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BLINDENMARKT/Festhallen-Baustelle: FRÜHJAHRSPARADE von Robert Stolz. Premiere

03.10.2015 | Allgemein, Operette/Musical

BLINDENMARKT/Baustellen-Festhalle: FRÜHJAHRSPARADE/Premiere am 2. Oktober 2015

Gernot Kranner entdeckt Robert Stolz als Vater der Popmusik


Elisabeth Pratscher. Foto: Lukas Beck

Einige saftige Überraschungen erlebte man zur 27. Premiere der stets erfolgreichen Blindenmarkter Herbsttage, Robert Stolz’ melodienseliger, nostalgischer, heiterer „Frühjahrsparade“, beim Betreten der im Umbau befindlichen Festhalle. Ein neues Foyer bot festlichen Glanz auf den Rest muss man bis 7. Oktober 2016 warten, wenn Intendant Michael Garschall mit Franz von Suppés Klassiker „ Boccaccio“ sein neues Theater eröffnet. Vor vielen Jahren vom Land Niederösterreich als Festspielhaus angekündigt, entsteht nun tatsächlich ein neues, dem Anspruch des Publikums und der Qualität des Gebotenen würdiges Theatergebäude. Das Land Niederösterreich und zahlreiche Gönner machen es möglich. Zum letzten Mal genoss man auf den engen unbequemen Sesseln in der adaptierten Turnhalle ein Meisterwerk des Musiktheaters.

In seiner Begrüßungsrede kündigte Gründer-Intendant Garschall eine „Zeitreise von einst bis jetzt“ an. So gab es also vor und nach der eigentlichen Robert-Stolz-Operette zwei Überraschungen. Zunächst erlebt man im Prater unter dem Riesenrad historische Filmaufnahmen der traditionellen Frühjahrsparade der Monarchie mit Kaiser Franz Joseph. Nach der Operette, in der es im Wesentlichen um drei Liebesgeschichten und Verwirrungen um eine Komposition des Militärtrommlers Willi Sedlmeier geht, gibt es eine heute stattfindende „Springparade“ am selben Ort.

Alle Figuren der Operettenhandlung sind im Pop-Outfit zur Stelle. Ein Denkmal des Komponisten Robert Stolz wird aufgefahren, ihm entsteigt die Pop-Ikone Conchita Wurst. Der Kaiser verwandelt sich in einen Prater-Ausrufer, der Friseur Swoboda der Operette in Conchita. Ja, sie tanzen sogar miteinander. Ein „Spring-Parade-Remix 2015“ des Komponisten Gerfried Krainer, dessen Name jenem des Regisseur Gernot Kranner verdächtig ähnelt, bildet eine Einlage mit der Stimme des Regisseurs im Vordergrund, ehe gottlob die letzten Takte musikalisch wieder der originalen „Frühjahrsparade“ gehören. Alles ist Freud und Wonne, die einen staunen über diese am Rande des künstlerisch Möglichen wandelnde Szene, die anderen, vor allem die jungen Menschen imSaal, jubeln.

Erfreulicherweise konnte man sich als Besucher in Rahmen der solennen Premierenfeier beim operettenkundigen Regisseur Gernot Kranner über das Gesehene und Gehörte informieren. Also: Durch sein umfangreiches Studium der Musik von Robert Stolz (1880 bis 1975) ist laut Kranner die Popmusik ohne den Werken des Melodienkaisers undenkbar. Alle einschlägigen Komponisten des Pop bauen auf diesen auf. Daher das Denkmal, daher Conchita Wurst, daher auch das gesamte musikalisch ein wenig fragwürdige Finale.

