BIRGIT NILSSON – THE GREAT LIVE RECORDINGS – Sony 31 CDs
Einzigartige Hommage zum 100. Geburtstag dieser solitär majestätisch-heroischen Sängerin
Nach der Unitel-Filmdokumentation ,A League of her own‘, die ein berührendes und differenziertes Porträt der Jubilarin Birgt Nilsson mit teils unbekannten Original-Dokumenten und (vielleicht zu vielen) Kommentaren von Zeitgenossen zeichnet, darf in der Neuen Sony Box die Künstlerin allein zu Ton kommen. Und das live, pur und direkt, mit Bühnenluft sozusagen und phänomenalen Dirigenten und SängerkollegInnen.
Live-Aufnahmen haben gegenüber Studioproduktionen den Vorteil, Stimmen wesentlich natürlicher und „ungeschminkter“ abzubilden, als dies bei technisch mehr oder weniger kunstvoll gefilterten Opernproduktionen aus der Retorte der Fall ist. Im Studio wird oft massiv Hall hinzugefügt, Stimmen in ihren Obertönen beschnitten, Timbres nivelliert, oder das Verhältnis zwischen Orchester und Stimmen manipuliert. Freilich will eine Studioproduktion eine sozusagen ideale Klangwelt herstellen, ohne störende Huster, Bühnengeräusche oder Klatschen mitten in einen Schlusston hinein. Was im schlechteren Fall schlicht steril und atmosphärisch flach klingt. Viele Produzenten hatten/haben zudem ganz eigene „Klangideologien“, denen ihre Produkte folgen. Wie das auch bei den berühmten Aufnahmeleitern der DECCA, vor allem John Culshaw, der Fall war. Er wollte nicht nur eine wegweisende Vision einer akustisch imaginären Bühne erzeugen, die das Geschehen durch klangtechnische Raffinesse vor dem Leser lebendig werden lässt, sondern hatte auch ein Faible für gleißenden Bläserklang und orchestrale Räusche, egal ob das auf Kosten der Stimmen geht oder nicht. Ich habe mir im Sommer alle Verdi Aufnahmen mit Birgit Nilsson angehört. Die arme Giulietta Simionato wird z.B. am Beginn ihrer großen Ulrika Szene so vom Orchester zugedeckt, dass man sie kaum hört.
Bei allem Verdienst von Studioproduktionen, ist im Falle der stimmlich überlebensgroßen Birgit Nilsson oftmals – wie die Sängerin das selbst bemängelt hat – zu sehr an der berühmten „Schraube“ gedreht und die Stimme so künstlich „abgemagert“ worden. Das heißt aber auch, dass die Faszination, die von Nilssons dramatischem Sopran live ausgegangen ist, in ihren legendären Studioaufnahmen kaum nachvollzogen werden kann. Ich finde im Gegensatz zu anderen Melomanen schon, dass der Hörer das Stimmwunder Nilsson auch auf Tonträgen sehr gut immer wieder neu entdecken kann. Ich hatte das Glück, Birgit Nilsson noch in einigen Rollen, wie Elektra, Tosca oder Färberin erleben zu dürfen. „Spätgeborenen“, die sich für dramatische Stimmen interessieren, sei daher die neue Sony-Box mit 12 Gesamtaufnahmen und einigen Ausschnitten beinahe ohne Einschränkung empfehlen. Vielleicht hätte man statt drei Mal „Tristan und Isolde“ und zwei Mal „Elektra“ dann doch lieber eine „Aida“, „Maskenball“-Amelia oder eine „Tosca“ auftreiben können, damit sich das Bild und die Repertoirebreite auch im italienischen Fach besser hätten runden können.
