BONN: TRISTAN UND ISOLDE. Premiere am 28. April 2013
Am Theater Bonn herrscht Abschiedsstimmung. Generalintendant Klaus Weise, welcher das Haus (3 Spielstätten) ein Jahrzehnt lang überwiegend mit Erfolg geführt und sich mehr und mehr auch der Oper zugewandt hat, wurde mit Sparauflagen konfrontiert, die er wohl nicht mehr mitzutragen gewillt war. Sein designierter Nachfolger Bernhard Helmich (noch Chemnitz) hat aber offenbar ein probates Konzept. Man wird sehen. In den Kammerspielen Bad Godesberg gab’s als letzte Inszenierung Weises vor Ort Kleists „Zerbrochenen Krug“. Der lokale Generalanzeiger erwähnte in seiner Rezension etwas irritiert die überaus knappe Abschiedsgeste des Generalintendanten. Bei der „Tristan“-Premiere kam es dann aber doch zu einem weiteren Auftritt Weises vor dem Publikum, allerdings galt er der Ansage einer kurzfristigen Umbesetzung. Ähnliche Situation wie kürzlich beim Berliner „Rigoletto“: DARA HOBBS (Isolde) hatte es die Stimme verschlagen, spielte aber. SABINE HOGREFE doubelte von der Bühnenseite aus.
Die Sängerin ist nachgerade eine Entdeckung. Über das lyrische Fach hat sie sich ins hochdramatische hinein entwickelt, covert an großen Häusern und fand – als „Siegfried“-Brünnhilde einspringend – 2010 den sogar Weg nach Bayreuth. Dass sie auch eine temperamentvolle Darstellerin ist, lässt sich an 2 Youtube-Ausschnitten ablesen: „Götterdämmerung“ in Freiburg und „Elektra“, nicht weiter datiert. Die extremen Höhen bei diesen Partien wirken etwas souveräner als die bei der Bonner Isolde, was aber Tagesform sein mag und auch nur en passant erwähnt sei. Insgesamt bestach die angenehm weibliche, perlmuttartige und in der Tiefe ausgesprochen füllig warme Stimme.
Nach rund 30 Jahren (damals agierte Jean-Claude Riber als Opernintendant) war ein „Tristan“ in Bonn durchaus wieder fällig. Das Wagner-Jahr regte an, VERA NEMIROVA („Ring“ in Frankfurt und in Bonn schon mehrfach arbeitend – zuletzt mit „Liebestrank“ !!!) stand als Regisseurin zur Verfügung, STEFAN BLUNIER als Dirigent. Auf ihn ist zunächst zu kommen.
Als „klingendes Morphium“ bezeichnet der Dirigent die „Tristan“-Musik, sieht in ihr „Seelennot“ mit höchster Dringlichkeit zur Sprache gebracht. In den ersten Takten unterstreicht er das reichlich pausengedehnt, dann aber fließt die Musik narkotisch, das Vorspiel zum 3 Aufzug brennt sich geradezu in die Ohren der Zuhörer ein. Der ganze Abend: ein Klangereignis.
ROBERT GAMBILLs kraftvoller, doch immer noch angenehm lyrisch grundierter Tenor gibt dem Tristan Kontur. Man merkt ihm keine Schonung an, trotzdem klingt sein Organ auch in extatischen Momenten frisch und jugendlich. Dass er im 3. Aufzug von den Extasen des weitgehend blendend disponierten BEETHOVEN ORCHESTERs klanglich schon mal überrollt wird, kann freilich nicht ausbleiben. Brangäne ist mit grauer Knotenfrisur und Schlabberkleid zum Typ Heimchen am Herd gestempelt: DANIELA DENSCHLAG fängt diese Vereinseitigung der Figur mit ihrem relativ hellen, aber klangvollen Mezzo auf. MARTIN TZONEV, physiognomisch etwas jung für den greisen Marke, ist mit seinem mächtigen, differenziert geführten Bass eine Autorität und macht die Klage des Königs zu einer überaus bewegenden Szene. Auch die Inszenierung ergreift, wenn sich Isolde und Tristan danach zu ihm auf eine Bank setzen, ihn mitleidig flankieren, um sich nach Markes Weggang aber schon wieder in die Arme fallen. Einen flammend heldenbaritonalen Kurwenal gestaltet MARK MOROUSE, mit seinen 50 Jahren auf einem stimmlichen Gipfel. GIORGOS KANARIS ist zuverlässig Melot, JOHANNES MERTES (fast mit Tristan-Volumen) als Seemann/Hirt extrem gut besetzt wie auch SVEN BAKIN (Steuermann). Musikalisch in Bonn also ein Rundum-Sieg.
Doch auch die Inszenierung trägt zum Glück des Abends nachhaltig bei. Vera Nemirova hält sich von eitler, vordergründiger Deutung fern, spitzt aber eine Reihe von Szenen auf interessante Weise zu. Isoldes Verhöhnung durch das Schiffsvolk durchzieht den ganzen 1. Aufzug. Die Liebesszene entwickelt sich (mit einer ziemlich „aktiven“ Isolde) im einem langsamen Crescendo und mündet in den längsten wohl je gesehenen Opernkuss. Dass die Liebe zwischen Tristan und Isolde nicht nur geistig metaphysischer Art ist, unterstreicht verstärkt der Mittelakt, auch wenn Grenzen gewahrt bleiben. Briefblätter bedecken die Bühne (Anspielung auf den Versroman Gottfried von Strassburgs?), fallen zum Liebestod auch vom Himmel. Die Liebenden „tätowieren“ sich ihre Namen auf die Körper – schwärmerischer Rausch.
Das Finalbild spielt (bei prinzipiell gleichbleibender, einfallsreicher Drehbühnen-Ausstattung von KLAUS W.NOACK) in einem Treibhaus, das Klima des zweiten Wesendonck-Liedes umsetzend. Solche Liebe aber kann, wie auch die Biografie des Komponisten ernüchternd zeigt, in der Welt des Irdischen nicht Bestand haben, müsste im öden Tageslicht ersterben. Bleibt also nur Traum, Jenseits, Tod.
Christoph Zimmermann