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BONN: THEBANS von Julian Anderson. Premiere

04.05.2015 | Allgemein, Oper

BONN: THEBANS   von   Julian Anderson   (DE)                     Premiere am 3. Mai 2015

 Wenn ein Komponist bekennt, davon „geträumt“ zu haben, ein bestimmtes Werk zu schreiben, entsteht für den Außenstehenden automatisch so etwas wie Ehrfurcht. Mit „Thebans“ hat sich der Engländer Julian Anderson (*1967) erstmals dem Theater zugewandt und dabei sicher nicht den leichtesten Stoff gewählt, nämlich die thebanische Trilogie des Sophokles. Das Ergebnis war vor einem Jahr an der English National Opera zu sehen, Bonn hat jetzt übernommen.

 Zwei der Dramen („König Oedipus“ und „Antigone“) sind immer wieder neu adaptiert worden, so im Musiktheaterbereich von Strawinsky und Orff; mit der Sphinx-Episode beschäftigte sich Georges Enescu. Anderson hat auch das Mittelstück der Sophokles-Trilogie, „Oedipus auf Kolonos“, berücksichtigt. Es thematisiert das Lebensende des sich seiner (unfreiwilligen) Schuld bewusst gewordenen Thebanerkönigs (Tötung des Vaters, Heirat der Mutter). Auf Kolonos, dem Heiligtum der Eumeniden (Rachegöttinnen), sucht er Frieden mit sich selbst, den er nur im Sterben zu finden glaubt.

 Möglicherweise davon ausgehend, dass „Oedipus auf Kolonos“ erst nach Sophokles‘ Tod uraufgeführt wurde, stellen es  Anderson und sein Librettist Frank McGuinness an den Schluss der „Thebans“. Antigone lebt hier noch, obwohl das mittig platzierte Drama ihr Ende schilderte (Todesstrafe für die Beerdigung ihres rebellischen Bruders Polynices). Diese neue, sicher nicht ganz irritationslose Handlungsabfolge ist fraglos dem Läuterungsaspekt des Sophokles-Stückes und seiner beklemmenden Jenseits-Atmosphäre geschuldet.

 Anderson lässt den Chor der Eumeniden aus dem Off ertönen, wie er in diesem Bild überhaupt stärker mit atmosphärischen Klängen operiert als in den vorherigen Dramen. Man mag den zersplitterten, zerfetzten Stil der Musik mit ihren aggressiven Bläserakkorden als angemessen für den Stoff erklären, aber das Hören all dieser Geräuschklänge ist hochgradig strapaziös und ermüdend. Die Einschätzung Andersons als „one oft he most talented composers“ wird kaum nachvollziehbar. Was JOHANNES PELL mit dem BEETHOVEN ORCHESTER leistet, beeindruckt somit vornehmlich durch Klangorganisation und rhythmische Festigkeit. Beim Chor (VOLKMAR OLBRICH) ist respektvoll die (falls richtig gehört) intonatorische Exaktheit und lodernde Expressivität zu loben.

 Während es bei anderer Gelegenheit schon mal zu beklagen gilt, dass eine Stoffbearbeitung intellektuell entgleist oder eine Interpretation mit dem Zeigefinder operiert, ist bei Andersons „Thebans“  eher das Gegenteil der Fall. Von der bereits erwähnten Handlungsumkehr („Antigone“/“Kolonos“) abgesehen, bietet die Oper kaum mehr als eine relativ biedere Sophokles-Nacherzählung, ohne erhellende Akzente, ohne Widerhaken, die beflügeln.

 Solches Defizit wird von der Inszenierung PIERRE AUDIs unterstrichen. In TOM PYEs architektonisch durchaus geschmackvoller Bühne mit ihren kompakten Wandschichtungen  und Treppen sitzt der Chor malerisch verstreut herum, verändert hin und wieder seine Position, ohne dass solche Bewegungsakzente wirklich dringlich erschienen. Gegen CHRISTOF HETZERs antikisierende Kostüme lässt sich zwar kaum argumentieren, aber auch sie kommen über dekorative Wirkung nicht hinaus. Hierfür typisch ist etwa Jocastas grünes Gewand, was die ausdrucksstark singende ANJARA I. BARTZ wie eine fehlplatzierte Diva erscheinen lässt. Auch sonst flattern und wehen helle Stoffe etwas altmodisch um die Körper der Sänger. Wirklich antiquiert schaut der Eumeniden-Hain aus. Die stehenden und hängenden Baumstümpfe wirken wie einem Dekorationsfundus entliehen. Audi lässt alle Personen irgendwie zur richtigen Zeit in Erscheinung treten, aber das geschieht auf naive Weise: viel Stehtheater, viel Rampengehabe. Was geht uns das alles an, fragt man sich als Zuschauer immer wieder. Dass die Bonner Opernbesucher am Schluss freundlichst akklamieren, darf gleichwohl nicht unerwähnt bleiben.

 Die Sänger vermögen sich nicht immer aus den Fesseln der müden Regie zu lösen. Die Ensemblequalität für sich genommen ist allerdings hochgradig imponierend. WILLIAM DAZELEY macht mit seinem expressiven Klagegesang des geblendeten Oedipus das Finale des 1. Aktes (wo die Musik bereits andeutungsweise Emotionen bietet) sogar zu einer markanten, erschütternden Szene. Als Creon bietet PETER HOARE gleißnerische Tenortöne bei eminent prägnanter Diktion. YANNICK-MURIEL NOAH macht mit ihrem wohllautenden Sopran glaubhaft, dass Antigones Tun von „Liebe“, nicht das „Hass“ beflügelt wird. Auch ROLF BROMAN (Tiresias), JAKOB HUPPMANN (Messenger, Theseus), CHRISTIAN GEORG (Haemon, Stranger), GIORGOS KANARIS (Polynices) und NICHOLAS PROBST (Shepherd) erfüllen ihre Rollenaufgaben mit gestalterischem Nachdruck.

 „Thebans“ ist ein ehrgeiziges Projekt der Bonner Oper: Gemäß Premiereneindruck steht allerdings zu befürchten, dass den Folgeaufführungen nur noch reduzierte Aufmerksamkeit zuteil wird.

 Christoph Zimmermann

 

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