Die Aufnahmen der im Auftrag der Birgit Nilsson Foundation kompilierten limitiert edierten Box stammen aus dem Zeitraum 1953 bis 1976. Sie greifen auf die Originalbänder zurück und wurden klangtechnisch bestens aufbereitet, ohne den Charakter und die expansive Macht der Stimmen zu verändern. Sie zollen nicht nur der Jubilarin Birgit Nilsson Reverenz und Respekt, sondern sind eine Art Kaleidoskop von über 20 Jahren Operngesang in Wien, Bayreuth, München, New York, Rom, Stockholm, Sydney und Orange. Natürlich musizierte Birgit Nilsson mit den besten Dirigenten (u.a. Fricsay, Knappertsbusch, Jochum, Böhm, Karajan, Bernstein, Celibidache, Sawallisch) und hatte wunderbare Kolleginnen und Kollegen rund um sich, die die hier vorzustellenden Aufnahmen insgesamt zu unvergleichlich eindringlichen Hörerlebnissen werden lassen. Wenngleich einige der Aufnahmen davon schon bei diversen Labels erhältlich waren (z.B. Lohengrin bei Opera d‘Oro, GOP oder Archipel, Golden Melodram, Fidelio bei Gala, Koch Schwann, Turandot bei Golden Melodram, Pristine Classical), so sind die neuen Remasterings von Sony all diesen in der Mehrzahl unautorisiert veröffentlichten Mitschnitten haushoch überlegen. Die Stimmen sind grosso modo herrlich präsent, auch die Qualität der Orchester ist bis auf das allzu derb aufspielende RAI-Orchester bei Fidelio und die nicht glanzvollen Leistungen der Orchester aus Stockholm atemberaubend.
Timbre und Charakter des unter tausenden anderen sofort wieder erkennbaren Soprans von Birgit Nilsson haben von 1953 bis 1976 eine erstaunliche Entwicklung genommen. Klingt die Elsa 1954 noch mezzohaft dunkel timbriert, so sollte sich erst später die berühmte, perfekt projizierte stählerne Höhe herausbilden. Nilsson verfügte über grandios flutende Piani, die Bandbreite von Pianissimo bis platingleißenden gewaltigen Höhen war phänomenal und hätte eigentlich perfekt zu Karajans Klangvorstellungen passen müssen. Was das Farbenspektrum der Stimme anbelangt, so verfügte Nilsson über im Vergleich zu anderen berühmten Kolleginnen nur eingeschränkte Möglichkeiten. Die herausragende Musikern mit absolutem Gehör und einer 100%-igen Intonationssicherheit machte das aber mit einer dynamischer Raffinesse ohnegleichen und den wohl einzigartigsten, wie Sonnenlicht strahlenden Höhen wieder wett. Nilsson Professionalität bezog sich auf partiturgerechte Wiedergaben und eine perfekte Kenntnis der Rollen. Ihr stets mit majestätischer Grandezza geführter Sopran war für die Rollen prädestiniert, die mythische Figuren wie Elektra, Brünnhilde oder Isolde abbildeten. Mag manchmal auch ein wenig Distanz gewaltet haben, in der Mehrzahl der Rollenportraits glühte Birgit Nilsson vor Emphase und konnte sich vollkommen mit der jeweiligen Figur zuvörderst mit rein stimmlichen Mitteln identifizieren, am meisten wohl mit derjenigen der Isolde. Violeta Thomas, die Frau von Jess Thomas meinte, nie eine schönere Frau auf der Bühne gesehen zu haben als Nilsson während der Verkörperung der Isolde in Wien. Nicht zu vergessen, dass Birgit Nilsson auch eine sehr gute Akteurin auf der Bühne war, Wieland Wagner sei Dank.
Ich stimme vollkommen mit der Einschätzung von Rutbert Reisch überein, das Birgit Nilsson eine hochsensible, vielleicht sogar wie er im Booklet schreibt, leicht zu verletzende Künstlerin war. Aus heutiger Distanz muss daher mit den nach Durchhören der Box wohl nicht aufrecht zu erhaltenden Vorurteilen und Einseitigkeiten aufgeräumt werden, die bei Nilsson nur das (oberflächliche) Stimmwunder würdigen, aber nicht die immense Dichte der von ihr verkörperten Figuren und das hoch disziplinierte „Bühnentier“ erkennen konnten.
