Catherine Nixey:
HEILIGER ZORN
Wie die frühen Christen die Antike zerstörten
400 Seiten, DVA, 2019
Es mag in diesem Fall angebracht sein, etwas von der Autorin selbst zu erzählen, weil es in so engem Zusammenhang mit diesem ihrem Buch steht. Die Eltern von Catherine Nixey (Journalistin mit einem Geschichts-Studium in Cambrigde) waren, bevor sie heirateten, Mönch und Nonne (keine alltägliche Situation, wenn man nicht auf Luther zurückgeht). Sie hatten zwar ihre Kutten, aber nicht den festen Glauben an die Katholische Kirche und die Überlegenheit des Christentums abgelegt, ohne deshalb engstirnig zu agieren. Eine Tochter, die so aufwächst, wird besonderes Interesse an religiösen Fragen zeigen. Zuerst plante Catherine Nixey auf den Spuren der frühen Christen eine Reise in den Nahen Osten. Aber es war die Zeit, da der IS sein Haupt erhob, Reisen in die Region unmöglich wurden und Schreckensmeldungen die Welt erreichten. Sie bezogen sich nicht nur auf Opfer an Menschen und Städten, sondern auch an historischen Kulturgütern: Palmyra wurde – wieder einmal – zerstört.
Solcherart begreift man, warum die Autorin (die nun für ihr Buch auf Sekundärliteratur und den Dialog mit Wissenschaftlern angewiesen war) ein Ereignis aus dem Jahre 385 n. Chr. ganz an den Beginn stellt: Damals zogen Banden von Zeloten herum, in der Absicht, „Heidnisches“ zu zerstören. In Palmyra brachten sie Statuen zu Fall, die ein halbes Jahrtausend überdauert hatten, zertrümmerten Tempel und waren sehr stolz darauf, dass „unser Heiland“ all die Dämonen und Götzen zertrampelt hätte…
Ungeachtet dessen, dass die Katholische Kirche heutzutage in vielen schweren Krisen steckt, hatte das Christentum lange eine „gute Presse“, auch, weil man selbst dafür sorgte (das ist meist die Voraussetzung). Kritik gab es natürlich auch – Inquisition, Kolonialismus und Zwangsbekehrungen, blutige Kriege (etwa in Irland). Aber Catherine Nixey, erzählt noch mehr: Ihr Buch „Heiliger Zorn“ arbeitet den gewaltigen Anteil der frühen Christen daran auf, die „Antike“, sprich: das römische Weltreich, zerstört zu haben – weil sie keine sanften Dulder, sondern wilde Fundamentalisten waren…
Eine Religion, die sich an jene Massen wandte, die nichts auf dieser Erde zu erwarten hatten, denen man aber ein glückseliges Jenseits versprach (man stößt faktisch auf jeder Seite auf erschreckende Parallelen zu Heute… in welcher Religion oder Gesellschaft auch immer), hatte sich in den Jahrhunderten nach dem Erscheinen dieses Jesus langsam, aber sicher verbreitet und an Bedeutung gewonnen. Als sich der römische Kaiser Konstantin (ca. 270-337) im Jahr 312 dezidiert dem Christentum zuwandte, waren diesem keine Grenzen mehr gesetzt. Mit, wie die Autorin zeigt, desaströsen Folgen.
In einem „noch nie erlebten Rausch der Zerstörung“ richtete die Kirche im 4. und 5. Jahrhundert eine unfassbare Zahl antiker Kunstwerke zugrunde – ein „Bildersturm“ ohnegleichen. Grandiose Gebäude wie das Serapeion in Alexandria wurden lustvoll zerstört und auf den Ruinen eine Kirche errichtet. Aber das war nicht alles. Die Zerstörung des Alten ging so weit, dass die Autorin die Ansicht vertritt, wäre da nicht der Vesuvausbruch gewesen und Pompej im 18. Jahrhundert entdeckt worden – wir wüssten gar nicht mehr, wie die römische Antike wirklich ausgesehen hat…
Aus einer Welt der Römer, die mit Gelassenheit alle Götter akzeptierte und fremde Kulte ohne weiteres integrierte, trat man in eine fundamentalistische Welt von religiösem Ausschließlichkeitsanspruch ein. Was nicht passte, wurde entfernt. Die Klöster, deren Aufgabe es war, Wissen zu bewahren, haben antike Texte nicht etwa gehütet, sondern gelöscht, überschrieben, der Vergessenheit anheimfallen lassen. Hoch geschätzte Heilige der Katholischen Kirche waren Eiferer, die Tod und Verderben gegenüber den Ungläubigen predigten und sich selbst als Zerstörer betätigten (man feierte Benedikt von Nursia als fanatischen Vernichter antiker Kunstwerke). Man baute Schreckensgebilde von Satan und den Dämonen auf, und man musste einen Menschen nur als „besessen“ erklären, um ihn jeder christlichen Willkür auszusetzen. Einschüchterung bis zum Terror war ein beliebtes Mittel, Heiden zu „bekehren“. Die Christianisierung wurde schneller und radikaler.
