Bordeaux:„TRILOGIE MOZART-DA PONTE“ an der Opéra National de Bordeaux – 4-6 VI 2022 Zum ersten Mal die drei Opern an drei Tagen mit denselben Sängern: eine eindrucksvolle Team-Leistung, die unerwartete Bezüge zwischen den drei Werken aufdeckt – demnächst in Ravenna und Versailles…
So einfach kann es sein: drei Opern an drei Tagen in einem Bühnenbild (von Antoine Fontaine). Hier nächtlicher Zauber in „Don Giovanni“ mit (immer von links) Alix le Saux (Zerlina), Alexander Rosen (Masetto) und Alexandre Duhamel (Don Giovanni). Foto: © Eric Bouloumiç / Opéra National de Bordeaux
„Mozart-Da Ponte-Trilogie“ ist zurzeit ein Mode-Begriff, dem man überall begegnet. In Berlin, Paris und Wien erarbeitet man Neu-Produktionen der „Trilogie“ – meist eine pro Jahr mit demselben Regisseur – als ob es das Selbstverständlichste der Welt sei. Doch wenn man sich die Rezeptionsgeschichte ansieht, entdeckt man mit Erstaunen, dass es fast 200 Jahre dauerte bis der Begriff „Trilogie“ überhaupt erst aufkam. Denn weder der Komponist noch der Librettist haben die drei Opern als ein „Terzett“ verstanden und die Zeitgenossen noch viel weniger. Im 19. Jahrhundert wurde hauptsächlich „Don Giovanni“ gespielt – auch für Wagner „die Oper aller Opern“ – und dies hauptsächlich wegen dem Stoff, mit dem sich im Jahrhundert der Umwälzungen und Revolutionen zahllose (romantische) Dichter und Schriftsteller identifizieren konnten und der dadurch – ähnlich wie Faust – einen ganz eigenen Mythos entwickelte. „Le Nozze di Figaro“ galt als ein etwas veraltetes Lustspiel des verflossenen 18. Jahrhunderts und „Cosi fan tutte“ wurde so gut wie gar nicht gespielt. Erst Gustav Mahler (als Operndirektor in Wien) und Richard Strauss (als Dirigent) holten „Cosi“ wieder ins Repertoire, bis in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die neuen „Mozart Festivals“ in Glyndebourne und Aix-en-Provence programmatisch mit „Cosi“ eröffnet wurden. Und erst Dank dieser Aufwertung von „Cosi“ konnte der Gedanke an eine „Trilogie“ mit drei gleichwertigen Opern keimen.
Giorgio Strehler, der alle drei Werke wunderbar inszenierte, hat meines Wissens, trotz seiner unglaublichen Bildung und Akribie, von 1973 bis 1997 den Begriff „Trilogie“ nie benutzt und die drei Opern ohne erkennbaren Zusammenhang inszeniert. Peter Sellars sprach in den 1990-Jahren wohl von einer „Trilogie“, doch der einzige Zusammenhang war, dass er alle drei Opern in „heutiger Zeit in New York“ inszenierte (was damals für einen Riesen-Trubel sorgte). Soviel ich erinnere, hat Jean-Pierre Ponnelle als einer der ersten die drei Opern ab 1972 in Salzburg in drei ähnlichen Bühnenbildern inszeniert (die an der Wiener Staatsoper von 1977 bis 2022 im Repertoire blieben), bis Pierre Constant als wahrscheinlich erster alle drei „en suite“ 1995 in Tourcoing und dann auf großer Tournee im gleichen Bühnenbild brachte (was mir aber damals keine sonderlichen Einsichten bescherte). Eine Generation später suchen die heutigen Regisseure nach inhaltlichen Bezügen zwischen den drei Werken. So hat Vincent Huguet gerade eine „Trilogie“ in Berlin abgeschlossen, die mit „Cosi“ anfing („Sexualität“ in den 1968-Jahren“), mit „Le Nozze“ weiterging als „Komplikationen in der Zeit um den Mauerfall 1988/89“ und nun im April 2022 endete mit „Don Giovanni“ als „Altersdesillusion in heutiger Zeit“ (2019). Ob dies Konzept aufging oder nicht kann ich nicht persönlich beurteilen, aber nach meinen (Merker-)Kollegen zu urteilen, eher nicht.