Zu den einzelnen Aufnahmen
Bartók: Herzog Blaubarts Burg, Sz. 48, Op. 11
Sveriges Radios Symfonieorkester; Ferenc Fricsay
Birgit Nilsson (Judith), Berhard Sönnerstedt (Bluebeard)
Konserthuset Stockholm 11.2.1953
Gesungen wird in deutscher Sprache. Die monaurale CD dokumentiert den Repertorereichtum der Nilsson abseits der großen Wagner- und Straussrollen. Nilsson bietet uns ein ausdrucksstarkes Porträt der Judith, also in einer Rolle, die oft von Mezzos gesungen wird. Urängste, Schrecken und schicksalhafter Sog werden mit einer bisweilen melancholisch verhangenen Stimme zu einem bis dato modern wirkenden Porträt geformt. Ihr Partner Bernhard Sönnerstedt erinnert vom Timbre her bisweilen an Walter Berry. Tolle Tonqualität.
Wagner: Lohengrin
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele; Eugen Jochum
Theo Adam (König Heinrich), Wolfgang Windgassen (Lohengrin), Birgit Nilsson (Elsa), Hermann Uhde (Telramund), Astrid Varnay (Ortrud), Dietrich Fischer-Dieskau (Der Heerrufer)
Bayreuth Festival, 5.8.1954
Die ursprünglich erschienene Aufnahme hält einige der wichtigsten Namen des junge Nachkriegs-Bayreuth bereit: Windgassen, Uhde, Varnay und Fischer-Dieskau. Die Elsa war sicherlich keine ideale Rolle für die Nilsson, ihrer Stimme fehlt das mädchenhafte, sehnsüchtige, naiv traumwandlerische der Rolle. Natürlich konnte sie die Rolle singen, sie wusste aber sicher, warum sie tat nicht allzu oft tat.
Wagner: Tristan und Isolde
Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele; Wolfgang Sawallisch
Wolfgang Windgassen (Tristan), Birgit Nilsson (Isolde), Grace Hoffman (Brangäne), Hans Hotter (Kurwenal), Arnold van Mill (König Marke), Fritz Uhl (Melot), Hermann Winkler (Ein Hirt), Egmont Koch (Ein Steuermann), Walter Geisler (Stimme des Seemanns)
Bayreuth Festival, 19.8.1957
Nilsson erster „Tristan-Sommer“ in Bayreuth. Mit großem Ungestüm und einer bisweilen noch grünen Verve warf sich Nilsson in die Rolle. Mit Windgassen, Hoffmann, Hotter und van Mill stand ein glorioses Ensemble zur Verfügung. Wolfgang Sawallisch liefert eines seiner aufregenden Wagner-Dirigate. Ihre Isolde musste damals ungeheuer eingeschlagen, vielleicht sogar irritiert haben, war sie doch so anders wie diejenigen Interpretationen der zwei bis dato in der Oper völlig unangefochtenen Bayreuth-Göttinnen Mödl und Varnay.
Wagner: Schlafst du, Gast? Ich bin’s! (aus Die Walküre, 1. Akt)
Orchester der Bayreuther Festspiele; Hans Knappertsbusch
Birgit Nilsson (Sieglinde), Ramón Vinay (Siegmund)
Bayreuth Festival, 15.8.1957
Wagner: Heil dir, Sonne! (aus Siegfried)
Orchester der Bayreuther Festspiele; Otmar Suitner
Birgit Nilsson (Brünnhilde), Wolfgang Windgassen (Siegfried)
Bayreuth Festival, 25.7.1967
Hier ist die Nilsson in zwei Ausschnitten in weiteren Wagner-Rollen zu hören: als Sieglinde mit ihrem Tristan-Partner Ramón Vinay (Knappertsbusch sorgt für gewohnt breite Tempi mit dramatischem Zugriff) sowie als Siegfried-Brünnhilde – wie im Solti Ring – mit Wolfgang Windgassen als Siegfried. Zu bestaunen sind die tragfähige Mittellage der Sieglinde und die immense Leuchtkraft im Schlussduett des dritten Akts Siegfried. Wunderbar.
