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BONN: LAKMÉ von Leo Delibes – Premiere

30.01.2012 | KRITIKEN, Oper

Lebende Bilder im Palast der Winde – Leo Delibes: Lakmé; Premiere 29.1.2012 – Theater Bonn

 Es gibt Werke der Opernliteratur, die kennt der Durchschnittsopernliebhaber nur aufgrund eines einzigen Schlagers. Puccinis „La Rondine“ ist eine solch flügellahme Schwalbe, nur das Traumlied „Il bel sogno di Doretta“ fliegt in lichte Höhen und gehört zum Standardrepertoire (fast) einer jeden Sopranistin. Ähnlich verhält es sich mit der Oper des französischen Exotismus schlechthin: Leo Delibes tragische Liebesaffäre einer hinduistischen Tempelsängerin mit einem britischen Besatzungsoffizier, „Lakmé“. Wer kennt sie nicht, die berückend schöne Glöckchenarie, den betörenden Racheköder des finsteren Hohepriesters Nilakantha, zu dem er die Gesangskunst seiner Tochter missbraucht. Und wer der zur Koloratur fähigen Sopranistinnen hätte sie nicht gesungen?  In toto begegnet man diesem Relikt eines recht spezifischen Zeitgeschmacks vor allem in unseren Breitengraden recht selten – und wenn, dann meist konzertant. Das ist mehr als verständlich, birgt Delibes Partitur doch einiges an kostbaren Preziosen. Die Handlung läßt sich an Belanglosigkeiten schwerlich überbieten. Der wirklich tragische Konflikt des britischen Besatzeroffiziers Gerald, der, hin und her gerissen zwischen verbotener Liebe und Soldatenehre, sich schlussendlich für Letztere entscheidet, wird nur angeschnitten. Ein Kuriosum überhaupt ist das Exotische, mitten im exotischen Ambiente indischer Palmen- und Tempelhaine wirken die punktuellen Auftritte der britischen „Society“ fast noch exotischer.

Nun denn, das Theater Bonn ließ sich gestern auf das szenische Exotik-Wagnis ein und hob Delibes „Lakme“ auf die Bretter am Rheinufer. 

Mit dem neuen Shooting-Star am nordrheinwestfälischen Opernhimmel, der Sopranistin Miriam Clark, von der man nicht erst seit ihrer fulminanten Dortmunder „Norma“ Wunderdinge hört, hatte man schon einen gewaltigen Trumpf im Ärmel. Ihr anmutiges Spiel, ihre sicheren Koloraturen,  ihr leichter Hauch von Melancholie ließen sie schnell in die Herzen des Publikums wachsen und prädestinierten sie förmlich für die Idealbesetzung dieser Rolle. Dass sie die Glöckchenarie zum absoluten Höhepunkt der Aufführung werden ließ, war nur mehr als verständlich. In solcher Präzision bei perfekter Tongebung und Schönheit des Klangs hat man diese Diven Show-Piece selten zu Gehör bekommen. Von berückender Schönheit ihr Blumenduett mit der souveränen Kathrin Leidig als Mallika.  Doch waren es weniger die „Schlager“, die Clarks Leistung zum Eeignis werden ließen, es waren viel mehr die „stillen“ Stücke: Das dunkle Gebet, die Anrufung Dourghas, zu Beginn der Oper, vor allem aber die melancholische Berceuse „Sous le ciel tout etoile“ mit der Lakme ihren verwundeten Geliebten beweint. Als Tragödin zeigte sich die Clark mit ihrem versteinerten Liebestod. Eine zurecht umjubelte Leistung, zumal unter der Prämisse, dass die Clark mit dieser Aufführung ihr Rollendebüt gab. Einzig ihr Bühnenvater Renatus Meszar als sinistrer Rachepriester Nilakantha konnte da mithalten. Trotz aller vordergründig finsteren Racheschwüre,  wie es klischeehaft die Rolle verlangt, gelang es Meszar doch, mit seinem virilen Bariton dem Priester das gehörige Quentchen Belcanto einzuhauchen. Wenig Fortune hatte hingegen  Alexandru Badea als schmachtender Offizier Gerald. Mit Verlaub, sein verkrampftes, hölzernes Spiel in überwunden geglaubter Operettentenorpose, sein zu eng geführter lyrischer Tenor mit den gequetschten Accuti, ließen ihn eher zur Parodie erstarren, denn als ernstzunehmenden Liebhaber erscheinen. In den Momentaufnahmen ihrer knappen Auftritte wußten Anjara I. Bartz (Mistress Bentson), Julia Kamenik (Ellen), Charlotte Quadt (Rose), Giorgos Kanaris (Frederic) zu reüssieren. Als getreuer Diener seiner Herrin Hadji gefiel mit leichtem Spieltenor Carles Prat.

