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KÖLN: ANNA BOLENA. Premiere

17.02.2013 | KRITIKEN, Oper

KÖLN: ANNA BOLENA.  Premiere am 17. Februar 2013

 Das Genre der Belcanto-Oper wird in Köln etwas stiefmütterlich behandelt. Erinnerungen führen gerade mal zu einer „Lucia“ mit Lucia Aliberti vor etlichen Jahren. Hin und wieder haben Konzertaufführungen entschädigt, zuletzt eine „Norma“ mit Edita Gruberova. „Anna Bolena“ wagte man jetzt aber szenisch. Seit 2002 arbeiten die Schauspielerin IMOGEN KOGGE (TV-Zuschauern u.a. als Kommissarin Johanna Herz bekannt) und der Ausstatter TOBIAS HOHEISEL (als Karrierestart gilt seine Kostümkollektion für eine schon lange zurückliegende Kölner „Rake“-Produktion) als Regieteam zusammen.

 Die Rezeptionsgeschichte von Anna Bolena“ erfuhr nach 1880 eine markante Zäsur. Erst 1956 erinnerte das Teatro Donizetti in Bergamo an das Werk des Sohnes dieser Stadt. Doch eigentlich erst die spektakuläre Scala-Produktion mit Maria Callas ein Jahr später läutete eine wirkliche Renaissance ein. Ihr Pompstil (Luchino Visconti/Nicolas Benois) wäre heute sicher nicht mehr tauglich, aber irgendwelche intellektuelle Hirngespinste möchte man sich auch nicht unbedingt aufs Auge drücken lassen. Den optischen Ansatz von Kogge/Hoheisel darf man da fast schon als Quadratur des Kreises bezeichnen, ob langfristig, bleibe erst einmal dahin gestellt. Aber der Kölner Produktion gelingt es, das dominant Vokale nicht zu leugnen, die Bühne aber dennoch nicht zu einer Schaufensterdekoration herabzuwürdigen.

Hoheisels Szene bietet als Zentrum einen weißen Raum. Hinter einem Gazevorhang in der Höhe werden kommende Geschehnisse (Hinrichtung Annas) oder auch Rückblenden (Hochzeit mit Enrico VIII) als Kontrast zum realen Geschehen gezeigt. Links gibt es eine Dreier-Sitzgruppe, nie benutzt, aber wohl als Verweis auf Gerichtsbarkeit gemeint, rechts eine breite Treppe. An den säumenden Wänden hängen Porträts der real-historischen Personen, während die Opernfiguren mal historisch (Frauen), mal eher modern (Männer) gekleidet sind. Ganz rechts außen noch der Schreibtisch von Enrico, an dem sich entscheidende Szenen abspielen. Hin und wieder mögen Fragen hinsichtlich bestimmter optischer Entscheidungen aufkommen, aber das überzeugende ästhetische Gleichgewicht in dieser Aufführung lässt negative Fragen im Grunde verstummen. Auch solche nach der sicher nicht immer ganz plausiblen Führung des Chores.

 Das Regie-Duo gönnt den großen Musiknummern Ruhe, Entfaltung und angemessenen emotionalen Ausdruck, was aber nie verlegen oder gar uninspiriert wirkt. Das Bühnenspiel besitzt Natürlichkeit, wirkt an keiner Stelle aufgesetzt. Auch das leicht überdrehte Duett zwischen Percy und Rochefort vor ihrem selbst eingeforderten Tod macht Sinn. Die Bereitschaft des Zuschauers, bestimmte Nummern-Topoi (wie die finale Wahnsinnsszene) als einer historischen Dramaturgie entsprungen zu akzeptieren, sollte allerdings Voraussetzung sein. Die Kölner Aufführung nimmt einen bei der Hand, findet Bildlösungen, die durch sinnvolle Personenführung und kluge Akzente überzeugen, auf inszenatorische Ego-Fantasien jedoch verzichten.

 Musikalisch wird man erstklassig bedient. ALESSANDRO DE MARCHI, der als Barockspezialist im alten Opernhaus (derzeit in Renovierung) bereits Händels „Rinaldo“ dirigierte, widmet sich in der Ausweichspielstätte „Palladium“ mit seinem leider ziemlich unendlichen Zuschauerschlauch nun also Donizetti, mit Bellini derzeit seine Repertoiregrenze zum 19.Jahrhundert hin. Unter seiner kundigen, genau klangbalancierenden und anfeuernden Leitung spielt das GÜRZENICH-ORCHESTER Italianità-idiomatisch und korrespondiert bestens mit den Sängern.

 Immer wieder gelingt es der Kölner Oper, selbst international bekannte Künstler für Rollendebüts zu gewinnen (bei Monteverdis „Poppea“ wurde das vor einiger Zeit nachgerade auf die Spitze getrieben). OLESYA GOLOVNEVA, bislang in „Titus“, „Entführung“, „Traviata“ und „Krieg und Frieden“ zu erleben, verkörpert die Anna Bolena wunderbar belcantesk, ohne bei dramatischen Höhepunkten zu passen. Von der Rollenfarbe ist sie naturgemäß eher eine Montserrat Caballé als eine Maria Callas. In die Giovanna Seymour investiert REGINA RICHTER ihre bereits mit der Adalgisa bewiesenen interpretatorischen Qualitäten, welche bei der oben erwähnten „Norma“ Edita Gruberova fast ein wenig das Fürchten lehrten. Auch diesmal gehen theatralischer Affektausdruck und sensible melodische Formulierung Hand in Hand. KATRIN WUNDSAM durchleuchtet ihre Partie, den pubertär liebenden Pagen Smeton, mit schlanker Mezzokraft. MATIAS TOSI (Rochefort) und ALEXANDER FEDIN (Hervey) ergänzen das Ensemble angemessen.

 Die Sängergäste. GIDON SAKS verkörpert Enrico VIII. Vielleicht könnte man ein gewisses vokales Dröhnen monieren. Aber diese leichte Overpower passt ideal zur Figur eines stets auftrumpfenden Ego-Herrschers, der nur einmal Schwäche zeigt, als nämlich Giovanna von Trennung spricht. Und auch da findet der Bassbariton den richtigen Ton. Prinzipiell verfügt der junge brasilianische Tenor LUCIANO BOTELHO über die Spitzentöne seiner kräftezehrenden Partie (Riccardo Percy), aber sie wirken häufig erkämpft, und auch die Kantilenenbeherrschung erscheint verbesserungswürdig. Allerdings nimmt der gut aussehende Künstler durch sein engagiertes Spiel sehr für sich ein.

 Das Finalbild fasst die Regieästhetik der Kölner „Anna Bolena“ noch einmal zusammen. Während in der Bühnenmitte die Titelheldin auf einem vom schwarz gewandeten Frauenchor gestreuten Blütenmeer zusammensinkt, treten rechts Enrico und Giovanna im Dämmerlicht zum Hochzeitszeremoniell an. Ob beider Zukunft wirklich glücklich wird oder sich nicht irgendwann ein weiteres Anna-Schicksal wiederholt, drückt sich in diesem optischen Kontrast durchaus sinnfällig aus.

 Christoph Zimmermann

 

 

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