Puccini: Turandot
The Metropolitan Opera Orchestra and Chorus; Leopold Stokowski
Birgit Nilsson (Turandot), Franco Corelli (Calàf), Anna Moffo (Liù), Bonaldo Giaiotti (Timur), Frank Guarrera (Ping), Robert Nagy (Pang), Charles Anthony (Pong), Alessio De Paolis (L’Imperatore Altoum), Calvin Marsh (Un Mandarino), Edilio Ferraro (Il Principe di Persia)
Metropolitan Opera House, 4.3.1961
Der Mitschnitt gilt als Non plus ultra der Turandot-Aufnahmen. Hier liebte es Birgit Nilsson sportlich. Die beiden Protagonisten Nilsson und Corelli scheinen sich einen Wettbewerb um die lautesten und längst angehaltenen hohen Noten zu liefern, ein Formel I Rennen im Opernring mit wohl unentschiedenem Ausgang. Zu bestaunen sind zwar singuläre, überlebensgroße Gesangsleistungen, am berührendsten in diesem Zirkus der Stimmen blieb jedoch Anna Moffo als Liu. Dass die Partie der Turandot zwar nicht sicherer und fanfarenhafter in den Akuti, aber mit mehr Zwischentönen gesungen werden kann, hat Inge Borkh bewiesen.
Richard Strauss: Salome
The Metropolitan Opera Orchestra; Karl Böhm
Birgit Nilsson (Salome), Karl Liebl (Herodes), Irene Dalis (Herodias), Walter Cassel (Jochanaan), George Shirley (Narraboth), Marcia Baldwin (Page der Herodias)
Metropolitan Opera House, 13.3.1965
Interpretatorische Antipodin der erotisch lasziven Ljuba Welitsch, überzeugt Nilsson in der Rolle der Salome mit kapriziös gelangweilter und gnadenlos launenhafter Attitüde. Von den stimmlichen Anforderungen her spielte sie sich mit der immens schweren Partie. Noch dazu, wo Nilsson an diesem Abend selbst für ihre Verhältnisse in phänomenaler Form war. Nilssons sonst so heroischer Sopran entwickelt bisweilen erstaunlich irisierende Piani und ein leuchtendes Flimmern wie heißer Wüstensand. Das Monströse der Figur erschließt sich in Nilssons unglaublicher Gesangsleistung. Ihr charakterstarker Widersacher als Jochanaan ist der aufregend maskulin timbrierte und auf Platten selten zu hörende amerikanische Heldenbariton Walter Cassel. Karl Böhm zeigt wieder einmal sein ideales Händchen für die fantastischen Klangpralinen eines Richard Strauss. Der Schlussgesang ist eine Offenbarung und wohl auch ein großer Moment in der Geschichte der MET.
Richard Strauss: Elektra
Chor und Orchester der Wiener Staatsoper; Karl Böhm
Birgit Nilsson (Elektra), Leonie Rysanek (Chrysothemis), Regina Resnik (Klytämnestra), Gerd Nienstedt (Orest), Fritz Uhl (Aegisth), Danica Mastilovic (Aufseherin)
Opéra de Montréal, 14.9.1967
Dass es sich um ein Gastspiel der Wiener Staatsoper in Kanada handelt, wird klar, wenn man sich die so ortsspezifisch wienerische Besetzung der fünf Mägde mit Margarita Lilowa, Margareta Sjöstedt, Gertrude Jahn, Emmy Loose und Lotte Rysanek ansieht, der ich hier ausdrücklich ein großes Lob aussprechen will. Über so ansprechende und charaktervolle Stimmen auch in kleineren Partien verfügte nur die Wiener Staatsoper. Die drei Hauptpartien mit Regina Resnik, Leonie Rysanek und Birgit Nilsson waren ja damals sozusagen international höchster Standard. Und das zurecht. Die Elektra scheint Birgit Nilsson schlichtweg auf den Leib/für ihre Stimme geschrieben worden zu sein. Von den mächtigsten Ausbrüchen bis hin zu den zartesten Piani und endlosen Legatobögen, all ihr Gesang war Mittel beseelten Ausdrucks. Man höre nur die Erkennungsszene: einfach unbeschreiblich. Die stimmmächtige, vor Leidenschaft glühende Leonie Rysanek als Chrysothemis war ohnedies eine Mega-Klasse für sich, genau so wie Regina Resniks morbide orgelnde Klytämnestra. Ereignishaft vom ersten bis zum letzten Ton! Für Ersteinsteiger gilt die Warnung: Ab jetzt seid ihr verdorben für immer.
