Georg Friedrich Händel hoch im Kurs: „Jephtha“ im Theater Bonn (Vorstellung: 1. 2. 2013)
Dem Chor kam in Händels „Jephtha“ eine tragende Rolle zu (Foto: Thilo Beu)
Im heurigen Jahr scheint Georg Friedrich Händel in Österreich und Deutschland besonders hoch im Kurs zu stehen. Neben den jährlichen Händel-Festspielen in Halle an der Saale, in Göttingen und in Karlsruhe, wo mehrere Werke des Komponisten auf dem Spielplan stehen, brachte das Theater an der Wien erst kürzlich seine Oper „Radamisto“ und sein Oratorium „Il trionfo del tempo e del disinganno“ zur Aufführung. Und in Bonn wird sein Oratorium „Jephtha“ in einer Inszenierung von Dietrich W. Hilsdorf wiederaufgeführt, der 2006 für diese Regiearbeit vom Deutschen Bühnenverein für den Theaterpreis „Der Faust“ als bester Musiktheater-Regisseur nominiert wurde.
Das Libretto des Oratoriums „Jephtha“, das 1752 am Covent Garden in London uraufgeführt wurde und in Bonn in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln gezeigt wird, verfasste Thomas Morell nach dem Alten Testament. Der Inhalt in Kurzfassung: Jephtha führt die Israeliten im Kampf gegen die Ammoniter und schwört, im Falle eines Sieges jenes Wesen zu opfern, das ihm zuerst entgegentritt. Nach der erfolgreichen Schlacht begegnet ihm seine Tochter Iphis als Erste. Weder die Klagen seiner Frau Storgè noch die Bereitschaft von Iphis‘ Bräutigam Hamor, sich statt ihrer zu opfern, können Jephtha umstimmen. Er führt seine Tochter vor den Altar, wo ihn ein Engel von seinem Schwur entbindet. Iphis soll nicht geopfert werden, aber fortan als Priesterin Gott dienen. Sowohl Jephthas Begegnung mit seiner Tochter und die Erscheinung des Engels hatte sein Halbbruder Zebul raffiniert eingefädelt, womit Jephthas Dynastie wertlos geworden ist, da er keine Nachkommen haben würde, die seine Herrschaft weiterführen könnte. Zebul entreißt am Schluss Jephtha triumphierend den Königsmantel.
Auch in der bildenden Kunst hatte diese biblische Geschichte Eingang gefunden, wie man im gut illustrierten Programmheft nachlesen kann. So finden sich in der Basilika des Katharinenklosters im Herzen des Sinai die Opferungen von Jephthas Tochter und von Isaak nebeneinander dargestellt. Eine weitere Bildkomposition von den beiden kann man in der Klosterkirche Waldsassen sehen und auch der österreichische Maler Kremser Schmidt hat in einem Gemälde, das Jephthas Tochter gemeinsam mit Judith und Holofernes zeigt, die weibliche Opferbereitschaft und Stärke verewigt.
Dietrich W. Hilsdorf schuf eine beklemmende Inszenierung, die das Publikum vom Anfang bis zum Schluss gebannt lauschen ließ. Besonders gelungen ist seine hervorragende Personenführung des Sängerensembles und des Chors, dem in diesem Werk eine tragende Bedeutung zukommt, kommentiert er doch nicht nur das Geschehen, sondern treibt es auch immer wieder vorwärts. In diesem Sinn war auch die Bühnengestaltung von Dieter Richter angelegt, der die Spielfläche durch teilweise Überdachung des Orchestergrabens vergrößerte und dadurch eine dichtere Nähe zum Publikum erreichte. Die der biblischen Zeit nachempfundenen Kostüme in dumpfen Farben entwarf Renate Schmitzer. Schade, dass die Inszenierung gegen Ende, als der Engel auf Flügeln vom „Himmel“ herabschwebte, kitschig wurde. Auch der Schluss – der Henker köpft eine Puppe, deren abgeschlagenen Kopf ein Hohepriester triumphierend dem Volk zeigt – wirkte eher irritierend.
In der Titelrolle brillierte der ungarische Tenor Tamás Tarjányi nicht nur mit seiner klaren. hellen Stimme, sondern auch mit einer eindrucksvollen und packenden Darstellung, in der sich das Leid eines Vaters genauso wiederspiegelt wie der Fanatismus eines Feldherrn. Auch seine Wortdeutlichkeit ist zu loben. Ihm am nächsten kam die gebürtige Wienerin Julia Kamenik als Jephthas Tochter Iphis, die ihr Schicksal als Opfer mit ihrem lyrisch-dramatischen Sopran ebenfalls stimmlich und schauspielerisch überzeugend und berührend spielte. Gut auch die deutsche Mezzosopranistin Susanne Blattert als Jephthas Frau Storgè, die ihre Muttergefühle mit starker Ausdruckskraft wiedergab. Großartig gesungen ihre Arie „Scenes of horror“.
Der russische Countertenor Artem Krutko spielte Hamor, den Geliebten der Iphis, der sich statt ihrer zu opfern bereit ist, mit großen Emotionen und war auch stimmlich stark. Eine Meisterleistung als Bösewicht bot der bulgarische Bassbariton Martin Tzonev, der in jeder Szene mit ausdrucksstarker Mimik und mächtiger Stimme aufwartete. Den Engel sang seine Landsmännin Emiliya Ivanova mit heller Sopranstimme, die gut zur Rolle passte. Der Chor des Theaters Bonn sang zwar weniger wortdeutlich, konnte aber durch seine gewaltige Stimmkraft überzeugen (Choreinstudierung: Sibylle Wagner). Von besonderer Eindringlichkeit war sein „Whatever is, is right“, mit dem von Jephtha die Opferung seiner Tochter verlangt wird.
Dem Beethoven-Orchester Bonn, das von Sibylle Wagner mit großer Einfühlsamkeit geleitet wurde, gelang es, die musikalischen Feinheiten des Spätwerks von Händel, der die Partitur aufgrund einer Erkrankung nur unter großen Anstrengungen fertigstellen konnte, in allen Nuancen wiederzugeben.
Das begeisterte Publikum spendete allen Mitwirkenden lang anhaltenden Applaus und belohnte die Protagonisten Tamás Tarjányi, Julia Kamenik, Artem Krutko und Martin Tzonev sowie die Dirigentin Sibylle Wagner mit Stehenden Ovationen und Jubelrufen. Kurzresümee: Händel ist in!
Udo Pacolt, Wien –München