSKI; Alpha

belce

Wer den vollen exzeptionellen Rang und die stilistische Bandbreite des Belcea Quartet – 1994 unter den Auspizien der Geigerin Corina Belcea am Londoner Royal College of Music gegründet – kennenlernen will, der greife zu der im Vorjahr publizierten Box „The Alpha Classics Complete Recordings auf 15 CDs“ u.a. mit allen Beethoven, Brahms und Janacek Quartetten.

Auf jeden Fall aber sollten Kammermusikbegeisterte die neueste Publikation des Londoner Ensembles mit dem Streichquartett in g-Moll, Op. 10 von Claude Debussy und den beiden Streichquartetten von Karol Szymanowski, Op. 37 und Op. 56 nicht verpassen.

Die Besetzung des Belcea Quartet hat sich in den letzten 25 Jahren, ausgenommen die rumänische Primgeigerin und den polnischen Bratschisten, mehrfach geändert. Aktuell formen Corina Belcea-Fisher, Violine, Suyeon Kang, Violine, koreanisch-australischer Neuzugang 2023, Krzysztof Chorzelski, Viola und der französische Cellist Antoine Lederlin die muntere Viererschaft. Bei der Aufnahme des ersten Streichquartetts von Szymanowski saß noch der Geiger Axel Schacher am Pult der zweiten Violine.

Unüberhörbar ist, wie viel das Belcea Quartet, was den Primat der ersten Geige, Bogenführung, den sinnlich schillernden bis aufgerauten Klang und die immense Ausdrucksintensität anlangt, dem für Generationen maßstabsetzenden Wiener Alban Berg Quartett, und in Ansätzen auch dem Amadeus Quartett, verdankt.

So besticht etwa die zweite Aufnahme der Belceas des 1893 in Paris uraufgeführten Debussy Quartetts weniger durch impressionistische Feinpinselei und zarte Pastelltönen, und lässt schon gar nicht den Vergleich mit „Ausdruck des universellen Amorphismus der damaligen Zeit“ zu. Das klassisch viersätzige Quartett des 31-jährigen Komponisten fasst verschiedene musikwissenschaftlich erforschte Vorbilder und Quellen wie gregorianischer Choral, Pentatonik, Folkore oder javanische Gamelan-Musik zu einer völlig neuen, einzigartig kräftig kolorierten Morphologie zusammen. Das Belcea Quartet betreibt keine klangliche Nivellierung und hält gar nichts von weichgespülten Interpretationen. Vielmehr betont es hier wie auch besonders im zweiten Streichquartett von Szymanowski (1927) die Radikalität der musikalischen Mittel, ihre Semantik und ihre immer wieder geheimnisvollen, kognitiv schwer fasslichen Unterströmungen.

Falls Debussy ein Vorbild für Bartóks Streichquartettschaffen war., so rekurriert Szymanowskis dreisätziges letztes Streichquartett auf französische Vorbilder (Ravel). Bartóks Rückbesinnung auf diverse folkloristische Motive korrespondiert bei Szymanowski auf die polnische Folklore der Tatra (Vivace scherzando). Das Belcea Quartet lässt die kantigen (Mikro)Rhythmen kontrastreich aufeinanderprallen. Es beschwört mit seinem Schärfen auskostenden, extrovertierten Spiel derbe Zerrbilder, legt bei den aberwitzigen Tempowechseln noch einen drauf. Im Lento herrscht eine gewittrig elektrisierende Atmosphäre, deren „Intensität sich bis zum tragisch-triumphalen Schluss immer weiter steigert.“ (Jean-Michel Molkhou)

Das erste Streichquartett, 1917 begonnen, von der Russischen Revolution kalt im Werden erwischt, wurde erst 1924 aus der Taufe gehoben. Es ist wesentlich spätromantischer als das Zweite, wenngleich das abschließende Scherzando alla burleska mit der Erkundung von Polytonalität und grellen Dissonanzen seinem Namen alle Ehre macht. In den ersten beiden Sätzen zeigt sich Szymanowski noch als in weiten Linien schöpfender Melodiker, und, wie schon die Unterbezeichnung des zweiten Satzes „in modo d’una canzone“ andeutet, unter thematischer Einbeziehung polnischen Liederbes.

Das Belcea Quartet lässt es im geheimnisumrankten Andantino semplice (in modo d’una canzone) in Chiaroscuro-Manier klangvoll-schwärmerisch gleißen und glänzen. Corina Belcea-Fisher entlockt ihrem Instrument unglaublich zärtlich sehnsuchtsvolle Töne, die sich tränenverhangen eingetrübt, zu immer dringlicherem Gesang erheben. Im Gegensatz dazu fildelt das Quartett vor allem zu Beginn und am Ende des schelmisch launischen Vivace jahrmarktlaut auf.

Fazit: Eine einsame Spitzenleistung kammermusikalischer Unbedingtheit und Präzision. Für alle, die es expressiv, ungelöst rätselumwoben und farbenstark lieben, eine absolute Empfehlung!

Dr. Ingobert Waltenberger

 

Diese Seite drucken