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BONN: SATYAGRAHA von Philip Glass

17.06.2013 | KRITIKEN, Oper

Oper in Sanskrit im Opernhaus Bonn: „Satyagraha“ von Philip Glass (Vorstellung: 16. 6. 2013)


Gandhi wurde in „Satyagraha“ vom amerikanischen Tenor Mark Rosenthal dargestellt (Foto: Lilian Szokody)

 Das Opernhaus Bonn brachte eine Wiederaufnahme ihrer erfolgreichen Produktion der Oper „Satyagraha“ von Philip Glass aus dem Jahr 2006, die damals mit Lobeshymnen überschüttet wurde. Die Texte des Werks, das 1980 in Rotterdam uraufgeführt wurde, sind in Sanskrit (in Bonn mit deutschen Übertiteln) und stammen von Constance de Jong, die auch die Gesangstexte aus dem Altindischen zusammenstellte. Satyagraha ist ein von Gandhi geprägter Begriff zur Beschreibung seiner Philosophie der „Stärke, geboren aus Wahrhaftigkeit und Liebe oder auch Gewaltlosigkeit“. (Im Sanskrit bedeutet Sat Wahrheit und Graha Festigkeit.)

 Die Szenen der Oper spielen in Indien und in Südafrika 1896 bis 1913, wo Gandhi seine These des passiven Widerstands und zivilen Ungehorsams formulierte, der „Hingabe an die Wahrheit“, eben Satyagraha, als Reaktion auf diskriminierende, gegen den indischen Bevölkerungsteil gerichtete Maßnahmen der Regierung, wie beispielsweise die Aberkennung des Stimmrechts. Einen Handlungsablauf gibt es nicht, hinter philosophischen und politischen Statements, Gleichnissen und dem Vortrag heiliger Sanskrit-Texte sind die historischen Fakten für den Zuschauer kaum zu erahnen. Dazu ein Zitat aus einem Interview mit dem rumänischen Regisseur Silviu Purcarete, das im gut illustrierten Programmheft abgedruckt ist: „Falls der Zuschauer die Oper SATYAGRAHA besucht, in der Hoffnung Erlebnisse aus Gandhis Leben zu sehen oder sogar seine Prinzipien von Satyagraha zu verstehen, läuft eher Gefahr, enttäuscht zu werden. Der Zuschauer kann vielmehr teilhaben an einer Art Traum, den Philip Glass in Musik gefasst hat und den eine Gruppe von Musikern und Künstlern mit ihm teilen wollen. Das Hauptthema und der Hauptstoff dieser Musik ist Zeit, der letzte Feind jeder Handlung des Menschen, gleich wie edel die Absicht ist.“

 Zuschauer, die vor der Vorstellung den im Programmheft ausführlich geschilderten Inhalt der dreiaktigen Oper gelesen haben, konnten ihn vermutlich auf der Bühne zumindest erahnen.

Versuch einer Kurzfassung: 1. Akt: Schlachtfeld Kuru in Indien, zugleich Ebene in Südafrika in mystischer und gegenwärtiger Zeit. Gandhi und Arjuna, die Anführer einer Armee, zweifeln an der Richtigkeit ihres militärischen Handelns. Gandhi formuliert seine Theorie des gewaltlosen Widerstands und nimmt so den Kampf gegen das Unrecht auf. – Feld vor der Tolstoj-Farm in Südafrika um 1910. Gandhi gründet den ersten unabhängigen, genossenschaftlichen Wirtschaftsbetrieb und nennt ihn nach dem im gleichen Jahr verstorbenen russischen Dichter. Wie Tolstoj lehnen die Mitarbeiter jegliches Besitzstreben ab. – Die Inder in Südafrika wehren sich gegen die rassendiskriminierende Meldepflicht („Black Act“) der Regierung. Alle bekennen sich zur Rede von Parsi Rustomji, der nach einem Leben voll Opfer und mühevoller Arbeit den Lohn der Götter verspricht. – 2. Akt: Außenbezirk einer europäischen Siedlung in Südafrika, wo Gandhi 1896 von aufgebrachten Europäern mit Steinen beworfen wird. Er findet Schutz unter dem Regenschirm von Mrs. Alexander, der Ehefrau des Polizeichefs, die ihm so das Leben rettet. – Gandhi gründet die Zeitung „Indian Opinion“, um ein öffentliches Forum für die Verbreitung seiner Ideen zu haben. – Leeres Feld, 1908: Aus Solidarität zu den Indern, die wegen Missachtung der „Black Act“ inhaftiert wurden, verbrennen Gandhi und seine Anhänger ihre Meldebescheinigungen. – 3. Akt: Mystisches Schlachtfeld, zugleich Ebene in Südafrika 1913. Im „Marsch von Newcastle“ zu streikenden Bergarbeitern verbreitet die Bewegung ihre Idee der „Weltvereinigung des Sterbenden“. Die Dinge werden nicht nach ihrem materiellen Wert beurteilt, Freunde und Feinde sind gleichgestellt. Gandhis absolute Hingabe zu Gott basiert auf der Erkenntnis, dass die Wahrheit kein ewiger Besitz ist, sondern immer wieder neu erkämpft werden muss. Er meditiert über die Reinkarnation und findet so den Motor für weitere Ideen und Schritte in seinem Kampf für das „Festhalten an der Wahrheit“.

