Emilia Heigl, Larissa Winkel, Peter Kratochvil, Angelika Rataj, Lene Stöckelle. Foto: Herbsttage/Lukas Beck
Operettenrevue in Blindenmarkt macht das Leben wieder lebenswert (9.10.2020
Sensationelles Gesamtkunstwerk aus 17 Einzelszenen begeistert
Die Vorgeschichte ist bekannt: Aufgrund der gesundheitsbedingten Vorschriften im unseligen Corona-Jahr 2020 musste sich Michael Garschall als verantwortungsbewusster Intendant der Herbsttage Blindenmarkt frühzeitig entschließen, den für heuer geplanten „Grafen von Luxemburg“ von Franz Lehár auf das Jahr 2022 zu verschieben, zumal 2021 „Wiener Blut“ von Johann Strauss gezeigt wird. Was die im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit stehenden Salzburger Festspiele im August mit reduziertem Programm souverän bewältigten, geling nun auch in der Blindenmarkter Ybbsfeldhalle mit penibel einzuhaltenden Regeln zum Schutz der Gesundheit. Garschall entwickelte gemeinsam mit dem mit allen Wassern gewaschenen Operetten-Profi Wolfgang Dosch und dem seit 31 Jahren am Pult des Orchesters stehenden leidenschaftlichen Operetten-Kenner und – Dirigent Kurt Dlouhy einen eineinhalbstündigen pausenlosen Abend mit 17 Operettenszenen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Die Musik stammt von vier genialen Komponisten, die heuer runde Geburtstage feiern: Franz Lehár (1870 bis 1948) und
Oscar Straus (1870 bis 1954) ihren 150., Robert Stolz (1880 bis 1975) seinen 140. Sowie Nico Dostal (1895 bis 1981) seinen 125.
Die Kunst des Produktionsteams bestand darin, 17 überragende, meist populäre Arien und Lieder unter einen Hut zu bringen, das heißt, Musik und Texte so zu gestalten, dass es keine SängerInnen-Auftritte wie bei Liederabenden gibt, sondern jede einzelne Szene inhaltlich und optisch so gestaltet wird, dass sich ein Gesamtkunstwerk vom ersten bis zum letzten Ton, vom Erscheinen der SängerInnen, der Crew, des Balletts und des Moderators bis zu deren Abtritt entwickelt und möglichst nahtlos in die nächste Szene übergeht.
Dazu bedarf es natürlich zunächst optischer Hilfen, die perfekt gelungen nicht nur als Rahmen, sondern als Inhalt der Dramaturgie eingegliedert sind. Der Bühnenraum wurde von Marcus Ganser gestaltet. Eine nicht allzu lange, dafür aber breite Treppe bietet sowohl Möglichkeiten für spektakuläre Auftritte als auch für spektakuläre Aktionen. Regisseur Wolfgang Dosch lässt keine Möglichkeiten aus, den revueartigen Charakter des Abends mit diesen Bühnengegebenheiten zu nutzen. Die SängerInnen haben neben ihren Aktionen ein zweites Plus: Sie erhalten für den Inhalt jeder einzelnen Szene präzise ausgesuchte charakteristische Kostüme. Wir sagen es natürlich gerne, dass dabei die beiden bildhübschen Solistinnen mehr profitieren als ihre männlichen Kollegen. So gebührt der immer mit dem Inhalt der Arien vertrauten Kostümschöpferin Irina Hofer hohes Lob.
Aufgrund der geschilderten Tatsachen war es für das Publikum leicht, jeden Schlager einzeln zu genießen und zu erleben, wie sich letztlich das Einzelne zum grandiosen Gesamtergebnis formt. „Die Operette lebt, unterhält und trägt zur mentalen Gesundheit jedes einzelnen Interpreten und Zuhörers bei.“
Noch ein Wort zu Regisseur Wolfgang Dosch: Als Sänger und Wissenschaftler war er der gegebene Mann, die Moderation zwischen der Vermittlung von biographischen Details, Anekdoten und Ankündigung kommender Programmteile anzusiedeln. Man ging gescheiter
aus der Ybbsfeldhalle als man sie betreten hatte.
