Camille Saint-Saëns:
CELLOKONZERT Nr. 1, SONATEN Nr. 2 und 3
EMMANUELLE BERTRAND, PASCAL AMOYEL
harmonia mundi CD
Wunderkind, bester Organist seiner Zeit, Dichter, Maler, Archäologe, ein begnadeter Sonderling abseits der damals modernen Strömungen, seiner Mutter hörig, eher Beethoven, Liszt und Wagner verpflichtet als dem französischen Zeitgeist, verdanken wir Saint-Saëns einige der schönsten Kompositionen für Cello und Orchester als auch drei wunderbaren Sonaten für Cello und Klavier. Die französische Cellistin Emmanuelle Bertrand nimmt sich des ersten Klavierkonzerts und der beiden letzten Sonaten im vorliegenden Album voller sinnlicher Leidenschaft an und fügt ihrer bereits reichen Diskographie ein weiteres Juwel hinzu.
Saint-Saëns Schaffen ist geprägt von reich blühenden melodiösen Einfällen auf Basis strenger Formen, selbst kontrapunktisch Komplexes ging ihm schlafwandlerisch von den Fingern. Das erste Cellokonzert in A-moll, 1872 vollendet, ist ein mittlerweile berühmtes Stück, selbst Rachmaninov und Shostakovich zählten es zu den besten ihrer Gattung. Emmanuelle Bertrand gelingt es, mit ihrem klaren, weich und verführerisch flüsternden bis virtuosen Ton das deklamatorisch Eloquente wie Sangliche dieser einsätzigen Komposition in drei Teilen auf zauberhafte Wiese auszuloten. So muss sich Homer in der Odyssee den Klang der Sirenen vorgestellt haben, betörend schön und den Hörer unwiderstehlich in den Bann schlagend. Freilich ist Bertrands Spiel im Unterschied zu den mythischen Fabelwesen zwischen Frau und Fisch nicht auf einen dunklen Hintersinn angelegt. Im Gegenteil: Höchst fasziniert kann dem Zwiegespräch zwischen Soloinstrument und Orchester, der rhapsodischen Entwicklung der Themen in freier Assoziation gelauscht werden. Dieses Cellokonzert ist auch deshalb so besonders, weil das Cello auch klanglich und dramaturgisch stets im Vordergrund steht. Das Orchester wirkt bisweilen nur wie ein loser Stichwortgeber, die Sprache des Cellos untermalend und dezent begleitend. Das Luzerner Sinfonieorchester unter der sensitiven Leitung von James Gaffigan entledigt sich dieser Aufgabe ungemein poetisch und atmosphärisch dicht.
Mehr als 30 Jahre nach dem Konzert hat Saint-Saëns die zweite Sonate für Cello und Klavier Op. 135 komponiert. Ganz lustig, wie der Tonsetzer selbst die Fertigstellung dieses Meisterwerks kommentiert: „Endlich ist sie nun fertig, diese verfluchte Sonate! Wird sie gut ankommen, wird sie schlecht ankommen? Sie ist ziemlich schwer, ohne allerdings unspielbar zu sein. Das erste Stück ist kein Allegro, es ist fast ein Andante; es kommen viele Zweiunddreißigstel vor, es ist ein morceau noir. Im variierten Scherzo habe ich mich nicht an die Mode gehalten, der zufolge die Variationen dem Thema wie der Mond einem sauren Hering ähneln müssen, sondern sie gleichen einander gar nicht; eine davon ist sogar in Form einer Fuge geschrieben. Das Adagio wird den Feinfühligen die Tränen in die Augen treiben, und das Finale diejenigen Leute wieder wecken, die bei den anderen Stücken eingeschlafen sind.“ Emmanuelle Bertrand und ihr Partner am Klavier, Pascal Amoyel, gehen die Sache eher vorsichtig an, können sich aber gegen das Ende zu emphatisch dialogisierend zu Höchstform aufschwingen. Die CD schließt mit einer Rarität, dem Fragment der dritten unvollendeten Sonate in D-Dur aus dem Jahr 1913, von der nur zwei Sätze vorliegen. Ein Werk der rhythmischen und lyrischen Kontraste, der kühnen Harmonien und komplexen Klangfarben. Fazit: Eine Empfehlung für Klangfetischisten und Raritätensammler gleichermaßen.
Dr. Ingobert Waltenberger