Caroline de Gruyter:
DAS HABSBURGERREICH – INSPIRATION FÜR EUROPA?
EINE SPURENSUCHE
213 Setien, Böhlau Verlag, 2022
Das Titelbild zeigt Kaiserin Elisabeth mit ihren Sternen im Haar, obwohl sie mit dem Buch nicht das Geringste zu tun hat – aber wie lockt man Leser besser zu einem Habsburger-Thema? Die Autorin Caroline de Gruyter ist erstens Journalistin und zweitens Niederländerin, was man berücksichtigen muss, wenn man sich durch diese etwas mehr als 200 Seiten durchliest. Die Überlegungen sind populär gehalten und geschrieben, und sie sind spürbar nicht nach einem stringenten Konzept entstanden. Vielmehr hat Caroline de Gruyter ganz offensichtlich eine Menge von Zeitungsartikeln wieder verwertet, die sie zwischen 2013 und 2017, als sie in Wien lebte, geschrieben hat. Und dann, während der Lockdowns, wurde ein Buch daraus – eine bunte Mischung aus Begegnungen, Eindrücken und Reflexionen, wobei Letztere, wenn sie mit historischem Wissen verbunden sein sollen, mit Vorsicht zu genießen sind.
Hauptaspekt von Caroline de Gruyter, die normalerweise in Brüssel ansässig ist und dort über die EU berichtet, ist ihr – auf wackligen Füßen stehender – beharrlicher Vergleich der EU mit der Habsburger-Monarchie. Gemeinsam haben die Institutionen letztlich nur, dass viele Völker und Sprachen sich zusammen geschlossen haben – bei der EU freiwillig, in der Habsburger-Monarchie nicht (nicht einmal die einheitliche Währung gibt es in der EU, da kennt man Ausreißer). Dass die EU aus selbständigen, sich selbst regierenden Staaten besteht – davon konnte man (trotz einer gewissen Selbständigkeit Ungarns nach dem „Ausgleich“) in der Monarchie nicht einmal träumen. Und nie kann eine Frau von der Leyen auch nur annähernd ein Integrationsfaktor sein wie es Maria Theresia oder Franz Joseph I. für „ihre Völker“ waren. Dennoch spricht die Autorin, die als Journalistin natürlich den Dialog sucht, viele Menschen auf das Thema an, erhält aber nie wirklich überzeugende Argumente.
In Wien beschloß Caroline de Gruyter, alles über die Habsburger zu lernen (was als Schnellschuß nicht geht, wie sich zeigte). Sie zog in Hietzing ein, in der Nähe der Schratt-Villa (wer die Dame war, musste sie erst erfragen), als Nachbarin von gleich einem kompetenten Insider: Albrecht Hohenberg (mittlerweile verstorben), ein Enkel von Thronfolger Franz Ferdinand, der allerdings wegen seiner morganatischen Großmutter nach Habsburgischen Vorstellungen nicht zur Familie gehört… Die Autorin begegnet den Habsburgern im Lauf ihrer Wiener Jahre aber noch in höchsten Höhen, darunter ihrem Lieblingsfeind, dem Familienchef Karl Habsburg.
Offenbar hatte Caroline de Gruyter gerade einen Artikel über den Zusammenhang von einstiger Monarchie und heutiger EU geschrieben, da gab es kurz darauf einen Vortrag von Karl Habsburg. Und da entdeckte sie schnell (nicht nur, dass er wörtlich dasselbe Zitat aus Joseph Roths „Radetzkymarsch“ brachte), dass er geradezu als Plagiat ihre Gedanken als die seinen ausgab, ohne die Quelle zu nennen, noch sich später, im persönlichen Gespräch, entschuldigend. Die Wut der Autorin leuchtet noch aus den Zeilen. Etwas sympathischer war ihr Karls jüngerer, „ungarischer“ Bruder Georg Habsburg, auch wenn dieser sich, als „Berater“ der ungarischen Regierung, natürlich nicht über Ungarns wackeliges EU-Verhalten äußerte. Ihr Liebling, den sie nie kennen gelernt hätte, wäre Otto von Habsburg gewesen, der ja – nachdem schon seine Eltern alle Hoffnungen auf irgendeine kaiserlich-königliche Zukunft aufgeben mussten – einen Beruf daraus machte, sich als überzeugter „Europäer“ zu deklarieren (obwohl er nichts dagegen unternehmen konnte, dass unerschütterliche Monarchisten ihn mit „Majestät“ anredeten…).
Obwohl im Vorwort vermerkt wird, dass keine Zeit mehr war, auf den mittlerweile ausgebrochenen Ukraine-Krieg einzugehen, spielt Wladimir Putin eine immer wieder kehrende Rolle die Autorin will (obwohl der Großteil der Bevölkerung den Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt hat) hier große Angst vor „die Russen kommen“ festgestellt haben… Möge sich das nicht als prophetisch erweisen.
Das Buch besteht aus elf Kapiteln, die allerdings keine Titel haben, weil sie sich auch nie auf ein Thema einigen. Viele Gespräche (darunter auch mit ausländischen Autoren, die über die Monarchie oder die EU geschrieben haben), die üblichen Impressionen zwischen Kaffeehaus und dem knusprigen Schnitzel, das serviert wird, ein Wirbelwind von oberflächlich angetippten Namen (Zweig, Freud, Schnitzler, auch wenn es gar nicht passt), Berichte über gelesene Sekundärliteratur, alles mixt sich samt der Abneigung der Autorin gegen den Opernball zu einem völlig unübersichtlichen Ganzen. Zu vielen flapsigen Oberflächlichkeiten kommt die billige Bedienung von Klischees – als sähe man die Wienerinnen im Alltag dauernd Dirndl tragend (!), oder Banalitäten wie „In Wien hat man oft das Gefühl, in einem Habsburgischen Theaterstück gelandet zu sein“…
Es ist auch ärgerlich, wenn ein Buch, das ja vermutlich nicht nur journalistisches Geplaudere sein will, sondern als kenntnisreiche Analyse ernst genommen, so viele Fehler enthält. Regelmäßig wird Thronfolger Franz Ferdinand als „Kronprinz“ bezeichnet, und Victor Adler war sicher nicht Vorsitzender der „sozialistischen“ Partei, die gab es damals nämlich unter diesem Namen noch gar nicht… Nun könnte man den Übersetzer verantwortlich machen, aber der hat wohl nur ins Deutsche übertragen, was er vorfand. Der Lektor freilich hat über vielen Schlampereien des Buches geschlafen.
Es scheint übrigens, dass die Sparwut der Verlage dazu führt, dass die Schriften immer kleiner werden und der Druck immer heller ausfällt, so dass man auch mit Lesebrille Schwierigkeiten hat, den Text zu entziffern. Dazu kommt, dass die (teilweise wirklich schlechten, nicht zu erkennenden) Bilder nicht beschriftet sind, und das ist ärgerlich. Auch dass man sich nicht die Mühe eines Registers gemacht hat, ist ein Defizit. Man hätte das Buch um einiges sorgfältiger und zugänglicher gestalten können.
Renate Wagner