Budapest: „ARABELLA“ mit Ildikò Raimondi – 27.5.2104
Mit ihrem unvergleichlichen Charme, einer reizvollen Mischung aus Mädchenhaftigkeit, einer hübschen Portion Schelmerei und der Ausstrahlung einer beglückend positiven Lebenseinstellung, bezauberte Ildikó Raimondi bei ihrem Rollendebut an der Budapester Staatsoper. In einer Repertoire-Vorstellung, für die es eine einzige Ensembleprobe mit Orchester gegeben hatte! Wie nicht anders von ihr erwartet, wirkte sie so sicher, als hätte sie die Rolle schon ewig gesungen. Mit jener optimalen Wortdeutlichkeit, die auch ihre „Capriccio“-Gräfin (im März 2013 am Palast der Künste in Budapest erstmals szenisch präsentiert) ausgezeichnet hatte, erreichte sie auch als Arabella das Publikum, in dem ebenso viele englisch- wie deutsch-sprachige Gäste sich mit den einheimischen Besuchern das Vergnügen teilten, und erleichterte sich selber damit das Leben als Sängerin. Sie kommt ja aus dem lyrischen Bereich, dem eine Koloraturvergangenheit vorausgegangen war. Die sichere Höhe und die vokale Beweglichkeit hat sie sich erhalten können, während die Stimme größer gworden ist und sich verbreitert hat. Sie muss nicht forcieren, um den dramatischeren Anforderungen gewachsen zu sein, denn ihr kultivierter Sopran trägt in allen Lagen. Ein paar etwas angestrengt klingende Spitzentöne wird sie sicher noch organischer aus der Linie heraus entwickeln können. Als die größte Stärke Ildikò Raimondis erwiesen sich Straussens herrliche Kantilenen: „Du wirst mein Gebieter sein…“, mit träumerisch-verklärtem Blick in Richtung Zuschauerraum gesungen, musste nicht nur ihren Zukünftigen be-circen. Ich fand es schön, dass sie ihm dabei nicht ins Gesicht schaute und daraus ein devotes „statement“ machte, sondern ihrer Vision vom gemeinsamen künftigen Glück Ausdruck verlieh. Die Rolle liegt dieser Künstlerin auch deshalb besonders, weil man ihr die Intelligenz, die Strauss und Hofmannsthal ja bekanntlich der jungen Aristokratin mit auf den Lebensweg gegeben haben, voll abnimmt. Ihr kluges, überlegenes Verhalten dem eifersüchtigen Mandryka gegenüber im 3. Akt war imponierend. Und vom mehr als passenden Aussehen Ildikó Raimondis für „die Allerschönste“ muss man wohl nicht erst zu schwärmen beginnen…. Da war einfach alles authentisch.
Die Inszenierung von Géza Bereményi in der Ausstattung von Attila Csikós (Bühne ) und Rita Velich (Kostüme) belässt dem Stück die aristokratische Noblesse der Zeit, in der die Autoren es angesiedelt haben (um 1860), zeigt sehr geschmackvolle und gut bespielbare Hotelräumlichkeiten im 1. und 3. Akt und im Mittelakt einen prächtigen Ballsaal mit vielen kostbaren Lustern, sowie periodengerechte Kostüme für alle Darsteller. Durch die Fenster in der Rückwand sieht man im 1.Akt eine Winterlandschaft und nach der finalen Lösung der Wirrnisse und ehe Arabella mit dem Wasserglas auftritt, wird ein dezent beleuchteter Zwischenvorhang mit der verschneiten Wiener Karlskirche im Hintergrund gezeigt. In diese Produktion (Premiere im April 2012) können demnach mühelos auch neue Sänger einsteigen, sodass zu hoffen ist, dass sie sich lange im Repertoire hält.
Die ungarischen Sänger, die das restliche Ensemble stellten, größtenteils seit der Premiere gleich geblieben, hatten sämtlich überaus kräftige Stimmen, allerdings von unterschiedlicher Qualität. Zum Mandryka, dem kraftstrotzenden Naturmenschen aus den walachischen Wäldern, passte der explosive, etwas grobkörnige Bariton von Béla Perencz ebenso wie sein markantes Profil und die vitale Rollengestaltung. Eine ähnliche Erscheinung war der Vater Waldner, Lászlo Szvétek, dessen kantiger Bass allerdings nichts Aristokratisches an sich hatte. Die drei Verehrer Arabellas, Attila Wendler (Elemér), András Káldi Kiss (Dominik) und Sándor Egri (Lamoral) wirkten ebenfalls eher penetrant als liebevoll, d.h. nicht fehlbesetzt. Mit zwar weniger Volumen, aber dafür kultivierter und durchaus tragfähig war die Tenorstimme des Matteo, István Horváth, gut anzuhören. Zur „großen Schwester“ kontrastierte bestens die burschikose Bori Keszei als flotter Zdenko mit hellem, ins jugendlich-Dramatische tendierendem, sehr sicher geführtem Sopran und am Ende als anmutige Zdenka. Die Fiakermilli der Erika Miklósa im pompösen Abendkleid durfte sich die Extemtöne der im Grunde unmöglichen Partie ersparen, machte aber auch wenig Effekt. Von Mama Adelaide, Bernadett Wiedemann, und der Kartenaufschlägerin der Zsuzsanna Fulöp vernahm man zu Beginn der Oper ebenso gewichtige wie scharfe Stimmen und verstand kein Wort. Erst in den beiden Folge-Akten konnte die Mama sich profilieren.
Was schon der Premieren-Rezensent (siehe „Merker“ 5/2012) der Regie angekreidet hatte, kann ich nur unterstreichen: Die Komödie kam zu kurz. Jegliche Feinzeichnung der einzelnen unterschiedlichen Charaktere fehlte. Nur was die Sänger von sich aus mitbrachten, kam über die Rampe. Da wäre natürlich am Text auch noch einiges zu arbeiten gewesen, bei den Solisten wie beim Chor.
Von bemerkenswerter Qualität war das Orchester, und damit die musikalishe Basis der Aufführung. Der aus Graz stammende, Strauss-erfahrene Gast-Dirigent Günter Neuhold hatte nicht nur alles sicher im Griff, sondern vermochte auch die volle Schönheit der Straussischen Musik zu präsentieren, ohne den Sängern das Leben durch übermäßige Lautstärke zu erschweren. Die Musiker spielten mit spürbarer Lust, delektierten sich an diversen effektvollen Soli (Klarinette!) und verstanden sich offensichtlich als ebenbürtige Partner der Bühnenakteure. Insofern: eine würdige Huldigung an das Geburtstagskind Richard Strauss, den die Budapester Staatsoper immerhin mit drei Produktionen geehrt hat!
Sieglinde Pfabigan