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BLUT AUF DEN SCHIENEN

21.06.2020 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Christian Lunzer / Peter Hiess
BLUT AUF DEN SCHIENEN
Die größten Verbrechen der Eisenbahngeschichte
208 Seiten, Verlag ueberreuter, 2020
  

Mord im Orientexpress! Man muss nur daran denken, und dem Krimi-Freund läuft das Wasser im Mund zusammen. Das ist allerdings die schöne Fiktion. Dass es rund um die Eisenbahn auch jede Menge von realen Verbrechen gab, davon viele gar nicht schön und vielfach grausig – das kann man in dem Buch mit dem einladenden Titel „Blut auf den Schienen“ nachlesen. Hier haben Peter Hiess und Christian Lunzer „die größten Verbrechen der Eisenbahngeschichte“ zusammen gestellt.

Natürlich bleibt der legendäre englische „Eisenbahnraub“ („The Great Train Robbery“) von 1963 das Herzstück, doppelt interessant, weil es viel Geld und keine Toten gab und weil das Unternehmen (trotz einer Überzahl von Beteiligten) so glatt nach Plan ablief. Es war dann eher Zufall, dass man die Beteiligten nach und nach fasste, und weil es „Ronnie“ Briggs auch noch gelang, aus dem Gefängnis zu flüchten und in Brasilien unterzutauchen, und das faktisch unter den Augen der Weltöffentlichkeit – so umgibt dieses Verbrechen, das viele (darunter der Schriftsteller Graham Greene) regelrecht bewunderten, jenes „Flair“, das Geschichten um Raub und Mord nicht unbedingt ausstrahlen.

Und es wurde viel gemordet in Zügen. Raubmorde, weil ein Gegenüber im einsamen Coupé lukrative Beute versprach. Sexualmorde. Lustmorde. Serientäter – die Bahn bot sich als Schauplatz an. Nicht immer fand man die Täter. Und wenn, versteckten sie sich hinter der Fassade der Normalität.

Ein besonderer Aspekt der Morde rund um die Bahn war das Verschicken von Leichen mittels jener großen Schrankkoffer, die es heutzutage nicht mehr gibt. Wurden diese am Zielort nicht abgeholt, dauerte es einige Zeit, bis der Geruch des Inhalts darauf aufmerksam machte, dass etwas nicht stimmte. Wer Leichenteile in normalen Koffern verschicken wollte, hatte es schwerer – da musste man schon zu Hacken und Sägen greifen… Jedenfalls gab es, wie die Autoren beschreiben, geradezu eine schaurige „Blütezeit“ der „Koffermorde“.

Sabotageakte gegen Züge, um Erpressergeld zu lukrieren, gab es immer wieder, da kamen auch oft Insider-Kenntnisse zum Tragen. Wenn ein Täter zu publicitysüchtig war und sich selbst unter die Opfer mischte, für die er mit seiner Sprengung eines Zuges verantwortlich war, konnte das schief gehen, denn die Polizei ist ja auch nicht naiv.  Es war übrigens  der später als Autor bekannte Hans Habe, der 1931 als Reporter zur „Unfallstrecke“ zwischen Wien und Budapest geschickt wurde und dem sich Sylvester Matuska als beredeter Augenzeuge anbot. Dieser hat übrigens unter den Tätern eines der abenteuerlichsten Schicksale zu verzeichnen… am Ende wollte man ihn nach seiner Flucht in den Diensten der Nordkoreaner wissen.

Es gibt auch andere interessante Einzelfälle, etwa jenen des Mexikaners Angel Resendez. Er hatte Züge zu seinen perfekten „Waffen“ entwickelt, nachdem er sich schon als Kind zum Meisterdieb ausgebildet hatte. Er sprang auf Güterzüge auf, in Ortschaften ab, beging seine Raubzüge und war schon auf dem nächsten Zug und weit weg, bevor man etwas unternehmen konnte. Dabei schreckte er auch vor Morden nicht zurück. Als er seine Tätigkeit auf die USA ausdehnte, sorgte er dafür, dass die Polizei den „Railway Killer“ nicht finden konnte. Wäre er bei den Gelegenheiten, als man ihn erwischte (ohne Beweiskraft) unter immer demselben Namen erschienen, hätte man ihn schnell immer wieder abgeschoben. Die vielen Identitäten, die er annahm, verwirrte die Polizei so, dass er gelegentlich sogar eine Aufenthaltserlaubnis bekam. Erst ein sehr nachdrücklich nachforschender Texas Ranger konnte ihn schließlich fangen und der Giftspritze zuführen, die er für seine zahlreichen Morde mehr als verdient hatte.

Zwischen die „Fälle“ haben die Autoren auch einzelne „Sach“-Kapitel eingeschoben, die sich u.a. mit der Geschichte der Bahnhöfe befassen, die im 19. Jahrhundert zu wahren „Kathedralen des Fortschritts“ wurden, Prachtbauwerke, von denen leider wenige überlebt haben (auch nicht der besonders aufwendige Wiener Nordwestbahnhof). Die Bahnhöfe von heute können sich mit dem Aufwand und der Eleganz jener von gestern nicht im entferntesten messen.

Am Ende bedauern die Autoren auch, dass das Bahnfahren heute so glanzlos geworden ist, in Großraumwägen, wo ohnedies nur alle in ihre Smartphones blicken. Stimmt. Aber wenn man bedenkt, was sich in Coupés schon alles abgespielt hat – das war auch nicht immer romantisch…

Renate Wagner

 

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