Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BLINDENMARKT: IM WEISSEN RÖSSL. Premiere

05.10.2014 | KRITIKEN, Operette/Musical

Blindenmarkter Herbsttage – 3. Oktober 2014 – Premiere

 Das „Weiße Rössl“ galoppiert zu einem überlegenen Erfolg

Tolles Jubiläum „25 Jahre Operettenwunder Blindenmarkt“


Alexander Kaimbacher, Kerstin Grotrian. Foto-Copyright: Lukas Beck/Herbsttage Blindenmarkt

 1989 gründete Michael Garschall, damals 22jähriger Student der Theaterwissenschaften, in seiner Mostviertler Heimatgemeinde die „Blindenmarkter Herbsttage“, ein Operetten-Festival, das sich im Laufe eines Vierteljahrhunderts zum Wunder dieses unsterblichen Genres entwickelt hat. Nun kam es am Freitag in der prächtig adaptierten Festhalle zu einer umjubelten Aufführung von Ralph Benatzkys melodienreichem Singspiel „Im weißen Rössl„. Ein 1897 im Berliner Lessingtheater uraufgeführtes gleichnamiges Lustspiel von Oskar Blumenthal und Gustav Kadelburg musste bis 1930 warten, als sich der clevere Theaterdirektor Eric Charell des Stoffes bemächtigte. Er beauftragte den erfolgreichen Revuen-Schreiber Ralph Benatzky mit der musikalischen Bearbeitung und holte sich, wie sich herausstellte unter obskuren juridischen Bedingungen, bereits vorhandene populäre Melodien von Robert Stolz, Bruno Granichstaedten und Robert Gilbert, der auch die Liedtexte schuf.

Seit der Uraufführung am 8. November 1930 im Berliner Schauspielhaus galoppiert das „Weiße Rössl“ mit ungebremstem Elan und Erfolg rund um den Erdball. Zum Jubiläum hat nun Blindenmarkts Langzeit-Intendant Michael Garschall eine fantastische Gruppe von operettenkundigen „Jockeys“ um sich gesammelt, die an Tempo und Rasanz alle bisherigen Rekorde purzeln lassen.

An der Spitze der erfolgreichen Produktions-Truppe steht die Regisseurin Isabella Gregor, genannt „Madame 150.000 Volt“, deren Bearbeitung eine nicht zu überbietende Tempo-Bolzerei erzeugte, der sich in den lyrischen Liebesliedern – etwa „Es muss was Wunderbares sein, von dir geliebt zu werden“ – auch stille, nachdenkliche Momente beigesellten. Isabella Gregors Geheimnis: Sie inszeniert bei ihrer fünften Blindenmarkter Regiearbeit, wie zuletzt auch in der Klosterneuburger „Zauberflöte“, streng nach den Erfordernissen der Partitur. Sie schöpft bis hin zum Notenbild aus den Melodien. Hier ist sie sich mit dem unvergleichlichen musikalischen Leiter Kurt Dlouhy einig. Dieser lässt zwar einige Einlagen wie die von Gernot Kranner für den Jubiläumsabend neu geschaffene „Blima-Festspielhymne“ oder den Populärschlager „Wer soll das bezahlen?“ zu, sorgt aber in den vielen zum Mitsingen reizenden Hits penibel auf die musikalische Struktur mit ihren vielen Rhythmus-Wechseln. Ein prächtiges Bühnenbild (der Wolfgangsee mit stilisierten bergen) samt köstlichen Verwandlungsmöglichkeiten von Roland Ploner, abwechslungsreich-lustige Kostüme von Agnes Hamvas sowie die das gesamte große Ensemble integrierende Choreographie von Monia I. Rusu-Radman ergeben im Verein mit den vielen Ideen der Regisseurin eine publikumswirksame Einheit.

 Dazu kommt eine exquisit ausgesuchte Besetzung musikalischer Komödianten allererster Klasse. Will man einen Star orten, dann ist dies „Leopold“ Alexander Kaimbacher, dessen rasende Eifersucht immer wieder an Canio im „Bajazzo“ erinnert. Mimisch und gestisch geht er an die Grenzen der intensiven Gestaltung und erinnert manchmal gespenstisch an Opernstar Rolando Villazon, dem er auch optisch nacheifert. Stimmlich erhält Kaimbacher Konkurrenz durch seinen Rivalen Clemens Kerschbaumer als Dr. Siedler. Tenoral bleiben die beiden einander nichts schuldig.


Peter Rapp (Kaiser Franz Joseph I.), Kerstin Grotrian (Josefa Vogelhuber). Foto: Lukas Beck/ Herbsttage

 Das „Weiße Rössl“ bietet allen Protagonisten dankbare Aufgaben. Da ist Kerstin Grotrian die sich glaubhaft von der sturen Emanze zur liebenden Frau wandelnde „Rössl“-Wirtin Josepha Vogelhuber. Aus Berlin reisen der polternde Raunzer Giesecke und seine Tochter Ottilie an. Claus J. Frankl kostet schamlos jede sich ihm bietende Pointe aus, Barbara Pöltl glänzt durch forsche Natürlichkeit. Als „schöner Sigismund“ ist Ronny Hein ein wahrer Wirbelwind, der sich, durch Klärchen bezaubert, zum lauen Lüftchen reduziert. Als lispelndes Klärchen beweist die bildhübsche Katrin Fuchs einmal mehr, dass sie zur Elite der Soubretten gehört. Von den bodenständigen Komödianten ist Willi Narowetz, dem man spektakuläre Einlagen gönnt, der umjubelte Superstar, assistiert von den vielseitig souverän agierenden Christina Bruckner und Heinz Müller. Der junge Lorenz Bodner zeigt vor allem als Piccolo sein heranreifendes Talent. Peter Rapp ist der Kaiser. Weniger spektakulär kann man diese Partie nicht spielen. Rapp setzt möglichst knapp und trocken seine Pointen. Dazu besticht er mit seinem berühmten Couplet „Es ist einmal im Leben so“. Rapp ist als Kaiser Franz Joseph II. (!! – so steht es zumindest im Programmheft) ein Mensch wie du und ich.

 Bleibt noch eine ganz Große des Genres Operette zu erwähnen: die vielseitige Gabriele Schuchter als Briefträgerin Kathi, die bis hin zur akrobatischen Einlage ihres berühmten Radschlagens tolle zusätzliche Aufgaben erfüllt. Stückadäquat ist ihr „Erzherzog-Johann-Jodler“: Da bleibt im Publikum, altersmäßig von sechs bis 93 Jahren, kein Auge trocken.

 Zum Schluss dürfen wir Chor und Orchester der Herbsttage Blindenmarkt würdigen. Kurt Dlouhy hat mit den Orchester-Musikern sowie den Choristen, Letztere durchwegs Laien, hart gearbeitet und ein fulminantes Ergebnis erzielt. Die Choristen werden von der Regie individuell geführt. Jeder ist agierender Schauspieler für sich. Übrigens wurde der Chor nach der Aufführung zum neuen Ehrenmitglied der Herbsttage Blindenmarkt ernannt. Nach minutenlangen lautstarken Standing ovations sah sich das Operetten-Festival auf dem Höhepunkt seiner künstlerischen Möglichkeiten angelangt.

 Ingo Rickl

 

Diese Seite drucken