Birgit Schönau:
NEROS MÜTTER
Julia und die Agrippinas
Drei Frauenleben im alten Rom
344 Seiten, Verlag Berenberg, 2021
Die bekannte Feministinnen-Klage, dass den Frauen der Geschichte zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, stimmt schon seit Jahrzehnten nicht mehr. „Frau Freud ist wieder einmal vergessen worden“ (oder auch „O Mann, Kleopatra!“, beide Bücher von Françoise Xenakis) waren als anti-patriarchalische Buchtitel Kampfrufe der achtziger Jahre, und seither muss sich die biographische Frauenliteratur nicht mehr beschweren.
Natürlich, wenn man die Kaiser der Julisch-Claudischen Dynastie ansieht, Augustus, Tiberius, Caligula, Claudius, Nero, dann füllen ihre Biographien ganze Regale. Aber auf jeden Fall wird den Frauen, die neben ihnen (oder gegen sie) standen, in Einzelbiographien und vor allem in Sammelbänden viel Platz eingeräumt. Ist ihr Schicksal damit schon klischeehaft fixiert?
Das jedenfalls ist die Vorgabe von Birgit Schönau, wenn sie sich Neros „Müttern“ zuwendet, wobei sie Urgroßmutter, Großmutter und Mutter, eine Reihe von starken Frauen der römischen Geschichte, meint. Tatsächlich haben die antiken Autoren, auf die man sich schließlich als einzige, mehr oder minder „zeitgenössische“ Quellen berufen muss (die Autorin tut es auch), schon fixierte Bilder geliefert. Und da kommt keine der Damen gut weg.
Julia, die einzige Tochter des großen Augustus, die in der Verbannung starb, galt als zügellos unsittlich, so dass dem so sehr auf die „Mores“ der anderen bedachten Papa nichts anders übrig blieb, als sie ins Exil abzuschieben (die „Villa Giulia“ auf der Insel Pandateria, dem heutigen Ventotone, nicht weit von Neapel, kann man noch heute besichtigen).
Ihre Tochter Agrippina, zur Unterscheidung zu deren gleichnamigen Tochter „die Ältere“ genannt, war für ihren Hochmut und ihre Herrschsucht bekannt. Auch sie starb im Exil, dafür wurde allerdings erst unter der Regentschaft des Augustus-Nachfolgers Tiberius (der der dritte Gatte ihrer Mutter und der Onkel ihres Mannes Germanicus war) gesorgt.
Und Agrippina „die Jüngere“, die berühmteste unter ihnen, verband alle Herrscher über Generationen – sie war die Urenkelin des Augustus, die Tochter des Neffen von Tiberius, schließlich Schwester des berüchtigten Caligula, die Gattin ihres Onkels Claudius (den sie angeblich ermordet hat) und Mutter des Nero . man begreift, dass man ohne eine Stammtafel durch diese vielfach fast inzestuösen Vernetzungen dieser Familie nicht durchsteigt.
Die jüngere Agrippina, die echte Mutter Neros, spielte also im Schicksal der drei letzten Kaiser dieses Julisch-Claudischen Hauses eine Riesenrolle. Über sie gibt es zahlreiche Bücher und Romane. Sie starb auf Befehl ihres Sohnes – ein ausgesandter Soldat stach ihr das Schwert in den Leib, den sie ihm, ganz stolze Römerin, darbot, hatte dieser Leib doch Nero, ihren Mörder, getragen. Wüste Geschichten. Und man hat sie oft und oft gelesen.
Was will nun Birgit Schönau, die gut recherchiert hat und plastisch Zeit und Persönlichkeiten malt, die das Schicksal der drei Frauen bestimmten? Nun, offensichtlich will sie zur Ehrenrettung antreten. Wo es eine „Unschuld“ gibt, braucht es einen Täter – im Fall von Julia muss also Augustus noch schillernder, verlogener und berechnender gezeichnet werden, als es viele Autoren schon tun.
Allerdings überzeugt der Versuch, gerade Julia als Opfer hinzustellen, nicht wirklich. Königskinder-Schicksale sind (mit Ausnahmen) a priori so tragisch nicht, und dass sie als einziges Kind von Augustus, Trägerin des „julischen“ Blutes von Julius Caesar, dreimal ungefragt verheiratet wurde, passierte jeder adeligen römischen Dame und danach ungezählten Königstöchtern.
Keiner der drei Gatten war eine Zumutung, nicht Marcellus, ihr hoch geborener Cousin, nicht Agrippa, zwar so alt wie ihr Vater, aber einer der bedeutendsten Männer der Epoche, und wohl auch nicht ihr Stiefbruder Tiberius. Wenn es vorwurfsvoll heißt, ihr Vater Augustus erwartete von Julia, dass sie die „Gebärmaschine“ für seine künftige Dynastie war, so war das nach den damaligen Gepflogenheiten keine ungebührliche Forderung (die sie mit fünf Kindern von Agrippa erfüllte).
