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INTERVIEW MIT DEM SÄNGER FLORIAN SEMPEY in Bordeaux In kaum zehn Jahren vom Figaro zum Grafen aufgestiegen

14.06.2022 | Sänger

INTERVIEW MIT DEM SÄNGER FLORIAN SEMPEY in Bordeaux

In kaum zehn Jahren vom Figaro zum Grafen aufgestiegen

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Florian Sempey © Cyril Cosson

 Vor dem Künstler-Eingang der Opéra de Bordeaux, der „entrée des artistes“, erscheint Florian Sempey mit einem frisch gebügelten Anzug über dem Arm, denn nach der Vorstellung wird es einen großen Empfang geben, an dem die (inzwischen Ex-) Ministerin für Kultur Roselyne Bachelot ihm den Orden des Chevalier des Arts et Lettres überreichen wird. Er sieht immer noch genauso aus wie bei unserem ersten Gespräch vor zehn Jahren, nach seinem ersten Konzert am Atelier Lyrique der Pariser Oper und ist genau so freundlich, offen und gut gelaunt. – Doch was ist bei diesem Senkrechtstarter seitdem schon alles passiert! So wie die Ministerin – übrigens eine große Opernkennerin – es betonte: Florian entspricht gar nicht dem üblichen Cliché des von Selbstzweifeln geplagten Künstlers, der lange im Dunkeln grübeln muss, bis er das Licht der Bühne und der allgemeinen Anerkennung finden kann.

So wie er es entspannt in seiner Loge erzählt, war sein Lebens- und Künstlerweg geradlinig, fröhlich und unkompliziert. Er wurde 1988 in der Nähe von Bordeaux geboren – einer Gegend, die bekannt ist für ihren guten Wein und ihre exzellente Küche, wie er betont – als Sohn eines Kochs und einer temperamentvollen Italienerin. Die italienischen Großeltern spielten eine große Rolle und bei ihnen Stand eine Büste von Rossini im Wohnzimmer. Er dachte als Knabe, dieser sei wohl ein italienischer Dichter oder Politiker, doch als er mit zehn Jahren zum ersten Mal eine Oper auf dem Fernsehen sah, war das Rossinis „Barbiere di Siviglia“ mit Cecilia Bartoli und Gino Quilico. Der kleine Florian war so begeistert, dass er ausrief: „das will ich später werden: Figaro“. Und ab dann erkannte er diese Arie überall auf dem Fernsehen, zum Beispiel als Erkennungszeichen des Hundes bei dem Kinder-Comic Tex Avery. Er nahm Gesangsstunden bei Maryse Castex, erst im Kleinstadtkonservatorium in Libourne und dann im größeren Konservatorium in Bordeaux, und war dort gleichzeitig drei Jahre Platzanweiser an der Oper und manchmal auch Statist. Er wurde bemerkt durch die Leiterin des KBB, Isabelle Masset, die ihm nach seinem ersten Examen zu einem Vorsingen einlud und ihm daraufhin zwei Vorstellungen als Papageno anbot. Eine riesige Herausforderung, da er kein Wort Deutsch sprach und die vielen Konsonanten der deutschen Sprache, wie z. B. bei „jetzt“, „schlürft“ oder „Riesenkraft“, für Franzosen wie Kauderwelsch wirken. Doch Maryse Castex – bis heute seine Lehrerin – und Catherine Anthoni – bis heute sein Deutsch-Coach – wussten Rat, und nach nur zwei Vorstellungen kannten plötzlich alle Musikliebhaber in Bordeaux den Namen des damals nur 20-jährigen.

Er wurde aufgenommen in das Atelier Lyrique der Pariser Oper und nach seinem ersten Konzert dort am Palais Garnier – mit einer fulminanten Figaro-Arie von Rossini – prophezeite ich dem 22-jährigen, dass dies die Rolle seines Lebens sei und er sie in der ganzen Welt singen würde (was er mir – bescheiden wie er ist – damals nicht glauben wollte). Danach ging es Schritt für Schritt weiter wie im Bilderbuch: der Intendant Nicolas Joël gab ihm – und den anderen Talenten der „Opernschule“ – kleine Comprimari-Rollen, womit er/sie das Metier eines Opernsängers von der Pike auf lernen konnten. Erst sang er nur ein Wort auf der Bühne, „Klopstock“ im „Werther“ (immerhin mit Jonas Kaufmann), dann Prinz Yamadori in „Butterfly“ etc. Leider wurde diese so nützliche Tradition durch den „Star-hungrigen“ Stéphane Lissner nicht fortgesetzt und durch seinen Nachfolger an der Pariser Oper bis jetzt nicht wiederaufgenommen (so gab es Anfang dieser Spielzeit in der durch mich rezensierten „Turandot“ keinen einzigen französischen Sänger).

Inzwischen kann Florian Sempey entspannt auf zwölf Jahre beeindruckende internationale Karriere zurückblicken (die man im Internet nachlesen kann). Seine Leib- und Magenrolle ist und bleibt der Figaro von Rossini, den er als Kind singen wollte und nun schon in einem Dutzend Opernhäusern gesungen hat und weitersingen wird. „Pour mon plus grand bonheur“ betont er, denn er fühlt viele Affinitäten zu Rossini und scheint, wie dieser, auch ein leidenschaftlicher Koch zu sein. Man braucht nur seine letzte Platte anzuhören: „Figaro Si“, mit Marc Minkowski und dem Orchestre National Bordeaux Aquitaine (vor einem Monat bei Alpha erschienen). Auf dem Cover sieht man ihn mit der Büste von Rossini, die bei seinen Großeltern stand, und natürlich fängt die CD an mit „Largo al factotum“. Man braucht nur diese eine Arie zu hören, um sofort zu begreifen, dass er ein geborener Figaro ist. Was für eine Virtuosität, Leichtigkeit in den Verzierungen und wie viel Farben! Wunderbar auch sein Duo „Dunque io son“ mit Karine Deshayes, der französischen Diva, die offensichtlich auch zu seinen Fans gehört und mit ihm auch noch Duos aus der „L‘Italiana in Algeri“ singt.

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Florian Sempeys Plattencover „Figaro Si“ mit der Büste von Rossini, die bei seinen Großeltern stand © Alpha Classics

Gleichzeitig erscheint auch eine neue Rameau-CD, wieder mit Marc Minkowski, aber nun mit den Musiciens du Louvre in Versailles, wo beide regelmäßig auftreten (Label Château de Versailles). Und Dank der jetzigen „Trilogie“ gibt es viele Anfragen für neue Rollen. Ist es vorbei mit den Figaros und kommen nun die Grafen an die Reihe? „Nicht so schnell“ ist seine Antwort. „Ich liebe den Rossini-Figaro, langweile mich nie mit ihm, weil ich mit jedem Dirigenten und Regisseur wieder neue Facetten entdecke, und will ihn gerne noch lange weitersingen. Ich bin jetzt 34, den Graf in „Le Nozze“ und andere Rollen werde ich später auch noch singen können. Ich habe schon drei Anfragen für den „Ford“ im „Falstaff“ abgewiesen, denn ich will vorsichtig mit meiner Stimme umgehen.“ Wir können ihm nur recht geben, denn eine alte – etwas in Vergessenheit geratene – Sängerweisheit sagt: „kein Verdi vor 40“. Er kannte diesen Satz nicht und antwortet mit : „Qui va piano, va sano… e va lontano“. Darüber machen wir uns keine Sorgen: nächstes Interview in zehn Jahren! Waldemar Kamer [Bordeaux, 4. Juni 2022]

Waldemar Kamer

 

 

 

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