Aus Cherubino wird Don Giovanni und dann Don Alfonso
Dagegen geht das Konzept von Ivan Alexandre und Marc Minkowski wunderbar auf, mehr noch: es gibt unerwartete Einblicke in die Zusammenhänge zwischen den drei Opern, die quasi zu einem pochenden Herzen verschmelzen. Und dies, obwohl wir „gefühlt“ alle drei schon „hundert Mal“ gesehen & gehört haben und glaubten sie schon in- und auswendig zu kennen. Dies erreichen sie mit den allereinfachsten Mitteln: einfach indem sie haargenau in die Partitur und in den Text horchten und so musikalische und inhaltliche Bezüge aufdeckten. Es ist ein langes Projekt, mit 20 Jahren (!) Vorlauf (siehe das beigefügte Interview mit dem Regisseur). Denn als Ivan Alexandre 2000/2002 sein Konzept erarbeitete, war er noch ein Musikjournalist und Autor in Paris und war dies zuerst ein Gedankenspiel (seine erste Operninszenierung war erst 2007). Doch da seine Gedankenspiele aus einem hochgebildeten und zugleich fantasievollen Gehirn entspringen (man lese nur seine Bücher und sein für den nächsten Frühling endlich angekündigtes Buch über die Mozart/Da Ponte-Trilogie, an dem er schon viele Jahre schreibt), ging eine Intendantin auf dieses in vieler Hinsicht waghalsige Unternehmen ein. 2015 war die Premiere von „Le Nozze di Figaro“ im Schlosstheater von Drottningholm, 2016 folgte dort „Don Giovanni“ und 2017 „Cosi fan tutte“, die alle drei einzeln im Schlosstheater von Versailles nachgespielt und dort durch mich rezensiert wurden – ohne dass die nun aufgedeckten Bezüge für mich deutlich wurden. Denn diese erkennt man erst, wenn die drei Werke in drei aufeinanderfolgenden Tagen gespielt werden.
Solch ein temperamentvolles Spiel entsteht, wenn ein eingeschworenes Ensemble Wochen, Monate und Jahre zusammenarbeitet. Hier in „Cosi fan tutte“: Ana Maria Labin (Fiordiligi), Alexandre Duhamel (Don Alfonso), Angela Brower (Dorabella) und die Rücken von Robert Gleadow (Guglielmo) und Miriam Albano (Despina). Foto: © Eric Bouloumiç / Opéra National de Bordeaux
Bei den Uraufführungen in Wien und Prag sang Francesco Bennucci erst den Figaro, dann Leporello und danach Guglielmo
Ausgehend von der Aufführungsgeschichte und von dem was Mozart, Da Ponte, einige Sänger und Zeitgenossen dazu in ihren Briefen und Memoiren geschrieben haben, sieht das Konzept von Ivan Alexandre (schematisiert) so aus: Aus dem Cherubino, dessen Herz in „Le Nozze“ für alle Frauen schlägt („ogni donna mi fa palpitar“), wird der wenig wählerische Schürzenjäger Don Giovanni („Non si picca se sia ricca, se sia brutta, se sia bella ; purché porti la gonella voi sapete quel che fa“), der im Alter zum abgebrühten „Frauenkenner“ Don Alfonso mutiert („Giacché giovani, vecchie, e belle e brute (…) Cosi fan