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Bouchal / Sachslehner: LOST PLACES

15.03.2021 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

buchcover sachslehner lost places~1

Robert Bouchal (Fotos)
Johannes Sachslehner (Text)
LOST PLACES IN WIEN & UMGEBUNG
224 Seiten, Verlag Styria, 2021

Einst waren es Prachtgebäude aller Arten – Schlösser, Tempel, Klöster, Kasernen, auch Fabriken. Und was geblieben ist, sind vielfach nur Ruinen… Aber diese strahlen einen morbiden Zauber aus, erzählen Geschichten, wenn man näher hinsieht (und sich unter teils schaurigen Umständen auch darin umblickt). Man muss halt wissen, wie man die versperrten Türen und Tore, die Normalbesucher abhalten, geöffnet bekommt…

Das wissen Autor Johannes Sachslehner und sein Fotograf Robert Bouchal schon längst. Nicht zum ersten Mal scheinen sie durch verfallene Gemäuer regelrecht zu kriechen (da schadet es nichts, dass Bouchal auch Höhlenforscher ist) – mit erstaunlichen Effekten, was die Fotografien betrifft. Und der Autor, der teilweise im journalistischen „Ich“ von seinen Entdeckungen erzählt, weiß die Fakten dazu. Wobei es bei den „Lost Places“, die sie nun in Wien und Umgebung vorstellen, allerlei Überraschungen gibt.

Denn man kennt zwar den Theseus-Tempel mitten im Volksgarten, dort steht er noch, wie Kaiser Franz I. ihn ganz nach griechischem Vorbild erbauen ließ. Der riesige Theseus des Antonio Canova, der heute im Kunsthistorischen Museum die Besucher beim Erklimmen der Haupttreppe begrüßt, stand einst dort. Aber wer wüsste schon, dass sich darunter ein großes Kellerareal befindet, in dem man einst allerlei steinerne antike Kostbarkeiten untergebracht hatte, Sarkophage, Statuen, Altäre, Grabsteine – also genau jenes Lapidarium, das sich KHM-Direktor Wilfried Seipel während seiner Amtsjahre so dringend gewünscht hat (er hätte es unter dem Maria-Theresien-Platz errichten lassen). Wie man weiß, kam es nicht dazu, und der Keller unter dem Theseus Tempel war schon im Todesjahr von Kaiser Franz nicht mehr öffentlich zugänglich – was man heute an Temperatur und Feuchtigkeit regeln könnte, war damals noch nicht möglich, die Objekte nahmen Schaden, das Ganze geriet in Vergessenheit. Bis Sachslehner / Bouchal es für dieses Buch neu entdeckten.

Und noch so manches taucht aus der Monarchiezeit auf, wobei der „Narrentum“ von Kaiser Joseph II. mittlerweile wieder zu besichtigen ist, aber was weiß man schon über dessen „unterirdisches“ Leben? Und man kann auch, um bei den Habsburgern zu bleiben, unter Kuppeln kriechen: Wie faszinierend die Michaelkuppel „innen“ und ganz oben aussieht, eine Sinfonie aus Holz und Eisen, diese Erkenntnis verdankt man den Fotos und dem Text. Unter der Hofburg wiederum „bunkerte“ sich Gauleiter Baldur von Schirach (hier als „Nazi-Prinz“ bezeichnet) in einem Keller ein, staffierte sich das Ambiente nobel aus und überstand dort unten die „Schlacht um Wien“…

Wollte man bei Kellern bleiben und es halbwegs gemütlich finden, dann sind es wohl jene, wo einst heftig getrunken und gegessen wurde (etwa der Esterhazy-Keller), und sexy wird es im ehemaligen „Kaiserbründlbad“, wo man sich in den Tiefen den Bedürfnissen reicher Herren angenommen hat, auch der damalige Schah von Persien war dort.

Aber im Grunde dominieren in dem Buch riesige Betonblöcke über der Erde, und viele erinnern an die Nazizeit, wo man ja so kompakt für „tausend Jahre“ baute, dass selbst Zerstörung, Natur und Vernachlässigung die Dinge nicht ganz aus dem Blick und damit aus der Erinnerung rücken konnten.

Die „Denkmäler aus der Zeit“, wie der große Historiker Gustav Droysen sie nannte (er war der Großmeister der griechischen Antike), „erinnern und erzählen, mahnen und berichten“, wie Sachslehner es ausdrückt. Aber ohne die Fotos wären die Begegnungen nicht annähernd so eindringlich. Und man muss sich wohl mit dem Buch begnügen, denn es sieht nicht so aus, ob man sich selbst auf die Spuren dieser Ruinen, Keller und Gewölbe setzen könnte.

Renate Wagner

 

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