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BUDAPEST/ Palast der Künste: CAPRICCIO

15.03.2013 | KRITIKEN, Oper

Budapest: „CAPRICCIO“ im Palast der Künste – 14.3.2013

Genau jener „Palace of Arts“ (Müveszetek Palotája), der das Titelblatt und die letzte Umschlagseite des März-„Merkers” ziert, bot dank der besonderen Vorliebe des Chefdirigenten der Ungarischen Nationalphilharmonie, Zoltán Kocsis, für Richard Strauss, eine – szenische! – Aufführung des genialen Alterswerkes im wunderbaren Béla-Bartók-Saal mit seiner fabelhaften Akustik.

Noch wunderbarer fand ich die Tatsache, dass beide Vorstellungen (die erste war am 11.3.) nicht nur nahezu ausverkauft waren, sondern während der pausenlosen 2 ¾-stündigen Aufführungsdauer nicht ein einziger Muckser, Huster oder Räusperer aus dem Zuschauerraum die Konzentration dies- und jenseits der Rampe störte – und das zu einer Jahreszeit mit ausgesprochenem Sauwetter, bei welchem man nicht weit entfernt in eingeschneiten Autos erfror. Bekanntlich handelt es sich bei diesem Opus ja wahrlich nicht um ein knalliges Effektstück, das unter allen Umständen die Zuhörer mitreißt. „Bei sanfter Musik schläft sich’s am besten“ sagt Direktor La Roche nicht von ungefähr. Aber gerade diese – wohldosierten künstlerischen Delikatessen mit all ihren musikalischen und gedanklichen Finessen (letztere dank der ungarischen Übertitel allgemein genießbar!) und ihrem dezenten, aber erfrischenden Humor schien das Publikum zu fesseln. Nicht zuletzt freilich dank einer exzellenten Sängerbestzung und hochrangiger musikalischer Wiedergabe.

Vier Strauss-erfahrene Hauptdarsteller hatte man sich aus Wien ausgeborgt.

Ildiko Raimondi sang ihre erste szenische „Capriccio“-Gräfin. In Wien war sie ja schon 2008 bekanntlich Cover für Renée Fleming (und wird es im Juni 2013 wieder sein) und beim konzertanten Wiener Staatsoperngastspiel in Garmisch 2009 (unter Peter Schneider) offerierte sie dann ihr faszinierendes Rollenporträt erstmals einem Publikum von Strauss-Kennern. Eine dermaßen vor Charme sprühende und gescheite Person mit allen optischen Vorzügen bringt schon einmal die besten Karten für den Erfolg in dieser Rolle mit. Darüberhinaus scheint ihr die Partie in die Kehle geschrieben zu sein. Die niemals zu hochdramatischem Volumen angewachsene Stimme von Ildiko Raimondi war ja immer tragfähig. Nun ist sie voll ausgereift, die Höhen aus ihrer Koloraturzeit sind gefestigt und ihr immer schon stark ausgeprägtes lyrisches Vermögen ist erhalten geblieben. Eine perfeke Technik erlaubt der Künstlerin, die von Richard Strauss geforderten Schwebetöne in allen Lagen nicht nur ohne Mühe, sondern mit hörbarem Genuss zu produzieren. An Wortdeutlichkeit hat sie ihrer amerikanischen Kollegin zudem einiges voraus! Sowohl im kurzen Sommerkleidchen als auch fürs abschließende Diner in weißer Abendrobe mit Schleppe war sie bezaubernd anzuschauen, bewegte sich mit natürlicher Grazie und fesselte und amüsierte, wie auch in anderen Rollen, durch ein lebhaftes, mit der jeweiligen musikalischen Aussage wechselndes Mienenspiel. Ohne sich dezidiert „in Szene“ zu setzen, war sie ruhender, aber auch lebendiger Mittelpunkt des Geschehens. Die ganz auf die Gräfin zugeschnittene Schlussszene der Oper erfüllte sie mit dem Wohlklang ihres unvermindert jugendlich tönenden Soprans und den geforderten Höhenaufschwüngen ganz im Sinne des Komponisten und der Textdichter. Jetzt kann es für Ildiko Raimondi kein weiter Weg mehr zur Marschallin oder Arabella sein…