Wagner: Tristan und Isolde
Chor und Orchester der Wiener Staatsoper; Karl Böhm
Jess Thomas (Tristan), Birgit Nilsson (Isolde), Ruth Hesse (Brangäne), Otto Wiener (Kurwenal), Martti Talvela (König Marke), Reid Bunger (Melot), Peter Klein (Ein Hirt), Harald Pröglhöf (Ein Steuermann), Anton Dermota (Stimme des Seemanns)
Wiener Staatsoper, 1967
Eine Aufnahme für die einsame Insel. Dieser Mitschnitt aus der Wiener Staatsoper zeigt Birgit Nilsson auf dem Höhepunkt ihrer künstlerischen Möglichkeiten. Für mich ist diese Aufnahme ohne Makel der Höhepunkt der Box und rechtfertigt alleine die Anschaffung, zumal diesmal ein anderer Tristan wie gewohnt zur Verfügung steht. Dieser hieß Jess Thomas und sang einen herrlich dunkel timbrierten, sehr warmherzig menschlichen Tristan, nicht einen ferngesteuerten, todestrunken psychopathischen Vasallen eines Regenten. Jess Thomas hatte es dabei nicht immer einfach mit der Primadonna. Wie er in seiner Autobiographie „Kein Schwert verhieß mir der Vater“ beschreibt, hatte Nilsson die Angewohnheit, während des Liebestods an seinen Brusthaaren zu ziehen, um herauszufinden, ob er als toter Tristan wirklich ruhig liegen bleiben konnte. Er konnte. Aber er sagt auch, dass neben solchen „fürchterlichen Späßen“ sich die Nilsson immer in außergewöhnlicher Wiese für ihre Bühnenpartner engagiert hat. Eine großartige Kollegin gewesen zu sein, attestierten ihr viele Stars von Domingo bis zur Mödl.
Wagner: Die Walküre
The Metropolitan Opera Orchestra; Herbert von Karajan
Birgit Nilsson (Brünnhilde), Jon Vickers (Siegmund), Régine Crespin (Sieglinde), Theo Adam (Wotan), Josephine Veasey (Fricka), Martti Talvela (Hunding)
Metropolitan Opera House, 1.3.1969
Bei den Hojotojo-Rufen klingt Nilsson hier ungewöhnlich angestrengt, aber ansonsten ist die kammermusikalisch und dennoch spannungsgeladen dirigierte Aufnahme ein sängerisches Manifest der Sonderklasse. Die wohl eleganteste Sieglinde aller Zeiten, die eigentlich schon für Karajan auf Brünnhilde umgestiegen war, Regine Crespin trifft auf einen viril-mutigen Jon Vickers, der ostdeutsche Heldenbariton Theo Adam ist ein auch stimmlich respekteinflößender Wotan.
