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BONN: NORMA. Beinahe Saalschlacht um Norma bei den Asterixen. Premiere

29.10.2012 | KRITIKEN, Oper

Die Bonner Oper lebt noch – und wie! : Beinahe-Saalschlacht um NORMA bei den Asterixen

 „Holla! Da will uns wieder einer unsere schöne alte Oper NORMA kaputtmachen!“ Premiere am 28.10.2012


Foto: Thilo Beu

 

Ante Scriptum

 Wie soll Musiktheater aussehen in einer Stadt, wo der SPD-Oberbürgermeister – ein erklärter und bewiesenen unstrittiger Fachmann für den rheinischen Karneval – immer noch inständig versucht seine Oper nach Köln zu verscherbeln und urplötzlich unerwartete Rückendeckung von jener „Chaoten-Partei“ erhält, die sich sinnfällig (Nomen es omen) PIRATEN nennen. Eben diese skurrile Partei versucht nun Popularitäts-Abfall darin wieder aufzuverbessern, indem man eine Mehrheit der Bonner Bürger zu einer Volks-Abstimmung für die generelle Abschaffung ihrer Oper treiben möchte? Wann kommt die Volksabstimmung über die Todesstrafe für Taximörder und Kinderschänder?

 Die Politik treibt im Machtkampf um den Selbsterhalt manchmal seltsame Blüten. Und die lächerlichen 13 Millionen, welche politische Falschspieler und irregeleitete Illusionisten (das Wort Berufslügner werde ich nicht verwenden) ihren Wählern als Einsparziel vorgaukeln, haben sie längst vorher schon zigfach (Pars pro toto: Zweite Regierungsstadt, Weltkongresszentrum, luxuriöses Beethovenfest, .. etc.) in sinn- und hirnloser Klientel-Politik verschleudert. Da sind die vorgeblichen 13 Millionen, um die es hier und heute gehen, soll eher „Peanuts“.

 Norma

 Die Handlung von Bellinis „Norma“, nach der Dichtung Felice Romanis, spielt im römisch besetzten Gallien. Tapfere Gallier kämpfen durchaus erfolgreich gegen die Römer. Im heiligen Hain an der Irminsäule werden von Druiden Mistelzweige mit der goldenen Sichel geschnitten und aus Eisenkraut und ähnlichen zutaten Zaubersäfte gebraut. Die fiktive Handlung spielt ca. 50 vor Christi und hat nichts mit irgendwelchen geschichtlich überlieferten realen Geschehnissen zu tun.

 Asterix

 Wir befinden uns im Jahre 50 v.Chr. Ganz Gallien ist von den Römern besetzt… Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die römischen Legionäre, die als Besatzung in den befestigten Lagern Babaorum, Aquarium, Laudanum und Kleinbonum liegen…“ Diese allseits beliebte Comic-Phantasy-Geschichte von René Goscinny und Zeichner Albert Uderzo (Start 1959) spielt ebenfalls, welch Zufall, zum genau gleichen Zeitpunkt, nämlich im Jahre 50 vor Christi. Das hat also nicht der „böse“ Regisseur Florian Lutz erfunden! Natürlich haben auch die Geschichten um Asterix und Co. gleichfalls nicht das Geringste mit römischer Historie zu tun, auch wenn Vieles sehr überzeugend daherkommt.

 Blödsinnige Operlibretti

 Mindestens die Hälfte aller Opernlibretti sind Blödsinn, hanebüchener Unsinn und strotzen vor Fehlern in der Logik oder der Sinnfälligkeit; sie in überzeugender Stringenz und mit Spannung glaubhaft auf die Bühne zu bringen kommt oft der Quadratur des Kreises gleich. ich bewundere jeden Opernregisseur. Bei vielen Werken hat man solch „sinnlose Plage und Müh ohne Zweck“ aufgegeben und bringt sie heute überwiegend nur noch konzertant; Bellinis NORMA gehört dazu. Wer das Werk versucht ernsthaft zu inszenieren scheitert oder liefert sich, besteht er auf „Werktreue“ in ernst-gemeintem Historismus der Bühne und Kostüme einer ungewollten Lächerlichkeit aus. Was ich in meinen vielen Opernjahren nicht nur an der Scala, der MET oder in Wien, Hamburg, Düsseldorf zw. Sonst wo an „Normas“ dieser Art gesehen habe, geht auf keine sprichwörtliche Kuhhaut und würde den großen Musiktheater-Regisseur Otto Schenk oder den Welthumoristen Loriot (Gott hab ihn selig) immer noch zu Meister-Glossen motivieren können.