Augustus habe sich seiner Tochter, deren unsittliches Leben Autorin Birgit Schönau nicht so richtig glauben mag (Exzesse am Forum Romanum betrachtet sie als harmlose Partys), nur durch Exil erledigt, weil sie einmal selbst Entscheidungen treffen und Jullus Antonius, den Sohn von (Augustus-Erbfeind) Marc Anton heiraten wollte, der vom Prestige seiner Abstammung her (die galt in Rom alles!) geeignet gewesen wäre, für den Kaiser eine Gefahr dazustellen. Vielleicht spielte das mit – so richtig überzeugend als Hauptargument scheint es nicht.
Interessant am „Julia“-Kapitel ist vor allem, dass die Autorin zwar die Rolle von Livia als Gatten des Augustus und erster „Kaiserin“ betont, sie aber in der Geschichte gänzlich außen vor lässt, als hätte sie kaum damit zu tun. Rolf Hochhuth hat ein ganzes Buch über Livia und Julia geschrieben und darin, wie er meinte, minutiös nachgezeichnet, wie Livia das Leben der Stieftochter bewusst zerstört hat. Sie steht ja nun auch als große Intrigantin und sogar Mörderin in der Geschichte, die angeblich alle Erben des Augustus aus dem Weg räumte, bis nur noch ihr Sohn Tiberius (aus der Familie der Claudier (darum Julisch-Claudisches Kaiserhaus) übrig blieb – auch für Livia hat es schon „Reinwaschungs-Aktionen“ gegeben. Die Wahrheit wird man nie wissen. Nur – so, wie es hier geschieht, kann man sie wohl kaum in der Geschichte verschwunden lassen, Livia wird ihren Anteil am Untergang der Stieftochter gehabt haben.
Was das Image betrifft, so ist bei Agrippina der Älteren nicht viel zu retten. Ihr von Anfang bis zum Ende verbürgter Hochmut führte sich zweifellos darauf zurück, die einzig übrig gebliebene Enkelin des Augustus zu sein (auch ihre Schwester Julia wurde verbannt, es gab Verschwörungsgerüchte, was neben Unsittlichkeit als Verbannungsgrund immer reichte). Im übrigen war Agrippina mit Germanicus, dem Enkel von Kaiserin Livia (aus ihrer ersten Ehe) verheiratet, sie führte also mit ihren Kindern die Zweige der Familie zusammen. So „brav“, wie die Autorin sie schildert (die sonst durchaus griffige Geschichten der beteiligten Herren erzählt), kann sie wohl nicht gewesen sein.
Und ihre Tochter, die jüngere Agrippina, noch weniger. Man muss allerdings schon in Rechnung stellen, was sie alles erlebt hat, was sie von Kindheit an erleiden musste, bevor sie zur Täterin wurde – ihr Vater Germanicus im Nahen Osten früh gestorben, vielleicht vergiftet (vielleicht auf Anregung seines Onkels, des Kaisers Tiberius, wie die Gerüchte sagten). Dann die Mutter und zwei Brüder gefangen genommen und elend zugrunde gegangen. Dann wurde ihr Bruder Caligula unvermutet Kaiser, hatte mit ihr und seinen beiden weiteren Schwestern wohl unzüchtige Beziehungen, schickte aber zwei von ihnen (darunter Agrippina) auch wegen Verschwörung ins Exil. Als Agrippina nach seinem Tod zurückkehren konnte (ihr Söhnchen Nero war in der Zwischenzeit bei einer Tante verwahrlost), hatte sie nur einen Gedanken, nämlich endlich selbst Macht zu besitzen. Ihren Onkel Claudius (Bruder ihres Vaters Germanicus) zu heiraten, war die beste Idee (und ihn umbringen zu lassen, erst recht). Dessen Erben Britannicus zur Seite zu schaffen, damit der Nachfolge ihres Sohnes Nero nichts im Weg stünde, lag auch auf der Hand. Nur dass Nero noch skrupelloser war als seine Mutter und sich dieser entledigte, als sie zu lästig wurde und meinte, an seiner Stelle die Macht ausüben zu können… Rein von den Fakten her ist da wenig zu frisieren, wenig zu beschönigen, Handlungen sprechen für sich selbst.
Drei Frauen mit gewaltigen, durch und durch gewalttätigen, schier unglaublichen Schicksalen. Dennoch hätte wahrscheinlich keine von ihnen (sie stammten in drei weiblichen Generationen direkt von Augustus ab) in strahlendem Selbstbewusstsein mit irgendjemandem sonst getauscht – sie kämpften mit Zähnen und Klauen um ihre Stellungen und erreichten viel, bevor sie scheiterten…
Die Autorin kombiniert die üblichen Quellen (die Sekundärliteratur nimmt sie ganz selten herein) mit einer gewissermaßen heutigen Sicht der Dinge, die in Frauen letztlich immer Männeropfer sehen möchte – und wenn Frauen sich gegen die Mächtigen wehrten, wurden sie von den Männern erst recht vernichtet. Was natürlich auch wieder stimmt… Aber klar ist auch, dass „Neros Mütter“ sich nichts gefallen ließen und bis zum letzten Atemzug gekämpft haben.
Renate Wagner