tutte“). Mozart baute selbst viele Brücken, indem er u. A. im „Don Giovanni“ ironisch eine Figaro-Arie zitiert („Ach die haben wir schon zu oft gehört“!) und auch Figaro-Versatzstücke in „Cosi“ wieder aufnimmt. Auch die Sänger der Uraufführung(en) sahen & sangen diese lustigen Bezüge, da diese teilweise extra für sie komponiert wurden. So war es z.B. der gleiche Francesco Bennucci, der erst Figaro, dann Leporello und danach Guglielmo gesungen hat. Mit diesem „Ensemble-Geist“ bat Ivan Alexandre den Ausstatter Antoine Fontaine für eine einfache Holzbühne aus der Commedia dell’Arte, mit schlichten Kostümen und Requisiten, die in allen drei Opern benutzt werden und während der Vorstellung am Rande der Bühne liegen, wo die Sänger sich (natürlich stilisiert) vor unseren Augen anziehen und schminken. Erste Überraschung: allein schon durch die einfache Bühne erkennt man sofort szenische Bezüge zu den Lustspielen nicht nur von Beaumarchais (in „Le Nozze“), sondern – für mich total unerwartet – auch zu Molière und Marivaux (vor allem in „Cosi“). Marc Minkowski war bereit, die drei Opern in je drei Tagen zu dirigieren, was keineswegs selbstverständlich ist. Denn das heißt: drei Tage nacheinander drei Stunden (mit stets nur einer Pause) spielen & singen, wonach es nach nur einem Ruhetag (am Ende zwei) gleich wieder im selben Tempo weitergeht. Das sind permanente „Überstunden“ für alle Beteiligten und mit den Proben 4 Monate „Marathon“, mit 24 Vorstellungen (30 wenn man die öffentlichen Generalproben mitrechnet) in nur 2 Monaten! Erst einige Serien in Barcelona und danach in Bordeaux, wo in der von mir besuchten letzten Serie die Sänger also 12 Vorstellungen in 17 Tagen gegeben haben. So entstand ein eingeschworenes, exquisites Mozart-Ensemble, mit Sängern die quasi alle Rollen (oft schon lange) kennen und diese ggf. austauschen und voneinander übernehmen. Sie waren vielleicht nicht ganz so jung wie bei den Uraufführungen (wo z.B. Don Giovanni 21 und Barbarina nur 12 Jahre alt waren!), aber wirkten wie 25-30 Jahre, was den drei Abenden eine beschwingende Jugendlichkeit, Frische und Leichtigkeit gab. Denn es handelt sich ja ursprünglich um eine/drei opera buffa(s) – nur „Don Giovanni“ bekam das einmalige Label dramma giocoso -, die 1786-89 durch eine „Buffo-Truppe“ in Wien und Prag uraufgeführt wurde(n).
„LE NOZZE DI FIGARO“ (4 VI 2022)
Seit sieben Jahren eröffnet er den Vorhang: Robert Gleadow, „darstellerische Säule“ dieser ganzen Trilogie (hier als Figaro, der sein neues Zimmer entdeckt). Foto: © Eric Bouloumiç / Opéra National de Bordeaux
Der Abend wird eröffnet durch den Figaro von Robert Gleadow, den man ohne Einschränkungen wohl als „darstellerische Säule“ dieser ganzen Trilogie bezeichnen kann.