 Kürzungen und Umstellungen

 sind ursprungsmäßiger Bestandteil unserer Operngeschichte von Monteverdi bis heute. Ja, liebe Opernvettel, auch ich habe gemerkt, daß in der Bonner Inszenierung Einiges verkürzt war (unter anderem fehlte, worauf ja Kollege Zimmermann zurecht hinwies, „mira, o Norma…“ Es wurden auch weitere Noten gestrichen und dafür an anderer Stelle ergänzt. Geht davon die Opernwelt unter? Was hat der berühmte Regisseur Hilsdorf (um nur einen zu nennen!) alles weggelassen oder verdreht, letztens beim WILDSCHÜTZ sogar die ganze Ouvertüre gestrichen! Dennoch wurde ihm spannendes und werktreues Musiktheater attestiert. Und wer kürzte den heilig unantastbaren Wagner-RING gerade in Buenos Aires? (Übrigens eine Forderung, die ich seit Jahren erhebe 🙂 Es war die Urenkelin des großen Ritchie: Katharina die Große Wagner!

 Doch kommen wir nun zur gestrigen Bonner NORMA

 Angesichts eines in den Fluten des Ignorismus und der Blödheit lokaler Politik gerade ertrinkenden Opernhauses muss auch auf der Bühne Flagge gezeigt werden. Dies tat der für spektakuläre Inszenierungen mittlerweile bekannte Jung-Regisseur Florian Lutz; zuletzt sprengte noch in seiner Bonner CARMEN die Titelgebende Revoluzzerin gleich die ganze Zigarettenfabrik in ihrem Kampf gegen den Kapitalismus in die Luft. Folklore mit Dynamit – das war eine heiße Chose. Einige Opernfolkloristen im Publikum erlitten einen Herzanfall…

 Regisseur Florian Lutz gelang es zumindest Folgendes unter einen Hut zu bringen: Eine ganze Asterixtruppe, einen opernbegeisterten scheinbar dauernd die Aufführung störenden Theaterdirektor und Impresario, Flavio Briatore und die klassische Oper NORMA. Der Saal kochte: Humor bei NORMA – das hatte es noch nie gegeben; welch ein Frevel! Die verbale Saalschlacht kam nicht unerwartet… Lynchgelüste signalisierten manche Zwischenrufe aus vermeintlich sich Luft schaffen wollenden edlen Opernretter-Kehlen. „Wir wollen Bellini!“ – „Das ist Theater von 1972!“ -„Scheiße!“ -„Sofort aufhören!“

Provozierte Gegenstimmen, wie „Ruhe auf den billigen Plätzen!“ – Das ist Theater!“ schufen ein demokratisches Gleichgewicht der spontanen Meinungsäußerungen schon während des Stücks.

 Den Impresario (der ja eigentlich überhaupt nicht in die urtümliche Geschichte herein gehört) bot mit Herz und überzeugender Inbrunst der großartige Roland Silbernagl – sicherheitshalber wird auf dem Programmzettel erst gar nicht genannt. Zurecht, denn beim Schlussapplaus wird er für diese fabelhafte Rolle (Hallo! Der spielt nur, verehrte Bonner!) auch noch mächtig beschimpft und bebuht – wie weiland Dieter Borsche 1962, als der den legendären fiesen Durbridge-Halstuchmörder mimte. Er traute sich damals tagelang nicht auf die Straße. Kein Einzelfall bei überzeugender künstlerischer Leistung im Kulturland BRD. Auch heute noch schreiben tausende Deutsche ans ZDF mit der Bitte um Weiterleitung ihrer medizinischen Probleme an den berühmten Professor Brinkmann.

