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CD ALFRED DELLER „THE VOICE OF PURCELL“ Gesamtaufnahmen von „The Fairy Queen“, „King Arthur“, „The Indian Queen“ und „Timon of Athens“, harmonia mundi

17.11.2019 | Allgemein, cd

CD ALFRED DELLER „THE VOICE OF PURCELL“ Gesamtaufnahmen von „The Fairy Queen“, „King Arthur“, „The Indian Queen“ und „Timon of Athens“, harmonia mundi

Alfred Deller war der bedeutendste Countertenor des 20. Jahrhunderts – mit einer legendären Sanges- und Atemtechnik (stupendes messa di voce, Piani), sonorer Stimme, verfeinerter Modulationsfähigkeit, schwebendem Legato, natürlich auf die jeweilige Gefühlssituation imaginiertem Ausdruck und einem individuell einprägsamen Timbre, das nicht anders als luxuriös bezeichnet werden kann. Dieser Pionier der Originalklangbewegung starb 1979, sein Label harmonia mundi gedenkt aus diesem Anlass mit der Henry Purcell gewidmeten Box auf sieben CDs dem musikalischen Universum des Sängers und seines Ensembles Deller Consort.

Ich stelle mir Deller groß gewachsen, Kinnbärtchen, mit einer Pfeife im Mund und einem breitkrempigen Hut, zugänglich und respektvoll, bescheiden im Auftritt, kurzum als einen eleganten englischen Sir, Poet und Barde von Kopf bis Fuß, vor. Alfred Deller trug maßgeblich zur Popularisierung des heute so selbstverständlichen Stimmfachs Countertenor in der Musik der Renaissance und des Barock bei. Proben liebte er nicht, noch weniger das tägliche Absingen von Skalen, dafür war Deller ein begnadeter Geschichtenerzähler. Seine Vision war, dass Musik dem Text zu dienen hat, diesbezüglich ist er Fischer-Dieskau nicht unähnlich. Für Generationen von Countertenören war er Vorbild, René Jacobs bezeichnet ihn als „my master’s voice“ und würde gerne auf seinem Totenbett den Beginn des Liebesduetts aus Händels „Sosarme“ ‚Per le porte del tormento’ mit Deller hören.

Über 25 Jahre ging der Sänger mit dem Deller Consort auf Tournee, und setzte sich besonders für Elisabethanische Musik ein. Aber der musikalische Bogen spannte sich wesentlich weiter, vom Mittelalter bis zu zeitgenössischen Opern. Benjamin Britten hat ihm die Rolle des Oberon im „Midsummer Night’s Dream“ auf den Leib komponiert.

Die nun veröffentlichte Jubiläumsbox enthält Purcell-Aufnahmen aus den Jahren 1972-1979. Der Countertenor war demnach schon 60 bis 67 Jahre alt. Seine Stimme klingt jugendlich und flexibel wie eh und je, ein Trumpf an Wissen um Technik und pfleglichem Umgang mit den eigenen Reserven. Die gesamten Opern „The Fairy Queen“, „King Arthur“, „The Indian Queen“, „The Masque Timon of Athens“, aber auch „Music for a While“ (Deller wird hier von Wieland Kuijken, William Christie und Roderick Skeaping begleitet) und “O Solitude“ Chants and Anthems können hier noch einmal technisch restauriert und auf den letzten Stand gebracht gehört werden.

Stilistisch unterscheiden sich die von Deller geleiteten Purcell-Aufnahmen von vielen historisch informierten Wiedergaben der heutigen Zeit. Da ist einmal der musikalische Fluss an erster Stelle zu nennen. Aktuell gelten in der Alten Musik bis tief hinein in Früh- und Hochromantik die Transparenz der Instrumentalstimmen, eine expressive Artikulation und flotte bis überzogen rasche Tempi als höchste Tugenden moderner Interpretation. Das ergibt vor allem in den (Holz)bläsern schöne Momente und dramatische zugespitzte Spannungsbögen, führt aber nicht selten zu orchestraler Zerfaserung in Einzelstimmen und dünn anämischem Streicherklang. Wie anders ist es etwa um das Stour Music Orchestra bestellt, das seidigen Streicherklang, eine sinfonische Gesamtanlage der Gruppen und ein fein abschattiertes Dynamikspiel in einen künstlerisch stringenten dramaturgischen Rahmen fügt. Wobei es im Fall der Operngesamtaufnahmen immer in erster Linie um die Seele der Figuren, ihr charakterliches Vokalprofil geht. Alfred Deller hüllt den poetischen Kern jeder Nummer in Wohllaut potenziert um ehrlich tiefe Empfindung. Wo satirisch aufgeraut werden muss, tut Deller das auch, und zwar ohne Rücksicht auf Verluste. Das Deller Consort, aus dem sich die weiteren Solisten rekrutieren, ist exquisit: Maurice Bevan, Honor Sheppard, Jean Knibbs, Christina Clark, Norman Platt, Neil Jenkins, John Buttrey, Mark Deller, Paul Elliott und Michael George sind allesamt Spezialisten Alter Musik, die solistisch und im Ensemble gleichermaßen mit individuell gefärbten, ausdrucksstarken Stimmen reüssieren. Für die originell bis dato erstaunlich modern klingende Musik des Orpheus Britannicus ein seltener Idealfall.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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