Er ist seit 2015 dabei und der Regisseur erzählte mir, dass Robert Gleadow inzwischen alle Rollen auswendig kennt und in den Proben, falls die Kollegen anderweitig beschäftigt sind, ihren Part gerne übernimmt und so auf einer Probe gleichzeitig Leporello, Don Giovanni und Masetto spielte und sang! Er besitzt eine schier unglaubliche Energie und tigert mit einer solchen Kraft über die Bühne, dass Mick Jagger im Vergleich zu ihm wie ein zahmes, zitterndes Schoßhündchen wirkt. Solch ein Temperament ist manchmal schwierig zu bändigen und in einigen anderen Produktionen – er hat Figaro und Leporello schon über 70-mal in der ganzen Welt gespielt (auch an der Wiener Staatsoper) – sang er für mein Empfinden einige seiner Kollegen an die Wand (so 2013 in Paris). Doch davon ist hier keine Rede, denn es herrscht ein wirklicher Ensemble-Geist, wo niemand den anderen übertrumpfen will. Und sowieso ließ sich seine Susanna nicht an die Wand singen. Denn Ariana Vendittelli ist genauso eine Tigerin wie er und hat ebenfalls quasi alle weiblichen Rollen der Trilogie in ihrem Repertoire. Zwischen den beiden knisterte es so stark (auch an den anderen Abenden), dass die Funken bis ins Publikum sprangen. Ein beschwingter Auftakt! Da konnte der Conte Almaviva natürlich nicht mithalten. Florian Sempey, den wir vor allem als Figaro kennen und schon seit seinen Anfängen verfolgen (man lese das Interview mit ihm), erschien als sympathisch junger Graf, was der Figur eine unerwartete Menschlichkeit gibt. Denn so scheint er nicht aus Zynismus permanent untreu und eifersüchtig geworden zu sein, sondern aus Erziehung – was genau die politische Aussage des Stückes von Beaumarchais war, die auf persönliche Bitte des österreichischen Kaisers durch Da Ponte aus dem Libretto gestrichen wurde.
Florian Sempey, den wir vor allem als sympathischen Figaro kennen (siehe Interview), nun als eifersüchtiger Graf, der der Gräfin (Ana Maria Labin) das Leben schwer macht. Foto: © Eric Bouloumiç / Opéra National de Bordeaux
Ana Maria Labin erscheint – erst hier als Contessa – als ein zweiter Pol des Ensembles. Nicht mit Kraft und Power wie Robert Gleadow, sondern mit einer unglaublich differenzierten Rollengestaltung und so vielen Nuancen, dass jedes Mal wenn sie singt es ganz still im Saal wird – weil sie wie eine Magierin die Zeit anhalten kann und jeder ihr Herz schlagen hören will. So ein mitreißendes „Dove sono“ habe ich selten gehört. Das liegt auch an der Inszenierung: denn da es keine Bühnenbildwechsel gibt (nur Vorhänge mit z.B. gemalten Türen, die die Sänger selbst nach Gebrauch beseitigen), bleibt diese Arie mitten in der allgemeinen Handlung, was im Eindruck alles ändert. Denn jetzt hören wir schon im (rasant schnellen) Rezitativ ein verletztes Herz, das mit sich und dem Leben ringt – und nicht, wie so oft nach dem Bühnenbildwechsel, eine etwas statisch-distanzierte Aristokratin in ihrem goldenen Käfig. Dass sich Cherubino in diese Gräfin verliebt (und, so Beaumarchais, später ein Kind mit ihr zeugt) verstehen wir sofort. Und dass er zuvor für quasi alle Frauen schwärmt, auch. Miriam Albano (die unter Dominique Meyer im Ensemble der Wiener Staatsoper war) ist eine Idealbesetzung: sie stammt aus Venedig und hat die Commedia dell’Arte in ihrem ADN und gleichzeitig singt sie mit fein ziselierten Verzierungen. In „Voi che sapete“ bleibt sie einerseits total in der Rolle und gleichzeitig entwickelt sie in der Wiederholung feine kleine Verzierungen die wir noch nie gehört haben. Das gilt übergreifend für das ganze Ensemble: einerseits wird die Handlung ohne Pausen mit Temperament vorangetrieben, andererseits wird in den Wiederholungen auf höchstem musikalischem Niveau verziert und ziseliert – womit wieder neue Gefühle & Inhalte zum Ausdruck kommen. Langeweile gibt es nicht!