Wie stimmstark und im belcantistischen Wohllaut sich einmal mehr der Opernchor des Theaters Bonn, dank der souverän präzisien Einstudierung Sibylle Wagners auch präsentierte, die Auftritte wirkten in ihrer altbackenen Gemächlichkeit antiquierter Genrebilder mehr als  peinlich. Nur ist den Choristen weiß Gott kein Vorwurf zu machen, bewegten sie sich eben nach den Vorgaben der Regie und darin lag die Crux der Aufführung. Zu beneiden ist wahrlich kein Regisseur mit der Aufgabe, uns dieses wahrlich unzeitgemäße, seinem Entstehungszeitgeist verhaftete Werk schmackhaft zu machen. Der künstlerische Direktor der Oper Metz, Paul-Emile Fourny, stellte sich der undankbaren Aufgabe. Da er die Bonner Produktion auch an seinem Institut präsentieren wird, konnte er Regietheater im bundesdeutschen Sinne schwerlich anwenden. Ob sich der Geschmack in Frankreich allerdings auf konventionellen Szenenzuckerguss beschränkt, soll hier nicht weiter diskutiert werden. Bestenfalls erstarrte Fournys Regie in lebende Bilder, die in der Marktszene des zweiten Aktes im wahrsten Sinne laufen lernten, um wuselnde Bazarhektik zu suggerieren. Fournys Bühnenbildner Benoit Dugardyn ist hoch anzurechnen, dass er die Vorgaben des Librettos liebevoll mißachtete und stattdessen eine zwar sehr ästhetische, auf die Dauer aber recht ermüdend wirkende Alternative fand. Inspiriert von der Architektur des Palasts der Winde und dessen filigraner Fensterornamentik schuf Dugardyn einen stimmungsvollen Raum, der von einem überdimensionierten Paravent, der den gleichen Stilelementen gehorchend, zerteilt wurde. Durch die sich überblendende Ornamentik und dem meist grell ausgeleuchteten Hintergrund wirkte das trotz der Ästhetik recht schmerzhaft für die Augen des Betrachters. Die Kostüme Giovanna Fiorentinis passten sich der geschmäcklerischen Ästhetik an, wirkten in ihrer naiven Farbgebung aber so, wie sich Lieschen Müller indisches Volk, Priester etc. vorstellt.

Dem Sedativum der Szenerie hätte durchaus ein Aufputschmittel aus dem Graben entgegen gestellt werden dürfen, doch GMD Stefan Blunier gefiel es, Delibes Partitur wie eine extrem langsame Kamerafahrt auszubreiten. Natürlich gehorchte ihm das Beethoven Orchester in der Willfährigkeit eines präzisen schweizer Uhrwerks und es klang alles recht schön, zu schön ist man versucht zu sagen. Die Sänger schwammen sich wohlig räkelnd in diesen üppigen Klangfluten, nur hätte es durchaus hier und da ein nicht gar zu breites Tempo sein dürfen. 

Der Applaus war dankbar aber durchaus enden wollend. Ein TV-Kritiker scherzte einmal über die ARD-Reihe „Das Traumhotel“, „ist genauso wie das Traumschiff im ZDF, nur auf dem Trockenen“, die noch trockenere klassische Variante erlebte man jetzt an der Oper Bonn.

Dirk Altenaer

 

 

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