 Um den römischen Bösewicht und Besatzer Pollione in einen bekannten Gangster-Casanova zu verwandeln, wurde er vom Regieteam in „Flavio Briatore“ umbenannt. Der großartige George Oniani musste den einen singen und den anderen mimen, was ihm fabelhaft gelang. Als Alternative war, so vermute ich, Silvio Berlusconi im Gespräch, aber der hatte ja nun mal kein offizielles Verhältnis mit dem Glamour-Star Heidi Klum. Ich gebe zu: Wer sich als Operngeher nicht für Formel Eins oder Friseurzeitungen interessierte, hatte hier leichte Verständnisprobleme.

 Eine Sensation war (mal wieder) die fabelhafte und als Norma schon öfter mehr als bewährte Miriam Clark in der Titelrolle; sie ist nicht nur eine traumhafte Sängerin, sondern auch ein Vollblut-Aktrice. Ihr stand, obwohl leider nicht ganz so braviert, eine weitere Traumstimme in nichts nach: Nadja Stefanoff ergänzte als Adalgisa diesen musikalischen Traumabend, wobei das Beethovenorchester Bonn sowohl im Orchestergraben, als auch teilweise auf der Bühne (Banda) wieder einmal bewies, daß es zu den besten in Deutschland gezählt werden muss. Robin Engelen zeigte sich als umsichtiger und toleranter Orchesterleiter; nicht jeder Dirigent hätte so manche Späße im ersten Teil mitgemacht, welche sich die Regie mit Noten und Dirigent erlaubte.

 Stichwort Regie

 Nach viel Klamauk im ersten Akt, war es eigentlich klar, daß man hier doppelbödig arbeiten würde und so gestaltete sich das Stück im zweiten Teil zum unerwartet ergreifenden und im Finale sogar schockierenden Psycho-Drama. Es wäre unredlich zuviel zu verraten; ich käme mir dann vor wie 1962 Wolfgang Neuss, der (wie gemein!) den Namen Halstuchmörder vorzeitig verraten hatte. Das nähme auch den künftigen Besuchern, die hoffentlich in Scharen nach Bonn strömen, viel von der ungeheuren Spannung, welche dieser einmalig und sehr gelungene Musiktheaterabend zu bieten hat. Ich sortiere da auch einige Szenenbilder aus – bitte um Verständnis.

 Last but not least ein Riesenlob für Mechthild Feuerstein und ihre originellen Asterixkostüme, Martin Kukullies für diese bravouröse Bühnengestaltung und die fabelhaften Damen und Herren von Chor und Extrachor (Leitung: Sibylle Wagner) für diesen unvergesslich tollen Theaterabend.

 Allerdings kein erbaulicher Abend für Opern-Altaristen. Die Regie verlangt ein hohes Toleranzpotenzial. Und auch wenn es anfangs den Eindruck einer Verhohnepipelung erweckt (jetzt hätte ich fast „Verarschung“ geschrieben, weil ich es gestern so oft hörte!) wird hier Bellinis große Oper keinesfalls werkzerstörend veralbert; doch wer Historienschinken, antiquarische Kostümieren und Rampengesang erwartet, sollte unbedingt, um seiner Gesundheit Willen, Zuhause bleiben und sich lieber „Casta Diva“ von der Callas einverleiben.

 Ich appelliere vor allem an alle fröhlichen jungen Opernfreunde und Opernbegeisterten: Auf nach Bonn! Wie sagte schon der alte Richard Wagner sehr klug „Schafft Neues, Kinder!“ Das ist diesmal in Bonn wahrlich und sehr sehr unterhaltsam gelungen. Übermorgen bin ich wieder dabei!

 

Peter Bilsing

 

Kopie an MERKER-online (Wien)

 

 

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