Eine so komische Marcellina wie Alix Le Saux habe ich selten erlebt: nicht eine vertrocknete alte Frau, sondern eine energische „Servante“ von Molière, die sich von Niemandem etwas sagen lässt (auch nicht durch ihren wiedergefundenen Sohn). Auch einen so temperamentvoller Don Basilio war mir neu: Paco Garcia dirigierte als „Hausmusikmeister“ das Sänger-Ensemble im Finale, quasi als ob er dem eigentlichen Dirigenten den Stab aus der Hand nahm. Norman Patzke sang zum Beginn des Abends fulminant die „Vendetta“ des Bartolo und war danach als Gärtner Antonio so urkomisch, dass ich erst beim Lesen des Programmheftes feststellte, dass es sich beide Male um denselben Sänger handelte (dies auch übergreifend für alle Doppel-Rollen). Der musikalische „Ausklang“ des Abends war die Arie der Barbarina. Manon Lamaison gestaltete sie so berührend schön, dass wir alle die Luft anhielten und bedauerten, dass sie so kurz ist. Sie wurde halt für die damals zwölfjährige Anna Gottlieb komponiert – die mit 17 die erste Papagena singen würde.
„DON GIOVANNI“ (5 VI 2022)
So haben wir die berühmte „Katalog-Arie“ noch nie gespielt gesehen: als Buffo-Arie, in der Leporello (Robert Gleadow) seine Kleider auszog und Donna Elvira (Ariana Venditelli) ihn betastete (um wirklich alle Namen zu lesen). Foto: © Eric Bouloumiç / Opéra National de Bordeaux
„Notte e giorno faticar“ – schon wieder eröffnet Robert Gleadow, nun als Leporello, den Abend und es geht ein Lächeln durch das Publikum. Denn es erscheint so als ob der Sänger, der sich weigert den kleinen Bühnenvorhang zu öffnen, nicht mehr in dieser Geschichte mitmachen will. Denn eigentlich wiederholt sich die gleiche Handlung: in „Le Nozze“ kann der Graf mit den Frauen nicht „zur Sache“ kommen, weil an diesem „verrückten Tag“ immer wieder in letzter Minute ein unerwarteter Störenfried erscheint – genauso wie bei „Don Giovanni“ im letzten Moment immer wieder etwas Unerwartetes dazwischenkommt. Beide Male müssen die Diener mithelfen und dabei auch Kostüme mit ihren Herren tauschen etc (viele Parallelen!). Alexandre Duhamel erscheint als Don Giovanni in derselben Frackjacke, die Cherubino getragen hatte (nur dass sie bei dem Jüngling zart rosa war und nun bei dem gestandenen Mann braun geworden ist). Eigentlich kann man nur wiederholen, was man am Vorabend über seine Ensemble- Kollegen geschrieben hat: er singt und spielt temperamentvoll mit sonorer Stimme, was ihn aber nicht daran hindert in der Reprise von „Deh vieni alla finestra“ ins mezza-voce zu wechseln mit einem piano, dass man im Saal die Luft anhält. Seine große Gegenspielerin ist Donna Elvira, aus der Ariana Venditelli (Susanna des Vorabends) eine leidenschaftlich-temperamentvolle Spanierin macht, wieder mit vielen Nuancen, wie z.B. in der Reprise von „Ah chi mi dice mai“. Der szenische Höhepunkt – weil so vollkommen originell und unerwartet – war ihre (als Zuhörerin) und Leporellos „Katalog-Arie“. Denn dieser hatte die Namen der vielen Frauen nicht in ein Büchlein, sondern auf seinen ganzen Körper geschrieben und aus der bekannten Arie wurde ein Striptease, in dem Gleadow provokant genüsslich seine Kleider auszog – ohne dabei vulgär zu werden – und Donna Elvira in den Reprisen ihn betastete um wirklich alle Namen zu lesen. Herrlich: die bekannte Katalog Arie mal als Buffo-Arie gespielt.