Die Regiearbeit von Dosch und die abwechslungsreich gestaltete Choreographie von Monica I. Rusu-Radman fand im musikalischen Teil ihre gleichwertige Ergänzung. Das von Kurt Dlouhy geleitete, von Martin Reining angeführte 14-köpfige Salonensemble Kammerorchester Ybbsfeld besteht de facto aus ebenso vielen erstklassigen SolistInnen,wobei Pianist Florian Reithner das Privileg besaß, Wolfgang Dosch in seinem Robert-StolzSolo „Auf der Heide blüh’n die letzten Rosen“ begleiten zu dürfen: ein Doppelgenuss sinnerfassender Lied-Interpretation.
Clemens Kerschbaumer, Svenja Isabella Kallweit. Foto: Herbsttage/Lukas Beck
All diese optimalen Grundlagen haben nun die SängerInnen vor sich, um sich ihren Schlagern zu widmen. Wie fast immer steht diesbezüglich der Tenor im Mittelpunkt. Wenn Clemens Kerschbaumer das Motto-Lied „Freunde, das Lebens ist lebenswert“ mit Glanz und Gloria in den Raum schmettert, bleibt ebenso kein Auge trocken wie beim Evergreen „Ob blond, ob braun, ich liebe alle Frau’n“. Diva Svenja Kallweit glänzte vor allem mit Nico Dostals elegischem Lied „ Spiel mir das Lied von Glück und Treu“, Verena Barth-Jurca absolvierte mit dem extrem heiklen Koloratur-Fox von Nico Dostal eine der schwierigsten Momente des Abends trotz scheinbar lockeren Spiels verblüffend souverän. Buffo Peter
Kratochvil machte schon in Lehárs Marschcouplet „Nechledil, du schöner Mann“ lockercharmante Figur, um dann in mehreren Duetten mit Verena Barth-Jurca zu brillieren.
Willi Narowetz. Foto: Herbsttage/Lukas Beck
Publikumsliebling ist in Blindenmarkt seit Jahrzehnten Lokalmatador Willi Narowetz der wohl berühmteste „Laiendarsteller“ des Landes, der zum Vollprofi gewachsen ist. Wenn er beim Weibermarsch als Bissgurn mit Peitsche die angetretenen Herren schikaniert, ist er Verstellungskünstler, wenn er das von Wien-Enthusiast Robert Stolz komponierte Wienerlied „A klane Drahrerei“ intoniert, ist er Größen des Genres wie Hans Moser oder Paul Hörbiger sehr nahe. In den meisten Szenen unterstützen fünf Damen und drei Herren als Vokal- und Tanzensemble die ProtagonistInnen: Emilia Heigl, Angelika Ratej, Marie-Luise Schottleitner, Lena Stöckelle, Larissa Winkel, Kilian Berger, Lorenz Bodner und Michael Zallinger sind in der Ballettsprache sogenannte Halbsolisten mit gigantischem Einsatz, stimmlich und darstellerisch eine wahre Freude.
Mit Robert Stolz endete der Abend in doppeltem Sinn: „Hallo, du süße Klingelfee“, vorgetragen vom Duo Barth-Jurca/Kratochvil, ist dem historischen Ereignis der ersten Telefonistinnen geschuldet, der Heurigenmarsch „Jung san ma, fesch san ma“ spricht jeden auf der Bühne und im Publikum an.
Zuletzt waren sich die Künstler auf der Bühne und das Publikum im Saal in gegenseitiger Dankbarkeit einig: Ohne Musik darf es kein Leben geben. Damit sind wir letztlich wieder beim sinnvollen Motto des Abends: „Freunde, das Leben ist lebenswert“.
Ingo Rickl
Die Operettenrevue steht noch viermal auf dem Programm. Am 17. Und 24. Oktober um 19.30 Uhr, am 17. Oktober auch um 15.00 Uhr sowie am 26. Oktober um 16.00 Uhr.
Karten: Telefon 07473 / 66680
Mail: karten@herbsttage.at