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BRATISLAVA: MANON LESCAUT – 1. Premiere

16.06.2012 | KRITIKEN, Oper

Bratislava: „MANON LESCAUT“ – 1. Pr., 15.6.2012

Man kann sich nur immer wieder wundern, wie unsere östlichen Nachbarländer moderne und dennoch durch und durch ästhetische Inszenierungen zuwege bringen, die allen Theatergesetzen incl. der Musik gerecht werden. Die animierende Optik, die Jiři Nekvasil (Regie), Daniel Dvořák (Bühne) und Mária Fulková (Kostüme) für diese Puccini-Neuinszenierung erdacht und umgesetzt haben, garantiert schon einmal zu einem großen Teil den Abenderfolg.

Der Mut zur Farbe, durch den sich die meisten Produktionen des Slowakischen Nationaltheaters auszeichnen, dünkt einen heutzutage ja schon wieder fast revolutionär.

Zur glutvollen Musik Giacomo Puccinis passen die leuchtenden Rot-Braun-Ocker-Töne der ganz einfachen Kulissen – offene Räume mit mobilen Requisiten – sowie die hellen, jugendlich beschwingt wirkenden Kostüme der jungen Leute im 1. Akt, die kuriosen „Hartschalen“-Röckchen der Tanzgruppe in Gerontes noblem Etablissement , der helle Anzug des Dex Grieux im 1. Akt, die rote Jacke im 2., und insbesondere die zuerst frühlingshafte Aufmachung der mädchenhaften Manon, das raffinierte Goldpalettenkleid der jungen Dame und zuletzt für das Liebespaar simples Schwarz im Finalakt.

Einen tollen Effekt in allen Szenen macht der spiegelglatte Fußboden, in welchem sich die gesamte Gesellschaft quasi selber widerspiegelt und die Titelheldin zum Wunschbild ihrer selbst und der sie adorierenden Männer wird. Die Wüstenlandschaft des letzten Bildes wird in fantasievoller Weise suggeriert: Durch eine wellengleich die Szene abgrenzende Zwischenwand sieht man einen ockerfarbenen Hintergrund, der sich im Abendrot wie eine endlose Wüste ausnimmt. Während sich die Zwischenwand immer mehr senkt und nur noch einen schmalen Spalt offen lässt, erlischt auch dieses letzte Hoffnung-gebende Abendrot und ein grellgelber Mondball bewegt sich im Vordergrund während der trostlosen Sterbeszene der Manon langsam quer über die Bühne und verschwindet mit ihren letzten Atemzügen.

Bemerkenswert ist auch die Klarheit aller Bilder. Nichts wird romantisch-mystisch eingenebelt. Alle Personen werden markant gezeigt, wie es zum Verismo passt. Etwa das Auftreten des unglücklichen Liebespaares im letzten Bild – aus dem Bühnenhintergrund als scharf konturierte schwarze Silhoutten langsam nach vorne wankend, beeindruckt ungemein. Hier kommt Regiekunst wirklich von „Können“ und wird ergänzt durch originelle Einfälle.

Eine leidenschaftliche Orchestersprache voll sinnlicher Farbgebung ist das akustische Pendent zu dieser Optik. Rastislav Štúr hat nicht nur den gesamten klingenden Apparat fest in der Hand, sondern lässt seine Instrumentalisten auch mit fesselndem dramatischem Ausdruck das Geschehen auf der Bühne mitformen. Nie wird die Musik knallig oder sentimental. Weder kommt die Kantabilität in den Solo- und Chorszenen zu kurz noch fehlt es an tragischer Wucht, sei es durch die Intensität der dunklen Streicher, die mit aller Schicksalsgewalt zuschlagenden Pauken oder die Unheil-schwangeren Blechpassagen.

In solchem Rahmen können eigentlich die Sänger gar nicht schlecht sein. Es gab zwar keine Stars von Weltformat im wohlgefügten Ensemble, aber alle Mitwirkenden spielten ihre Rollen glaubwürdig.

Jolana Fogašová war als Manon anfangs ein frisches junges Mädchen mit blonden Locken unterm weitkrämpigen weißen Hütchen, dann die Grande Dame, die diese Rolle spielerisch mit graziösen Bewegungen genießt, und im 3. und 4. Akt die bedauernswerte Kreatur, die nur noch der Liebesfaden, der sie an ihren Des Grieux bindet, aufrecht hält. Ihr dunkler Sopran blühte ab dem 2. Akt schön und groß auf. Dass sich in der öden Wüste mitunter ein Vibrato einschlich – wer wollte es der Todgeweihten verübeln?

Mit imponierenden Höhen trumpfte der junge Italiener aus Ostrava, Luciano Mastro, auf. Damit war er bei Publikum und Partnern auf der Gewinnerseite. Jetzt muss er noch lernen, zum Gesangspart den berührenden Ausdruck auch in der Darstellung zu finden. Noch wirkt alles ein bisschen gewollt.

Locker und elegant setzt der großgewachsene Pavel Remenár als Manons Bruder seinen wohlklingenden Bariton und sein Spieltalent ein. Geronte de Ravour, in der ansehnlichen Gestalt von Gustáv Beláček beileibe kein komischer Alter, sondern ein sarkastischer Kraftlackel, auch stimmlich, besiegelte sehr glaubwürdig das Schicksal der jungen Liebenden. Dem Studenten Edmondo lieh Jozef Kundlak, verdientes Ensemblemitglied des Theaters, seinen vielfach erprobten Tenor und sorgte durch seine Spielfreude für Auflockerung des 1. Aktes. Juraj Peter (Wirt), Jitka Sapara-Fischerová (Musiker), Ivan Ožvát (Ballettmeister), Ján Durčo (Sergeant), Roman Krško (Kapitän) und Martin Gyimesi (Lampenanzünder) vervollständigten kompetent das Ensemble.

In seinen vielfachen Funktionen brillierte, einstudiert von Pavol Procháska, stimmlich wie darstellerisch. der Chor des Slowakischen Nationaltheaters.

Leider musste uns in der Pause Peter Dvorský mitteilen, dass dies seine letzte Premiere als Operndirektor sei, denn ab Herbst werde es diesen Posten nicht mehr bekleiden – trotz der vielen Vorarbeit, trotz unzähliger Kontakte über Koproduktionen mit internationalen Opernhäusern und Gastspielen attraktiver Sänger. Das SND bekommt einen neuen Generalintendanten und der legt offenbar keinen Wert auf einen so hochqualifizierten Mitarbeiter als Hauptverantwortlichen für die Sparte Oper.

Dvorský erzählte uns jedoch begeistert von hochbegabten jungen Sängern, mit denen er arbeite, und von geplanten Meisterkursen…Und wie sehr sich sein 6-jähriger Enkel freue, dass der Opa nun mehr Zeit für ihn haben werde…

Welche dunklen Mächte hinter dieser Nicht-Vertragsverlängerung stecken, entzieht sich unserer Kenntnis.

Sieglinde Pfabigan

 

 

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