In „Don Giovanni“ wiederholt sich die gleiche Handlung wie in „Le Nozze“: immer wenn der Conte/Don „zur Sache“ kommen will, erscheint in letzter Minute ein Störenfried. Vorne: Alix le Saux (Zerlina) und Alexandre Duhamel (Don Giovanni), hinten: Leporello (Robert Gleadow), Donna Elvira (Ariana Venditelli), Donna Anna (Iulia Maria Dan) und Julien Henric (Don Ottavio). Foto: © Eric Bouloumiç / Opéra National de Bordeaux
In Versailles haben wir 2017 Ana Maria Labin unvergesslich als Donna Anna erlebt. Doch drei so große Rollen wie Contessa + Donna Anna + Fiordiligi in drei Tagen war der erfahrenen Mozart Sängerin für ihre Stimme zu riskant (womit wir ihr Recht geben). So sprang Iulia Maria Dan ein, die wunderbar sang, aber eben nicht schon seit sieben Jahren in diesem Trilogie-Ensemble mitwirkt, was ihre Rollengestaltung etwas einseitiger machte als brave Tochter & Verlobte (dabei wird die Figur noch vielschichtiger, wenn es auch zwischen ihr und Don Giovanni knistert). Das gleiche gilt auch für Julien Henric, der auch neu dazukam und nun als Don Ottavio debütiert. Aber dies ist Klagen auf hohem Niveau, denn beide haben makellos gesungen. Und wieder „siegte“ das „niedere Paar“ über dem gesellschaftlich „höherem“. Alix le Saux (am Vorabend noch Marcellina) war nicht wiederzuerkennen als Zerlina und gab dieser Figur eine solchen Präsenz, dass man endlich verstehen konnte, warum zu Mozarts und Da Pontes Zeiten die Primadonnen und Gattinnen von Operndirektoren Zerlina singen wollten und nicht Donna Anna oder Donna Elvira. Das kam auch durch den ungewöhnlich sonoren Masetto von Alexander Rosen. Denn dieser sang auch – wie bei der Uraufführung – den Commendatore, womit Masetto vokal ein wirklicher Gegenpart zu Don Giovanni und Leporello wird und seine Drohung, Don Giovanni umbringen zu wollen, eine ganz andere Dimension bekommt. Zum Schluss noch etwas zu der Bühnen-Musik: all und voran Maria Shabashova am Pianoforte, die auch einige Einlagen spielte (wozu später mehr), Thomas Bienabe an der Mandoline, Pierre-Raphaël Halter und Guilherme Pelaes am Kontrabass und die Geiger Agnès Viton und Boris Rojanski, die aus dem (erhöhten) Orchestergraben auf die Bühne stiegen um mit zu spielen. Das geschah mit so einer Natürlichkeit, als ob die Musiker mit zum Darsteller-Ensemble gehörten – was dem Abend auch die oben erwähnte Frische und Leichtigkeit gab.
„COSI FAN TUTTE“ (6 VI 2022)
Bei solch temperamentvollen Damen weiß Despina auch eben nicht weiter: die herrlich komödiantische Miriam Albano (Despina) zwischen „zwei Feuern“: Angela Brower (Dorabella) und Ana Maria Labin (Fiordiligi). Foto: © Eric Bouloumiç / Opéra National de Bordeaux
„La mia Fiordiligi tradirmi non sa“. Schon wieder fängt der Abend mit Robert Gleadow an, jetzt als Guglielmo, auch wenn er nicht mehr der Drahtzieher des ganzen Geschehens ist. Das ist nun der alte Don Alfonso von Alexandre Duhamel, im gleichen, etwas abgewetzten Kostüm wie Don Giovanni und nun mit grauen Haaren. Er hat mit seinem sonoren Bass sofort die durch alle anerkannte Autorität des „alten Philosophen“, was noch einmal belegt, dass das reale Alter eines (jungen) Sängers – wie zu Mozarts Zeiten – nichts zu tun hat mit dem der durch ihn verkörperten Figur. Die zweite Drahtzieherin ist Despina, die als Figur schon aufgewertet wird, weil vor ihrer ersten Arie auf dem Pianoforte „Notte e giorno faticar“ eingeschoben wird. So erklingt ihr Auftritt mit „Che vita maledetta è il far la cameriera! Dal mattino alla sera si fa“ als eine quasi textgleiche Klage wie Leporellos Auftrittsarie (war mir noch nie aufgefallen). Miriam Albano kann ihre im Cherubino gezeigten Commedia dell’Arte-Karten nun weiter ausspielen und ist neben einer lupenreinen Despina – herrlich ihr schelmischer „Una donna a quindici anni dee saper ogni gran moda, dove il diavolo ha la coda“ – auch noch ein komödiantischer „dottor miraculo“, der sieben Sprachen spricht & singt und im zweiten Akt ein herrlich langweiliger Notar (beide von Molière!), der sich nicht scheut, auch mal betont langweilig und unverständlich zu singen. Köstlich und im gleichen Kostüm des Anwalts aus „Le Nozze“ (wieder Parallelen!).
