Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

Birgit Schönau: DIE GEHEIMNISSE DES TIBERS

19.10.2023 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

buch schönau, tiber v

Birgit Schönau  
DIE GEHEIMNISSE DES TIBERS
ROM UND SEIN EWIGER FLUSS
320 Seiten, Verlag C.H.Beck, 2023 

Als Korrespondentin deutscher Zeitungen und Fernsehstationen hat Birgit Schönau „über die Hälfte meines Lebens am Tiber verbracht“ – und, wie das oft passiert, auf das Nächstliegende erst einmal gar nicht so genau hingeschaut. Bis sie es doch tat und nun ein bemerkenswertes Buch über den Tiber geschrieben hat, der zu Rom gehört wie die Seine zu Paris und die Themse zu London. Der Fluss der Stadt, an dessen Ufern sich ein Großteil seiner Geschichte abgespielt hat. Wobei interessant ist, wie viele Menschen unfreiwillig in den Tiber geworfen wurden – um sie ins Jenseits zu befördern oder um noch ihren Leichen die Verachtung der Mitwelt auszusprechen…

Die historische Chronik liefert die Autorin am Ende mit Jahreszahlen. Ihr Zugang ist eher feuilletonistisch, bündelt bunt gemischt Geschichten, in denen sie viel Wissen verpackt, unter gemeinsamen Schlagzeilen – beginnend mit den Mythen.

Da hat der Fluss von seinen im Ganzen gut 400 Kilometern schon 300 zurück gelegt, bis er  in Rom landet und zum Tiberinus Pater wird. Denn an ihn knüpft sich der Gründungsmythos von SPQR mit der Rettung der Zwillinge Romulus und Remus, die im Körbchen im Fluss getrieben kamen (nicht zu Unrecht verweist die Autorin auf die Parallele zu Moses hin…) „Ab urbe condita“, schon die Gründung der Stadt ist ohne Tiber also nicht zu denken, dazu kann man überreichlich antike Literatur nachlesen.

Es gibt so vieles zu erzählen – wie der Fluss als Verkehrsweg die Römer ernährt  – ohne den Tiber wäre Rom verhungert, schreibt die Autorin, vielleicht hätte es die ganze Stadt ohne den Fluss nicht gegeben, der immer auch durch Überschwemmungen eine Gefährdung war, mit der sich schon die römischen Kaiser und später die Päpste auseinander setzen mussten.

Übrigens – als man die Juden in ein Ghetto einschloss, lag dieses am Tiber, denn ob die ungeliebten Christusmörder Opfer von Überschwemmungen wurden, drückte den frommen Christen nicht wirklich aufs Gewissen… Und auch Arme, Kranke, Prostituierte, Gefangene entsorgte man gerne hier –  der Tiber war auch der Fluss der Ausgegrenzten.

Andererseits feierte man am Tiber luxuriöse Feste, und dass einst auch Goethe hier dem Badespaß frönte, erfährt man mit Vergnügen. Und wird auch daran erinnert, dass Audrey Hepburn einst in „Ein Herz und eine Krone“ besinnlich auf den Fluss blickte und Tom Cruise hier eines seiner „Mission Impossible“-Abenteuer erlebte – Kino (Pasolini), Maler (William Turner, Gaspar Van Witte) und Schriftsteller (Ezra Pound) haben sich hier faszinieren lassen.

Gleichzeitig war der Tiber über den Hafen Ostia Antica das Tor zum Meer und zum Handel und zu kaiserlicher Machtentfaltung, wenn Augustus einen riesigen Obelisken aus Ägypten herbei schiffen ließ.  Der Tiber bot  und bietet (allerdings sehr „gemischt“) Trinkwasser, ungeachtet dessen, dass er auch die Müllkippe der Stadt war. Über den Tiber musste man zahllose Brücken brauen, damit er die Stadt nicht zertrennte, und die Tiberinsel, einst abergläubisch gefürchtet, wurde mit christlichen Bauten zum beliebten Ort. Die Zeit ändert viel, wenn man eine Geschichte von fast drei Jahrtausenden abdeckt.

Die Stadt der Päpste, die so viele Pilger anzog, die in früheren Zeiten wahre Jagd auf Reliquien machten, hat rund um den Tiber, wie uns die Autorin erklärt, den Massentourismus erfunden, denn am Fluß englang wanderten die frommen Gäste von einer Kirche zur anderen. Dass ein Papst allerdings imstande war, einen toten Vorgänger aus dem Grab zu reißen und nach einem Prozess, in dem er schuldig gesprochen wurde, die Leiche in den Tiber werfen zu lassen, steht auf einem weniger frommen Blatt.

Kurz, der Tiber war alles und sein Gegenteil, Lebensader und Lebensbedrohung, da lassen sich die schönsten Geschichten erzählen – und das geschieht auch in lockerer Form. Man wird, wenn man nächstens hoffentlich nach Rom kommt, den Fluss nicht mehr als selbstverständlich nehmen, sondern gewissermaßen mit „wissenden Augen“ betrachten und neuem Interesse ansehen. Grazie a te, fiume, bedankt sich wohl nicht nur die Autorin, sondern auch Rom bei seinem Fluss.

Renate Wagner

 

Diese Seite drucken