Bratislava Neues Opernhaus
FAUSTS VERDAMMNIS von Hector Berlioz
21.Oktober 2016 Premiere halbszenisch
Himmelfahrt auf dem Thonetsessel
Vom Himmel schwebt sie herab, die Sünderin, und wird zuletzt wieder erlöst und harfenumrauscht hochgezogen auf ihrem winzigen Thonetsesselchen, hoch über die gesamte Bühnenhöhe. Man müßte annehmen, dass der Sängerin der Marguerite die Himmelfahrt einigermaßen in die Glieder fährt, aber hinterfragt, zeigte diese sich souverän und outete sich als begeisterte Bungee-Jumperin.
Ja, man war schon dankbar, wenn die Solisten zur Abwechslung auch agieren durften an diesem Abend, denn was uns Berlioz da hinterlassen hat, ist von allem etwas, ein wenig Oper, viel Ballett und ein wenig auch Chorsymphonie, das alles zusammengefasst aus ersten Einzelvertonungen zu einer “Dramatischen Legende”. Zu diesen “Huit scénes de Faust” schrieb Carl Friedrich Zelter 1829 über seine Einschätzung der Komposition an Goethe nur wenig Schmeichelhaftes: “Der Schwefelgeruch des Mephisto zieht ihn (Berlioz) an, nun muß er niesen und prusten, dass sich alle Instrumente im Orchester regen und spuken…”
Er wolle weder Goethe übersetzen, noch nachahmen, sondern, so Berlioz, lediglich dessen Werk auf sich wirken lassen in dem Bestreben, dessen musikalischen Gehalt zu erfassen. Die Worte der Vorlage waren für ihn lediglich Stimulans, wie auch so mancher Ort für die musikalische Anregung sorgte, etwa der Rakóczy-Marsch, der bei einem Budapest-Aufenthalt des Komponisten entstand. Heraus gekommen ist jedenfalls eine musikalische Sprache, der man heute noch anhört, wie neu und wie aufregend diese Musik in einer Zeit wirken mußte, in welcher die Hörgewohnheiten noch von Klassik und Frühromantik geprägt waren.

MONIKA FABIANOVÀ als Marguerite
Die Oper Bratislava versuchte dieses Kolossalgemälde aus Einzelszenen auf die Bühne zu wuchten, aber es blieb von dieser Absicht, wenn eine solche überhaupt erkennbar war, nur Stückwerk, wie es eben bei einer halbszenischen Aufführung zu erwarten war. Soll man heutzutage dankbar sein, wenn eine Inszenierung ohne irgend ein sichtbares Konzept, ohne eine Deutung, ohne einen Interpretationsversuch, ohne Überfrachtungen mit Aktuellem über die Bühne geht? So aber sah man das, zugegeben exzellent tanzende hauseigene Ballettensemble in einfachen schwarzen oder weißen Kostümen – je nach Zugehörigkeit der Tanzenden zum Bereich Hölle, Erde oder Himmel – in moderner Choreographie als nahezu ständig kommentierende Truppe, wobei auch die Hauptfiguren ihr tanzendes Gegenüber hatten.
Die Solisten nahmen scheinbar wahllos ihre Positionen ein, wobei erst im zweiten Teil, ab erscheinen der Marguerite,auf mehr Leben in einer personenbezogenen Regie Wert gelegt wurde. Chorisches wurde auf – oder aber auch vor einer Tribüne im Hintergrund in Straßenkleidung geboten. In den Zwischenspielen wurde auf einer Riesenleinwand eine Totale des Dirigenten von einer im Orchestergraben befindlichen Kamera gezeigt. Eigentlich ein gestalterisches Versäumnis, denn da hätten wohl phantasievollere Projektionen gut gewirkt.
So verbleiben auf leerer Bühne – die sich akustisch für die, auch einmal weiter hinten agierenden Solisten nicht gerade positiv auswirkte – viele Sesseln (natürlich auch von Thonet) – und jenes von der Decke hängende Gestell, unter dessen Abdeckung Faust auftritt und letztlich mit dem Höllenfürsten wieder verschwindet. Und naturgemäß auch genügend an Bühnenrauch. Marián Chudofský hatte diese Regie ersonnen, Jaroslav Valek war für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich, die Choregraphie erarbeitete Igor Holovác.

MONIKA FABIANOVÀ, Marguerite und BORIS PRÝGL, Brander
Keine Frage, die hübsche Marguerite ist der stimmliche und optische Aufputz dieser als halbszenisch angekündigten Aufführung. Monika Fabianová, mit einer Körperhaltung und einem schmerzlichen Gesichtsausdruck voll auf den Spuren des Goetheschen Leidensoriginal und nicht zuletzt ihr ruhig strömender und wohlklingender Mezzo konnten begeistern.
Als Mephisto bot Daniel Capkovic einen ausdrucksstarken Bassbariton für den Mephisto auf, und mit sehr gutem Baritonmaterial wußte Boris Prýgl als Brander zu gefallen.
Der Wermuthstropfen in der Besetzung der Titelrolle war der diesmal hoffentlich nur indisponierte Lúdovít Luhda. Er mühte sich redlich ab mit diesem, alles fordernden Höhenregister.
Unter der Leitung von Rastislav Stúr spielte das Orchester der Slowakischen Nationaloper, wobei gerade die wichtigen Anteile im Bassregister der Bläser und die delikaten Anteile der Holzbläser im Orchester traditionell ausgezeichnet vetreten sind, aber auch insgesamt das Orchester der brillanten Instrumentationskunst von Berlioz bestens gerecht wurde. Der Chor der SNS war für seine Aufgaben hörbar gut von Pavel Procházka vorbereitet.
Fazit: Halbszenisches mit herrlicher Musik von Berlioz und einer sehr guten Marguerite, man sollte sich das nicht entgehen lassen.
Peter Skorepa
MERKEROnline
Fotos: Tsibor Bachratý