Robert Gleadow ist als Verführer wieder in seinem Element mit „Non siate ritrosi, occhietti vezzosi“ und ging in der Gartenszene mit Dorabella echt zur Sache. Doch bei dem Kriechen in die Unterbühne – sowie er es an beiden Vorabenden schon gemacht hat – scheint er einen Muskel gezerrt zu haben, denn danach konnte er ein kleines Humpeln nicht kaschieren. Der Tiger-Sänger griff nun zu seinen allerletzten Kraftreserven, was seine sowieso schon imposante Bühnenpräsenz noch berührender machte. James Ley verausgabte sich als Ferrando so sehr im kraftvollen Zusammenspiel mit Gleadow, dass ihm bei seiner gleichfolgenden Arie „un‘ aura amorosa“ offenbar der Atem fehlte und er bei der Reprise mit seiner wunderschönen Stimme nicht ins mezza-voce und piano überwechseln konnte – obwohl ihm der überaus Sängerfreundliche Dirigent (man spürte ihn wirklich mit den Sängern atmen!) vor der besagten Reprise eine betont lange Atempause gewährte. Angela Brower hatte als spielfreudige Dorabella damit kein Problem, weil sie seit Jahren mit zum Ensemble gehört und in vorigen Serien auch Susanna und Zerlina gesungen hat. Sie war eine wunderbare Partnerin für Gleadow und eine richtige Schwester für Ana Maria Labin, die als Fiordiligi der schillernde Stern des Abends war (auch vokal mit einem eingeschobenen hohen F der Königin der Nacht in der Reprise des Finales). Wie oft haben wir Fiordiligi in „come scolglio“ wie ein „Fels in der Brandung“ erlebt, manchmal unbeweglich hingestellt wie eine Statue auf einem richtigen Felsen. Natürlich ist die Arie eine Parodie des klassischen Treueschwurs, doch auch diesen kann man „vermenschlichen“ und vor allem spielen. Ana Maria Labin gestaltete die lange Arie in Zusammenarbeit mit dem Regisseur und dem Dirigenten als eine Interaktion mit ihren Bühnenpartnern, mit dauernd neuen Farben und Nuancen, dass aus dem Felsen-Schwur ein (innerer) Dialog wurde. Und bei „per pietà“ ging sie noch weiter, wanderte auf der Musik von einem zum anderen und landete so auf der vor der Vorderbühne, wo sie kaum hörbar piano sang, dass man eine Mücke hätte fliegen hören können. Ein Ausnahme-Moment: wie bei ihrer Gräfin blieb plötzlich die Zeit stehen…
Zum Abschluss ein Ausnahme-Moment, in dem die Zeit stehenblieb und man eine Mücke hätte fliegen hören können: Ana Maria Labin in Fiordiligis Arie „per pietà“. Foto: © Eric Bouloumiç / Opéra National de Bordeaux
Standing ovation für Marc Minkowski