Welch grandioser Musiktheater-Regisseur Gernot Kranner tatsächlich ist, zeigte er davor mit Hilfe der einfallsreichen Choreographin Monica I. Rusu-Radman, des ideenreichen Bühnenbildners Roland Ploner, der stets wechselnden, dem Zeitrahmen von Monarchie und Gegenwart angepassten schönen Kostümen von Ilona Glöckel und im Schlussbild von Tina Prichenfried. So entstand ein von Kranner gelenktes Gesamtkunstwerk der Operette, das dem Publikum alle Facetten dieser Musiktheater-Gattung bietet: Nostalgische Stimmung bei Melodienbögen, turbulente Einzelszenen und perfekte Dialoge. Kranner spart auch den Kitsch nicht aus, der in der Heurigenszene seine Vollendung findet.

Dazu gibt es eine Besetzung von erlesener Qualität: Matthias Helm ist der naive, talentierte Komponist und Militärtrommler Willi Sedlmeier, dessen „Frühjahrsparade-Marsch“ aufgrund eines Erlasses des Kaisers gespielt werden darf. An seiner Seite ist Elisabeth Pratscher die grenzenlos verliebte Marika, welchedie Noten des Marsches, in ein Salzstangerl gebacken, dem Kaiser zum Frühstück schickt.Das zweite Liebespaar steht dem ersten keineswegs nach. Der nach langer Wanderschaft nach Österreich zurückgekehrte Tenor Laszlo Maléczky, eine Ikone der Operetten- und Popkultur, singt und spielt den Adeligen Gustav von Laudegg sehr viril, sehr bestimmend. Körperliche Sinnlichkeit steht bei ihm und seiner Partnerin Simona Eisinger als Sängerin Hansi Gruber im Vordergrund. Das dritte, reifere Liebespaar, ein Hofrat und eine Bäckerin, könnte besser nicht besetzt sein: Paul Schmitzberger und Gabriele Schuchter, die auch den berühmten „Gabi-Radschlag“ zum Besten gibt, sind berührend und diskret-romantisch. Inge Altenburger ist die eiskalt-dominante Obersthofmeisterin Klothilde von Laudegg, der zuletzt ihr Gatte Theobald in Gestalt des ebenso gütigen wie aufmüpfigen EinspringersRudolf Pfister tapfere Gegenwehr bietet.

Als Trumpf vor der Popszene gilt der Auftritt des legendären Charakterschauspielers Peter Uray als liebenswerter Kaiser. Sein Duett mit Elisabeth Pratscher („Versprechen kann ich es nicht, aber ich werde mein Möglichstes tun“) gerät zum späten Höhepunkt des Abends. Die Jugend ist durch die beiden Bäckerlehrlinge in der Person von Max Buchleitner und Josef Ertl munter unterwegs. Drei Blindenmarkter Urgesteine lassen die ortsansässigen Besucher jubeln: Christiana Bruckner, Stephan Eder und Starkomiker Willi Narowetz, dem der skurrile Friseur Swoboda besser gelingt als Conchita Wurst in perfekter Maske und mit falscher Figur. Die Ballett-Tänzer Barbara Castka, Ruth Hausensteiner, Angelika Ratej, Michael Johannes Mayer, Thomas Reisinger  (ein unglaubwürdiger Ketterl) und Lukas Watzke beweisen Vielseitigkeit.

Der Chor der Herbsttage Blindenmarkt und das Kammerorchester der Anton-Bruckner-Universität Linz stehen unter der Leitung von Kurt Dlouhy. Der Mann der ersten Stunde hat trotz der vielen Umreihungen und Einlagen den musikalischen Part in all seiner Vielseitigkeit fest im Griff, wobei ihm mit seinen Instrumentalisten sogar symphonische Feinheiten gelingen. Im Popbereich scheint sich Dlouhy nicht ganz so wohl zu fühlen wie in der Stolz-Partitur.

Der umjubelte, auf szenischem und musikalischem Sektor gleicherweise gelungene Premierenabend und der starke Vorverkauf garantieren eine ausverkaufte Saison 2015 mir dem freudigen Ausblick auf das neue „Theaterhaus Festhalle“ mit Eröffnungsdatum 7. Oktober 2016.

Ingo Rickl

 

 

 

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