Ihr Bühnenbruder, der Graf mit der großen Theaterleidenschaft, war, wie in Wien, Bo Skovhus. Dank der offenbar jede übertriebene Aktion bremsenden Regie von Rebekka Stanzel bewegte er sich in Budapest viel natürlicher, und da es weder eine aufgemotzte Rokoko-Gewandung noch Perücken gab, sondern geschmackvolle, einfache zeitlose Kostüme, war Skovhus in weißem Hemd und heller Hose und Jacke eben ein Graf von heute, unterstützt durch eine lockere Singweise, die seinen hellen Bariton bestens zur Geltung brachte. Der nötige Humor und Charme für die Rolle wurde ebenfalls nicht ausgespart

Für den komponierenden Verehrer der Frau Gräfin erwies sich der tenorale Lyriker Jörg Schneider als Idealbesetzung. Vokales Ebenmaß, basierend auf einer schönen Stimme und exemplarischer Textbehandlung, verbunden mit lebhafter Bühnenpräsenz, boten ein ungetrübtes Hör- und Schauvergnügen. Sein ungarischer Dichterkollege, Zsolt Haja, dunkelhaarig und –äugig, mit ebensolcher Sing- und Sprechstimme, war mit zupackendem Temperament als Olivier ein potenter Rivale um die Gunst der Gräfin. Immer wieder wundert man sich, wie gut Franz Hawlata als La Roche ist. Sein Bass ist nicht von umwerfender Kraft oder Schönheit, aber in dieser komödiantischen Rolle weiß er derart klug seine Pointen zu setzen und darstellerisch zu punkten, dass dieser gewitzte Theaterdirektor mit seinen Weisheiten, seiner Angeberei und Selbstverliebtheit allemal über die Rampe kommt.

Ein Star aus Ungarn verdient besondere Erwähnung: die Schauspielerin Clairon von Andrea Meláth. Ihre klang- und kraftvolle Sprechstimme ebenso wie ihr voluminöser, durchschlagskräftiger Mezzo und eine brillante Rollengestaltung machten diese Figur zu einer interessanten Gegenspielerin der feinsinnigen Gräfin.

Lustig und stimmmächtig, aber als italienisches Sängerpaar nicht ins Lächerliche abgleitend, präsentierten sich Ágnes Szalai und István Horváth. Der Tänzerin von Dóra Szelöczey fehlte ein effektvolles Kostüm, um ihre körperliche Virtuosität voll zur Geltung zu bringen. Sehr effektvoll hingegen das Auftritt des Monsieur Taupe, Jòzsef Csapó, dessen tragfähige Sprechstimme ebenso wie die des Haushofmeisters von Dömötör Pintér so viel Aufmerksamkeit auf sich zog wie diverse Singstimmen. Auch die 8 teils sprechenden, teils singenden Diener holten aus ihrer köstlichen Szene das Beste heraus. Es wurde generell erstaunlich gutes Deutsch gesungen und gesprochen.

Der Wiedergabe dieser kostbaren Strauss-Partitur durch das National Philharmonic Orchestra hörte man an, dass Zoltán Kocsis das Werk mit viel Liebe einstudiert hatte und diese von den Musikern erwidert wurde. Zwischen Sängern und Musikern herrschte perfekte Harmonie, ebenso wie zwischen Bühne und Graben.

Statt Kulissen zeigte der Ausstatter Markus Pysall Hintergrundprojektionen, Räume oder einen Garten andeutend. Auf mehreren Ebenen und einem nach vorne abfallenden Hauptschauplatz in sanftem Grün mit ein paar Sesseln und Tischchen, einem Cembalo und Spiegeln, atmosphärisch unterstützt durch gediegene Beleuchtung, die jede Einzelheit gut sichtbar machte, spielte sich auf denkbar natürliche Weise die Handlung, die eigentlich keine ist, ab. Das Stück lebt von der feinen Herausarbeitung der zwischenmenschlichen Beziehungen und des Gedankenaustauschs rund um das kunstbezogene Grundthema dieses „Konversationsstücks für Musik“. Es lebte sehr eindrucksvoll!

Als Koproduktion zwischen dem Palace of Arts und der Philharmonie entstanden, möchte man dieser gelunenen Produktion weitere koproduzierende Austauschpartner wünschen!

Sieglinde Pfabigan

 

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