Ungarische Staatsoper: ARIADNE AUF NAXOS Première am 17.5.2013, besuchte Vorstellung 19.5.2013
Foto: Attila Nagy
Zum ersten Mal wurde diese Oper in Budapest 1919 in ungarischer Sprache aufgeführt. Eine zweite Aufführungsserie folgte erst 1967 und gleichfalls auf Ungarisch. Die nunmehr dritte Produktion ist die erste in deutscher Sprache und erfolgt ohne Pause zwischen Vorspiel und Oper.
Während der Ouvertüre wird die Vorgeschichte in der Art früher Stummfilme erzählt. König Minos von Kreta (János Gurbán) freut sich gemeinsam mit seiner Gattin Pasiphaë (Tünde Szabóki) auf ihr Baby. Zur Strafe, weil Minos einen Stier des Poseidon nicht geopfert hatte, musste sich seine Gattin mit dem Stier paaren. Und völlig überrascht zeigt sich die Gynäkologin und Geburtshelferin Dr. Zerbinetta Metzger als der Minotaurus, halb Mensch, halb Stier geboren wird. Dessen Halbschwester (Borbála Csalog) tollt mit dem kleinen Minotaurus (Milovan Goran Bredács) rund um den Tisch. Und diese Szene wiederholt sich dann zwischen der erwachsenen Ariadne (Tünde Szabóki) und dem ebenfalls herangewachsenen Minotaurus (Gábor Mihályi). Ariadne packt nun ihre Koffer und stapelt sie auf die von Theseus (Ferenc Anger) bereitgestellte Beiwagenmaschine und nimmt in dieser umständlich Platz. Theseus aber startet das Motorrad und braust davon und lässt Ariadne in ihrem Beiwagen auf Naxos zurück… (siehe: http://www.youtube.com/watch?v=J1x8ylJPnL8&feature=player_embedded )
Der Grazer Schauspieler und Regisseur Franz Tscherne leitete als Haushofmeister vom Zuschauerraum aus stimmlich etwas eindimensional das Vorspiel. In dieser Rolle hatte er bereits 2003 sein Operndebüt am Teatro la Fenice gegeben. Eine rote Smoking Jacke verlieh ihm dabei mehr das Aussehen eines Entertainers im Fernsehen. Gegen Ende der Oper betritt er die Bühne und schießt wie ein Amokläufer wahllos in die Zuschauermenge.
Regisseur Ferenc Anger arbeitete in seiner Inszenierung besonders stark die Kontraste zwischen Tragödie und Komödie heraus. Slapstick artig wirkte da etwa die Auseinandersetzung zwischen Zoltán Megyesi als Tanzmeister und János Gurbán als Musikmeister, in dessen Verlauf sich Letzterer an den in einem Rollstuhl sitzenden Tanzmeister (!) heranschleicht, um den lästig gewordenen Konkurrenten endgültig auszuschalten. Und das Personal der Commedia dell‘arte trat im Vorspiel völlig passend zur Musik von Richard Strauss swingend wie in einer Diskothek auf (Choreographie: Marianna Venekei).
Während des Vorspiels werden noch lebensgroße nackte Puppen, deren rechtes Bein angewinkelt nach oben zeigt, im Hintergrund der Bühne hin- und hergetragen. In der Oper liegen diese nackten Männer dann uniform nebeneinander und unterstreichen dadurch noch den totalitären und militärischen Charakter der Insel. Und schließlich treten auch einige dieser Männer in hautfarbenen Trikots mit einem Feigenblatt und Melone auf, die den Eindruck von gärtnernden Nudisten erwecken.
Foto: Peter Herman
Die Primadonna Tünde Szabóki betritt Zigarette rauchend die Bühne und hält dabei ihren rechten Unterarm gelangweilt auf die linke Handfläche gestützt. In der eigentlichen Oper liegt sie dann als Ariadne (gr. „die Heiligste“) gemeinsam mit dem Knaben Minotaurus unter einer riesigen schwarzen Oktopus Puppe (entworfen von Vera Koryürek), die sie in ihrer Todessehnsucht mit den Tentakeln beschützend zugedeckt hält. Der Regisseur möchte uns mit diesem riesigen Oktopus wohl glauben machen, dass sowohl für Ariadne als auch ihre Mutter Pasiphaë Sodomie keine abnorme Passion darstellte. Und auch die drei Nymphen und die Komödianten kommen nicht umhin, diesen Kraken zärtlich zu streicheln…
Zu ihrer herausragenden schauspielerischen Gestaltung der gebärenden Pasiphaë wie der verzweifelten Ariadne im Stummfilm gesellten sich bei Tünde Szabóki auch prächtige Straussbögen und eine ausladende eindrucksvolle Höhe. Von Theseus auf Naxos zurück gelassen, zeigte der Beiwagen des Motorrades inzwischen deutliche Rostspuren auf. Und auch ihre einstige luxuriöse Kleidung wich inzwischen schmutzigen Lumpen. Wen wundert es also, dass sie sich lieber Bacchus, dem Gott des Weines und der leidenschaftlichen Ekstase hingibt, der mit einer roten Phallusförmigen Lokomotive vom Schnürboden senkrecht zwischen ihren gespreizten Schenkeln auf der Bühne landet. Und an Stelle des treulosen Theseus entführt nun Bacchus Ariadne mit dessen Beiwagenmaschine und die beiden verschwinden hinter einer Gräserwand, die plötzlich aus dem Boden sprießt.
