Thomas Blank, Christoph Catrein, Christine van Hoof (Hg.)
CAESARENWAHN
Ein Topos zwischen Antiwilhelminismus, antikem Kaiserbild und moderner Populärkultur
(Beiträge zur Geschichtskultur Band 41)
390 Seiten, Böhlau Verlag, 2021
Das Titelbild ist ein „Eyecatcher“ erster Ordnung: Donald Trump mit seinem berühmt hochmütig-törichten Gesichtsausdruck, mit Lorbeerkranz und angedeuteter Toga in der Pose eines römischen Kaisers. Und genau darum geht es in dem Buch über „Caesarenwahn“, das auf einer Ringvorlesung der Universität des Saarlandes aus dem Jahr 2017 beruht und nun in der Serie „Beiträge zur Geschichtskultur“ (Band 41) des Böhlau Verlags erschienen ist. Es handelt sich also um ein Kompendium von Einzelvorträgen, die das Thema punktuell umkreisen.
Wie der Untertitel besagt, geht es um einen „Topos zwischen Antiwilhelminismus, antikem Kaiserbild und moderner Populärkultur“. Folglich steht der deutsche Historiker Ludwig Quidde nicht nur im Mittelpunkt des ersten Beitrags, sondern kehrt auch im Laufe des Buches in verschiedenen Artikeln wieder.
Quidde (1858-1941), der viel später (1927) mit dem Friedens-Nobelpreis ausgezeichnet wurde, machte sich in der Wilhelminischen Ära weidlich unbeliebt. Als er 1894 eine Studie über den römischen Kaiser Caligula verfasste, die in dem Buch zur Gänze abgedruckt ist, war den Zeitgenossen sofort klar, dass er bei vielen schlechten Eigenschaften dieses vielleicht schlechtesten aller römischen Kaiser an Parallelen zu dem regierenden Kaiser Wilhelm II. dachte (ohne ihm die Blutbäder zu unterschieben, in welche Caligula Rom versenkt hat). Der sensationelle Erfolg der Schrift, die als Sonderdruck in kürzester Zeit 150.000 Exemplare verkaufte, war selbstverständlich darauf zurück zu führen, dass die Mitwelt genau erkannte, was er sagen wollte (und Wilhelm II. nicht so viele blinde Anhänger hatte, wie er selbst meinte). Das ,machte Quidde zwar in breitesten Kreisen berühmt, kostete ihn aber zur Kaiserzeit weitgehend seine Karriere, Kollegen wandten sich opportunistisch von ihm ab, und erst nach dem Ersten Weltkrieg kam er wieder zu Ehren.
Was ist „Caesarenwahn“? Voraussetzung dafür ist die unbeschränkte, autokratische Macht, wo ein Einzelner absolut tun kann, was er will – und viele von ihnen in einen Machtrausch gerieten, der sich für die Umwelt verheerend auswirkte. Dazu gehören Elemente eitler Selbstdarstellung, Unbeherrschtheit und Sprunghaftigkeit, brutale Willkür (Caligula wird der Spruch nachgesagt, er hätte am liebsten ganz Rom zusammen die Hälse abgeschnitten), suchtartiges Verhalten oder Gigantomanie (etwa im Hinterlassen von Baudenkmälern).
Wie weit ein ungehindert auslebbarer Machtrausch tatsächlich zu „Wahnsinn“ führte, ist Interpretationssache der Nachwelt – zweifellos verändert unter solchen Umständen das menschliche Bewusstsein. Die moderne Psychologie bringt hier auch die Begriffe Neurasthenie, Hysterie und narzistische Persönlichkeitsstörung ein. Autor Florian Sittig resümiert in seinem Beitrag: „Letztendlich steht der ‚Caesarenwahn’ immer zwischen Psychopathologie und Historie, zwischen wissenschaftlicher Analyse und politischer Polemik.“
Tatsache ist, dass der Mann, auf dessen Namen der Begriff zurück geht, nämlich Gaius Julius Caesar, für Theodor Mommsen der Inbegriff des „schöpferischen Genies“, des intelligenten, souveränen Herrschers war. Seine Nachfahren von seinem Großneffen Augustus an wurden dann als die „Caesaren“ bezeichnet, von denen es in der Beurteilung „gute“ und „schlechte“ (und noch mehr dazwischen) gab. Als die Urform dieser schlechten „Caesaren“ zählen zwei Mitglieder des Julisch-Claudischen Kaiserhauses, Caligula und sein Neffe Nero, weiters in späteren Jahren die Kaiser Domitian, Commodus und Elagabal. Wie weit die Historiker der damaligen Zeit, auf die sich heutige Interpreten berufen, deren Bild manipuliert haben, ist nur noch bedingt festzustellen.
Da es sich nicht um eine zusammenfassende, übersichtliche Darstellung des Phänomens handelt, sondern um Einzelbetrachtungen von Wissenschaftlern, kommt nicht jeder Name ins Spiel (Stalin fehlt etwa ganz, und auch zu Napoleon hätte sich in diesem Zusammenhang einiges sagen lassen), und Hitler wird aus einer Seitenperspektive, nämlich nach seiner Darstellung im Film, betrachtet. Die Willkür des Borgia-Papstes Alexander VI. ist Gegenstand, und das Kapitel über Donald Trump muss wohl für das Buch etwas aktualisiert worden sein, denn er wurde ja erst 2017 Präsident und hat seinen „Caesarenwahn“ in den folgenden Jahren ausgelebt. Seltsamerweise vermag man in diesem Fall bei dem Autor einige Sympathie für diese gelinde gesagt umstrittene Persönlichkeit entdecken.
Interessant ist übrigens auch, wie oft Trump von seinen Gegnern als „zweiter Nero“ bezeichnet wurde – der allerdings Menschen seiner Umwelt zu ermorden pflegte, während Trump sie „nur“ brutal fallen gelassen und entlassen hat. Ein Journalistenurteil jedenfalls bezeichnete die Ära Trump als ein Zeitalter der Dekadenz, das es mit dem Alten Rom aufnehmen könnte…
Renate Wagner