 Silvio Purcarete schuf eine eindrucksvolle Inszenierung, die mit großartigen, oft phantastisch anmutenden Bildern das Publikum in seinen Bann zog. Immer wieder ließ er die Darsteller in Zeitlupentempo agieren, was eine starke Symbiose zur Musik bewirkte. Einen kongenialen Partner hatte er in Helmut Stürmer, der für Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnete. Mit nur wenigen Requisiten und zum Thema gut passenden Gewändern sorgte er für das teils indische, teils afrikanische Kolorit. Für die Lichteffekte waren Thomas Roscher und Max Karbe zuständig.

 Als Gandhi war der amerikanische Tenor Mark Rosenthal mit seiner Bühnenpräsenz, die in jeder Situation eine stoische, in sich gekehrte Ruhe ausstrahlte, und seiner ausdrucksstarken Stimme eine Idealbesetzung. Miss Schlesen, seine Sekretärin und engste Mitarbeiterin, wurde von der deutschen Sopranistin Sylvia Koke mit wunderschönem Timbre in der Stimme gesungen. Die österreichische Mezzosopranistin Bea Robein spielte nicht nur Gandhis Frau Kasturbai, sondern auch, mit Hut und Regenschirm, Mrs. Alexander. Ebenso hatte der russische Bass Andrej Telegin zwei Rollen zu spielen: Gandhis indischen Mitarbeiter Parsi Rustomji und Krishna, die mythologische Gestalt aus dem altindischen Lehrgedicht Bhagavad-Gita („Gesang des Erhabenen“). Gandhis indische Mitarbeiterin Mrs. Naidoo wurde von der amerikanischen Sopranistin Katrina Thurman dargestellt, sein europäischer Mitarbeiter Mr. Kallenbach vom deutschen Bariton Christian Miedl. Der deutsche Tenor Johannes Mertes lieh Fürst Arjuna, einer weiteren mythologischen Gestalt, seine dunkel gefärbte Tenorstimme.

 Philip Glass benutzte in „Satyagraha“ im Rahmen eines traditionellen Orchesters erstmals eine große Besetzung an Streichern. Der Reclam-Opernführer schreibt dazu: „Seine typisch repetitiven Musikstrukturen verleihen der Musik eine eigene, durchaus nicht illustrative Dimension und entsprechen in Rhythmik und Melodik den Mustern von Hindugebeten.“

 Das Beethoven-Orchester Bonn vermittelte unter der Leitung von Ulrich Windfuhr diese eigene rhythmische, sich immer wiederholende Musik, die den ganzen Abend lang wie ein Strom in ruhigen Bahnen dahinfloss und das Publikum in eine meditative Stimmung versetzte, auf exzellente Weise. Gemeinsam mit dem stark besetzten, stimmgewaltigen Opernchor (Einstudierung: Sibylle Wagner) und dem international besetzten Sängerensemble sorgte das Orchester für einen besinnlichen Opernabend seltener Art.

Das Publikum, das großteils zum ersten Mal, wie man Gesprächen im Foyer vor der Vorstellung entnehmen konnte, mit der Musik von Philip Glass, einem der wichtigsten Vertreter der Minimal Music, in Berührung kam, reagierte am Schluss der knapp dreistündigen Vorstellung begeistert und dankte allen Mitwirkenden mit nicht enden wollendem Beifall und schließlich sogar mit Standing Ovations. Zu diesem Zeitpunkt waren zwei Reihen, in denen nur jugendliches Publikum saß, längst leer.

 Udo Pacolt, Wien

 

 

 

 

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