Neben der stimmlich hervorragend disponierten Titelheldin muss Viktória Vizin als larmoyanter Komponist in silbernem Anzug mit schön geführtem Mezzosopran besonders hervorgehoben werden. Berührend zeigte sie den inneren Kampf eines jungen Künstlers und seine psychische wie physische Vernichtung durch die erlittene äußerste Demütigung auf. In seiner Verzweiflung feuert der Komponist einige Schüsse aus seiner Pistole auf die Partitur und betritt am Ende des Vorspiels, die beiden Hälften des geschlossenen Vorhangs haltend, noch einmal völlig resigniert die Bühne. Und als sich schließlich der Vorhang für die Oper erneut öffnet, hängt der Komponist an den beiden Enden und wird der Länge nach in zwei Hälften gerissen.
In der Doppelrolle als Tenor und Bacchus gab Thomas Piffka sein respektables, aber nicht außergewöhnliches Debüt an der Ungarischen Staatsoper. In Wien war der Sänger an der Volksoper als Hoffegut in Walter Braunfels „Die Vögel“, als Christobald in Franz Schrekers „Irrelohe“ und als Graf Zedlau in „Wiener Blut“ zu sehen. In der Rolle des Alwa in Alban Bergs „Lulu“ trat er sowohl an der Staatsoper als auch bei den Salzburger Festspielen auf. Die Spitzentöne schienen ihm keine besonderen Schwierigkeiten zu bereiten, allerdings gab es und gibt es für diese Partie stimmstärkere Tenöre. Am Ende wurde er aber vom Publikum gleichermaßen wie die übrigen Protagonisten mit Applaus bedankt.
Die drei Nymphen wurden von Zita Váradi als Najade, Atala Schöck als Dryade und Eszter Wierdl als Echo stimmlich anmutig und hingebungsvoll vorgeführt. In ihren Faltenröcken und Uniformjacken mit dazugehörenden Kappen wirkten sie wie Gefängnisaufseherinnen in Guantánamo.
Diesem Terzett stand aber mit Dániel Vadász als Scaramuccio, Krisztián Cser als Truffaldin, István Horváth als Brighella und Csaba Szegedi als Harlekin ein ebenso stimmlich ausgewogenes wie spielfreudiges Commedia dell‘arte Personal gegenüber. Undi in einer Art von Preisverleihung, wie man sie von sportlichen Wettkämpfen her kennt, steigen die drei Nymphen und die Komödianten, bis auf Harlekin, ein Siegespodest.
Sehr engagiert traten noch in den kleineren Rollen Róbert Rezsnyák als Perückenmacher und Tamás Szüle als Lakai auf.
Ein Wermutstropfen aber blieb die Zerbinetta von Rita Rácz, die für diese äußerst anspruchsvolle Rolle eine viel zu kleine Stimme hatte. Obwohl das Orchester gegenüber anderen Opern von Richard Strauss wesentlich kleiner ist, erklangen ihre Koloraturen für mich jedenfalls viel zu leise. Mit der Pistole des Komponisten erschießt sie sich dann auch bei vorgehaltener tragischer Maske gegen Ende der Oper. Das Publikum an diesem Abend teilte jedoch nicht die Ansicht des Rezensenten und bedachte ihre Bravourarie mit Bravorufen.
Die abstrakten Bühnenbilder für das Wiener Palais im Vorspiel sowie die „öde“ Insel der Oper und die originellen Kostüme entwarf Gergely Z. Zöldy.
Domonkos Héja leitete das Orchester der Ungarischen Staatsoper umsichtig, wählte die passenden Tempi für die Protagonisten und fügte auch die Ensembleszenen gehaltvoll zusammen. Die Doppelbödigkeit der Partitur, die Richard Strauss raffiniert zwischen echten Gefühlsausbrüchen und gespieltem Pathos changieren lässt, setze der begabte junge Dirigent mit dem Orchester eindrucksvoll um. Bravo!
Harald Lacina