Foto vom Schlussapplaus. Foto: Michael Tanzler
30.08. 2020 Brno, Burghof Spilberk: „NABUCCO“
Jedes Jahr gibt es einige Vorstellungen des Nationaltheaters Brünn im Hof der ursprünglich mittelalterlichen Festung Spilberk, die im Laufe der Jahrhunderte als Burg, Festung, Gefängnis, Kaserne, sowie zuletzt als Ort von kulturellen Veranstaltungen dient – wobei letzteres mit Abstand das Wünschenswerteste ist. Nach „Traviata“ und „Carmen“ war dieser „Nabucco“ die vorletzte Aufführung, am Tag darauf ist noch der „Barbiere“ am Programm.
Der recht große Hof ( geschätzt 700 – 800 Personen ) hat eine blendende Akustik – Gott sei Dank alles unverstärkt – das Orchester sitzt, durch ein Zelt geschützt an der Seite, was dem Klangerlebnis keinen Abbruch tut, die Bühne ist von einem großen „Segel“ ebenfalls gegen leichten Regen geschützt. Gott sei Dank hörte der Regen und Sturm unmittelbar vor 19.00 auf, und die Vorstellung lief ungetrübt ab. Jede Störung wäre schade gewesen, denn der Abend bot eine ausgezeichnete Aufführung der Verdischen „Freiheitsoper“, die György Selmeczi klar und deutlich den Vorgaben des Librettos folgend in den der einfachen, passenden Szenerie und mit farbenprächtigen, stilisiert historischen Kostümen ( für beides zeichnete Josef Jelinek verantwortlich ) in Szene setzte. Chor ( Einstudierung Pavel Konarek) und Orchester des Narodni divadlo Brno boten eine Umsetzung der genialen Partitur des Bussetaner Meisters mit Verve und dem Schuß „Italianitá“, die einem auf quasi „ Verdi-belcantesken Flügeln“ gedanklich in südlichere Gefilde „fliegen“ ließ. Jaroslav Kyzlink war routiniert am Pult, den Sängern ein sicherer Begleiter – die Kommunikation erfolgte ausschliesslich durch Augenkontakt, ohne irgendwelche Bildschirme oder andere technische Hilfsmittel, und das vorzüglich! – verfiel nur an einigen wenigen Stellen zu sehr ins „galoppieren“. Die Prophezeiung des Zaccaria etwa wurde etwas zu flott, da auch schon das „Va pensiero“ recht forsch angegangen wurde.
Jiri Sulzenko lieh dieser anspruchsvollen Partie seinen imposanten Baß, der sonor in die Tiefe dringt, aber auch bei den von manchen Bässen gefürchteten Höhen mühelos erreicht. Einzig die Diktion würde etwas mehr Deutlichkeit verlangen. Der Ismaele wurde von Petr Levicek mit heldischem Applomb und großer Stimme gegeben, Veronika Hajnova-Fialova gefiel mit klarer Tongebung und angenehmen Mezzo als Fenena, als Baalspriester gab es von Ladislav Mlejnek prägnante Einwürfe mit klangvollem Baßbariton, Zoltan Korda als Abdallo und Daniela Strakova-Sedrlova ergänzten mit Engagement und ohne Tadel.
Csilla Boross. Foto: Michael Tanzler
Zu einem besonderen Abend wurde die Aufführung jedoch durch das Protagonistenpaar Nabucco – Abigaille. Martin Barta erinnerte mich bei seinem Auftritt mit seiner heroischen Gestalt sofort an seinen großen Fachkollegen Silvano Carolli ( der im April leider in Lucca an Covid19 verstorben ist ), gleich ihm kann er auch einen mächtigen Bariton vorweisen, der ungemein sicher geführt wird, und zu wunderschöner kantabler Linie ebenso fähig ist ( etwa im fein gestalteten „Dio di Giuda“ ) wie zu kräftigen Ausbrüchen und exzellent gestalteten Rezitativen. Ausserdem verfügt der Bariton aus Böhmen, der fix in Prag, aber gastspielmäßig in der weiten Welt – u.a. auch schon in Paris – aufgetreten ist, über eine blendende italienische Diktion. Einer der Höhepunkte des Abends war für mich auch eine meiner Lieblings- Szenen des Werkes, das große Duett Nabucco mit Abigaille. Dass diese aufgrund von Neid und auch unglücklicher Umstände zum Bösen abgerutschte Königstochter ( sie bereut ja dann vor ihrem Tod ) kein aus tiefstem Herzengrunde böses „Monster“ ist, als das sie des Öfteren dargestellt ( und auch so vokal interpretiert ) wird, konnte Csilla Boross durch ihren differenzierten Gesang bestens über die Rampe bringen. Ihr persönlich timbrierter Sopran ist so vieler Nuancen fähig, besticht mit Modulationsfähigkeit und wundervoller Linienführung, begeistert mit leuchtenden Höhen, die immer rund und gedeckt kommen. So gestaltete sie ihre große Szene zu einem Kabinettstückchen, ist durch ihr nie gekünsteltes , authentisches Spiel und ihre Bühnenpräsenz eine erstklassige Interpretin dieser herausfordernden Partie und verdient absolut das Prädikat „Weltklasse“. Wo bleibt das Engagement für Wien für diese ungarische Künstlerin, die erst vor zwei Wochen im Weinviertel auch ihre Eignung fürs deutsche Fach so nachhaltig mit ihrer Senta bezeugt hat?
Das Publikum, das ganz „normal“ die Sitzreihen füllte, weit und breit waren auch keine Masken zu sehen, war während des Abends erstaunlich ( zu! ) zurückhaltend , bereitete dann aber dem Ensemble am Ende langen und herzlichen Applaus – Solovorhänge gab es nicht.
Positiv aufgefallen war mir der hohe Anteil von jugendlichem Publikum, viele Pärchen geschätzt zwischen 20 und 30, und die Ruhe und Konzentration des Auditoriums.
Negativ hingegen, daß eine „Wärterin“ wie ein Habicht während der ganzen Spieldauer die Reihen musterte, und bei Zücken eines Handys auf den oder diejenige losstürzte, sich durch die Reihen bis weit zur Mitte durchwand, manchmal auch „erfolglos“ , und so den Abend mehr störte, als das kurze Aufleuchten ( geblitzt hatte keiner ) der Handys. Sogar beim Schlussapplaus versuchte sie noch das Fotografieren zu unterbinden – lächerlich. Auch wenn es „offiziell“ verboten ist, kein Theater der Welt kann Aufnahmen heute mehr verhindern, und es kursieren sofort Ausschnitte von allen Aufführungen, die man sehen möchte im Netz. Das tut auch keiner Branche mehr weh, die Sänger freuts sogar, also da brauchts einfach mehr Gelassenheit. Das Agieren dieser Dame erinnerte leider stark an Zeiten vor der Wende – einfach schade, weil man sich sonst sehr wohl fühlt, und man überall freundliche Leute antrifft, und speziell die Mitarbeiter des Theaters in Brünn sehr zuvorkommend sind.
Michael Tanzler