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BONN: GIOVANNA D’ARCO. Premiere

27.10.2014 | KRITIKEN, Oper

BONN: GIOVANNA D’ARCO                 Premiere am 26.Oktober2014

Der frühe Verdi ist auf der modernen Opernbühne eigentlich nur mit „Nabucco“ verlässlich und dauerhaft vertreten. Bonn versucht sich mutig noch einmal an „Giovanna d’Arco“. Stofflich ist das Werk dem Schiller-Drama prinzipiell nahe, aber auch wieder weit entfernt. Alleine die Beschränkung auf drei zentrale Figuren (zwei weitere Rollen sind lediglich marginal) beleuchtet die Radikalität der Umarbeitung. Dabei wird die Liebe der Französin Johanna zum feindlichen Engländer Lionel  auf König Carlo VII „umgebucht“, der Vater wütet gegen seine „sündige“ Tochter entschieden wilder als im Schauspiel. Das macht die spätere Versöhnung der beiden übrigens nicht eben plausibel. Aber Vater-Tochter-Verhältnisse sind bei Verdi ja stets von besonderer Art.

Wenn man alleine der oft geradezu unverfroren schmissigen Musik Verdis lauscht, erledigt sich manche Skepsis, zumal das BEETHOVEN ORCHESTER von WILL HUMBURG geleitet wird, einem Mann mit Italianità-Sensorium wie kaum ein zweiter. Seine Präzisionsakribie mag die Musik hier und da etwas kasernieren, andererseits wird ihr jugendflammender Elan geradezu nervenkitzelnd herausgearbeitet. Doch auch unter diesen Umständen geriet in der Premiere zu Beginn des 2. Aktes die Koordination zwischen Banda auf einer Zuschauerempore und dem Orchestergraben nicht optimal. Eine Feststellung, kein Tadel.

 Der Chor des Hauses folgt den autoritativen Weisungen des Maestro so willig und wirkungsvoll wie das Orchester. Der Kontakt zum Dirigenten wird ihm nun freilich nicht eben schwer gemacht, denn er hat lediglich dekorativ und frontal auf der Bühne zu stehen, gelegentlich Vivat-Rufe zu absolvieren und nach vergilbter Opern(un)sitte euphorisch die Hände zu recken. Auch die Solisten dürfen sich meistens bühnenmittig in Positur begeben, als ob szenische Ansprüche im 19. Jahrhundert stecken geblieben wären.

 Dafür ist das inszenierende Team FETTFILM verantwortlich. Die Arbeit von MOMME HINRICHS und TORGE MOLLER konzentriert sich auf Videoinstallationen, wie sie beispielsweise „Signs fiction“ am Potsdamer Platz in Berlin darstellt. Dominierend sind allerdings Beiträge für das Theater, wie an zentralen Orten wie Bregenz, Bayreuth oder Salzburg zu erleben. In Bonn zaubert man romantische Bilderbuchräume auf die Bühne, wobei die riesige, von Quaderbauten gesäumte Treppenlandschaft und die plastischen Projektionen eine überzeugende Einheit eingehen. Das ist ja auch Ziel von fettFilm: keine bloße „Koexistenz“ der bildnerischen Künste, sondern deren Verschmelzung. Es gibt frappierende Wirkungen, wenn sich beispielsweise vor der Kathedrale virtuelle Außenpforten schließen oder wenn bei der Donner-und-Blitz-Szene die Erde zu wanken scheint. Aber diese Effekte dienen lediglich dem Dekorativen, führen zu optisch schönen Umrissen ohne tieferen Gehalt. Gegen Schluss tauchen Filmeinblendungen von Kriegsereignissen aus jüngerer Zeit auf, werden Gesichter von anderen Heldinnen der Geschichte eingeblendet. Das sind wie auch die Flammen in der vorweggenommenen Verbrennungsszene etwas sinnvollere Kommentare. Doch auch sie vermögen nicht die grundsätzliche Naivität der Inszenierung zu kaschieren oder gar zu korrigieren. In Bonn erlebt man ein Opernmärchen wie aus alten Zeiten, nicht mehr. Die historisierenden Kostüme von UTA HEISEKE unterstreichen das, auch wenn es erfreulich ist, mal keine nüchternen T-Shirts oder Schlabberhosen vorgesetzt zu bekommen. Dennoch regte sich beim Bonner Premierenpublikum, sonst meist überfreundlich reagierend, leichter, aber vernehmlicher Protest. Aber der wurde (zu Recht) überschwemmt von Beifallswogen für die musikalischen Leistungen.

Die kleinen Partien des Offiziers und des englischen Kommandeurs Talbot geben CHRISTIAN GEORG und MARTIN TZONEV freilich kaum Gelegenheit, sich zu profilieren. Für die Hauptpartien stehen hervorragende Künstler zur Verfügung. Sowohl der italienische „Haustenor“ GEORGE ONIANI, ein Georgier, und der sich in einem großen Karriereaufwind befindliche Russe MAXIM ANISKIN (demnächst Met-Auftritte) zeigen markante, vokal schmelzreiche Rollenprofile (Carlo VII; Giacomo, Giovannas Vater). Die Titelpartie wird durch JACQUELYN WAGNERs kristallinen, in der Höhe gänzlich mühelosen Sopran sogar zu einem veritablen Ereignis.

 Christoph Zimmermann

 

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