Am letzten Abend, zugleich der letzte Abend des „Trilogie-Marathons“ in Barcelona & Bordeaux und die letzte Vorstellung von Marc Minkowski als Direktor der Oper in Bordeaux, gab es einen Riesen Applaus für alle Beteiligten und für ihn sogar eine Standing Ovation. Denn er war der musikalische Spiritus Rektor dieser Trilogie, die seiner langen Mozart-Erfahrung viel verdankt. Wir hören ihn schon seit über 30 Jahren Mozart dirigieren und das im Merker oft zitierte bon mot, dass für Dirigenten „die goldenen Jahre mit 60 anfangen“, scheint sich nun auch bei ihm zu bewähren. Denn seine Interpretation der Trilogie – ob es nun an diesem en-suite-spielen liegt sei dahingestellt – beschränkt sich nun auf das Wesentliche. Wo früher vielleicht gewisse Tempi oder Effekte etwas aus der Reihe tanzten, braucht er das alles nicht mehr und läuft nun alles wie selbstverständlich im Dienst der zu erzählenden Geschichte. Da geht es manchmal rasant schnell, wie halt bei einer Buffa-Oper in drei Teilen (Komik hat viel mit Geschwindigkeit zu tun!), bevor er uns bei Seelen-Momenten die Zeit und Stille gönnt, um gewisse Phrasen und Töne in unseren Herzen nachhallen zu lassen. Das Orchestre National Bordeaux Aquitaine hat sich unter seiner Leitung sehr entwickelt: vor einigen Jahren monierten wir noch, dass es manchmal zu laut spielte, während es jetzt zu wunderbaren piani fähig ist so wie der durch Salvatore Caputo dirigierte Choeur de l’Opéra de Bordeaux (auch wenn dieser in der Trilogie nur eine kleinere Rolle innehat).
Und gerade weil der große Bogen stimmte, konnte sich Marc Minkowski ein paar kleine „Erkennungseinlagen“ leisten, die viele nun aufgedeckten Bezüge innerhalb der Trilogie verdeutlichten, oft mit einem Schuss Humor, der für einige „Erkennungslächeln“ im Publikum sorgte. Da gab es nicht nur „Rückverweise“ wie Leporellos „Notte e giorno faticar“ vor Despinas „Che vita maledetta è il far la cameriera!“, sondern auch „Vorausblicke“, wie Don Giovannis „Deh vieni alla finestra“ vor Cherubinos Erscheinen im „Gartenakt“ von „Le Nozze“ (Maria Shabashova spielte am Pianoforte nur einige Takte leicht verfremdet, hier z.B. eine Terz tiefer). Denn das war/ist ja das Konzept von Ivan Alexandre, was Dank dieser beeindruckenden Ensemble-Arbeit, nach zwanzig Jahren nun noch mehr aufgeht als man es hier lesen kann. Denn man erkennt die vielen Verweise/Bezüge erst richtig, wenn man sie sieht und vor allem hört. Dazu wird sicher noch die Gelegenheit sein, hoffentlich in den nächsten Jahren auf einer größeren Tournee. Vorerst einmal sind in der nächsten Spielzeit zwei Serien in Oktober in Ravenna geplant (in dem Festival von Riccardo Muti) und danach im Januar in dem Schlosstheater von Versailles, wo diese beschwingende Trilogie auch aufgenommen und gefilmt werden soll – natürlich mit dem gleichen eingeschworenen Ensemble.
Waldemar Kamer
Opéra National de Bordeaux: www.opera-bordeaux.com
Zwei Serien von 31 Oktober bis 6 November 2022 in Ravenna: www.ravennafestival.org
Zwei Serien von 16 bis 22 Januar 2023 in Versailles: www.chateauversailles-spectacles.fr
INTERVIEW MIT IVAN ALEXANDRE, REGISSEUR DER „TRILOGIE MOZART-DA PONTE“ in Bordeaux
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