Noch gab es Intellektuelle in Rom und Athen, die diesem neuen Christentum mit der ganzen Skepsis ihres logischen Verstandes gegenüber standen. Ein ganzes diesbezügliches Kapitel gilt Galen, einem der renommiertesten Ärzte Roms. Ob unbefleckte Empfängnis, ob die unbegründeten Behauptungen von Moses, er konnte nur den Kopf über das Alte und das Neue Testament schütteln. Desgleichen der griechische Intellektuelle Kelsos, dessen Namen man heute nur noch indirekt kennt (weil über ihn berichtet wurde): Schließlich hatten die Christen all seine Schriften, in denen sie angezweifelt wurden – Jesus war mit seinen Wundern für ihn einfach ein Taschenspieler – , verschwinden lassen: Die frühe Form der Bücherverbrennung, die als Teil der Christianisierung gelten muss. (Den „Index“ hat die Kirche übrigens erst in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts abgeschafft.)
Hier macht die Autorin einen Sprung zurück in das Rom Neros, zeigt die Christen als „neuen Kult“, der als „verderblicher Aberglaube von Störenfrieden“ galt, was es aus römischer Sicht wohl auch war. Die brutale Hinrichtung von Christen nach dem Brand Roms passte gut in die Märtyrer-Ideologie, die sich bald aufbaute. In der Folge gingen überzeugte Christen geradezu begeistert in den Tod, während den nüchternen Römern an deren Hinrichtung gar nichts lag. Die „verfolgte Kirche“ war ein Erfolgsprogramm, solange man noch nicht an der Macht war. Eine Welt der gefolterten und malträtierten Heiligen hat auch in der Kunst Jahrhunderte beherrscht – spritzendes Blut, quellende Gedärme, ekstatischer Gesichtsausdruck. Und eine verhohlene, aber evidente sexuelle Implikation angesichts gequälter Frauen…
Die Christen als Störenfriede im gesamten Römischen Reich schafften fraglos Probleme. Plinius der Jüngere als Statthalter in der Provinz Bithynien hatte sich damit auseinanderzusetzen. Er sah sich Fanatikern gegenüber, die geradezu verlangten, gefoltert zu werden. Die Römer praktizierten ihre Toleranz, so lange sie konnten. Als die Christen dann an der Macht waren, haben sie nicht Gleiches mit Gleichem vergolten. Im Gegenteil.
Wenn Historiker gerne formulieren, das absterbende Römische Reich habe sich als christliches Reich neu erfunden, so ist das ein Euphemismus ohnegleichen. Wie die Autorin Beispiel für Beispiel (in schrecklicher Anhäufung) zeigt, wurde der neue Glaube brutal aufgezwungen. Das moderne Wort „Säuberung“ fällt auch hier. Es kostete Arbeit, Millionen von Menschen zwangszubekehren. Philosophen und ihre Ideen wurden buchstäblich vertrieben (eine ungeheure geistige Verarmung) – die neue Philosophie war die Theologie. Radikale Mönchen hatten den Freibrief, im Namen Gottes wie willkürliche Verbrecher zu handeln, marodierende christliche Jugendbanden desgleichen – sie wurden für ihre Gräueltaten nicht zur Rechenschaft gezogen: „Für die, die Christus haben, gibt es kein Verbrechen“, hieß es.
Andererseits wanderten schmutzige, hagere Asketen durch die Welt und stellten den personifizierten Tadel für jedes normale Menschenleben dar. Theater, Musik, Unterhaltung standen unter allen nur denkbaren Repressalien (weil die Menschen sich dies so ungern wegnehmen lassen wollten). Für alles gab es Vorschriften, das Essen, den Geschlechtsverkehr (körperliche Triebe waren zu unterdrücken – die Folgen spürt die Kirche noch heute), die Lektüre. Freude war verpönt. Die Zensur herrschte. Sklaverei (!) herrschte desgleichen – und die Christen waren zu ihren Sklaven gnadenlos. Und als effektivste Bedrohung stand allen, die sich nicht fügten, im Jenseits die Qualen der Hölle bevor…
Manches wiederholt sich in diesem Buch im Eifer der Autorin, das Eifern der frühen Christen in allen möglichen Aspekten aufzuzeigen, so, wie man es kleinteilig in der Literatur auffindet. Hier ist es zusammen geschrieben. Man kann nichts daran ändern. Auch Empörung hilft nichts. Wenn man daraus für die Gegenwart (mit ihren im Moment immer schlimmer werdenden Restriktionen) lernen könnte, wäre etwas gewonnen. Aber das ist leider kaum anzunehmen.
Renate Wagner