Beethoven: Fidelio, Op. 72
Coro e Orchestra della RAI di Roma; Leonard Bernstein
Birgit Nilsson (Leonore), Ludovic Spiess (Florestan), Theo Adam (Don Pizarro), Franz Crass (Rocco), Helen Donath (Marzelline), Gerhard Unger (Jaquino), Siegfried Vogel (Don Fernando)
RAI di Roma, 17.3.1970
Es kann nicht alles gleich gut sein in solch einer Box der Superlative. Die Orchesterleistung der Rai aus Rom repräsentiert das magere italienische Orchesterniveau zur Zeit der Aufnahme. Bernstein dirigiert – nun ja – einen für mich eher derben bis geschmäcklerischen Fidelio. Birgit Nilsson kommt einerseits wie viele Sopranistinnen hier mit dem Schlusston der Arie an ihre stimmlichen Grenzen, und hat auch sonst Mühe, ihre Stimme in den „Fluß“ zu führen. Den kleineren Noten mangelt die notwendige Leichtigkeit. Die Restbesetzung macht einen guten Job.
Richard Strauss: Elektra
The Metropolitan Opera Orchestra and Chorus; Karl Böhm
Birgit Nilsson (Elektra), Leonie Rysanek (Chrysothemis), Jean Madeira (Klytämnestra), Thomas Stewart (Orest), Robert Nagy (Aegisth), Carlotta Ordassy (Aufseherin)
Metropolitan Opera House, 27.2.1971
Die Aufnahme ist in zwei Hauptpartien und dem Dirigenten deckungsgleich mit derjenigen aus Montreal 1967. Jean Madeira sang hier ihre Abschiedsvorstellung und letzte Klytämnestra, die Stimme war leider schon von Krankheit gezeichnet. Rysanek ist in ganz großer Form, Nilsson wie so oft eine perfekte Elektra.
Wagner: Tristan und Isolde
New Philharmonia Chorus, Orchestre National de l’ORTF; Karl Böhm
Jon Vickers (Tristan), Birgit Nilsson (Isolde), Ruth Hesse (Brangäne), Walter Berry (Kurwenal), Bengt Rundgren (König Marke), Horst R. Laubenthal (Ein Hirt / Ein junger Seemann/Stimme des Seemanns), Harald Pröglhöf (Ein Steuermann)
Amphitheatre Orange, 7.7.1973
Legendäre Sternstunde aus der südfranzösischen Arena. Trotz schwieriger Open Air Aufnahmebedingungen mit dem in diesen Breiten üblichen Mistral und einem bisweilen geräuschvollen Publikum ist eine atmosphärisch extrem dichte und aufregende Tristan-Vorstellung zu erleben. Karl Böhm stellte wieder einmal seine für mich unangefochtene Stellung als Wagner-Dirigent unter Beweis. Mehr noch, er übertrifft hier sogar noch einmal seine glühende, exzessiv sinnliche Tristan-Interpretation aus Bayreuth mit dem Gespann Nilsson-Windgassen, die die Deutsche Grammophon als Juwel in ihrem Katalog führt. Birgit Nilsson war wahrscheinlich nie expressiver und schonungslos extrovertierter als an diesem Abend. Jon Vickers ist für viele ohnedies der stimmlich ideale Tristan-Sänger. Wild ungestüm, ein Titan, der sich gegen das Schicksal aufbäumt. Das Liebesduett der beiden Protagonisten gehört zum Aufregendsten, was Oper überhaupt bieten kann. In Sachen unerhörter Bühnenleidenschaften nur noch egalisiert vom berühmten Tristan-Mitschnitt aus Bayreuth 1952 mit Karajan, Mödl und Vinay.
Richard Strauss: Die Frau ohne Schatten
Chor und Orchester der Bayerischen Staatsoper; Wolfgang Sawallisch
Ingrid Bjoner (Kaiserin), James King (Kaiser), Astrid Varnay (Amme), Dietrich Fischer-Dieskau (Barak), Birgit Nilsson (Sein Weib), Karl Christian Kohn (Geisterbote), Antonie Fahberg (Stimme des Falken), Norbert Orth (Stimme des Jünglings), Karl Helm (Einarmiger), Hermann Sapell (Einäugiger), Lorenz Fehenberger (Buckliger), Gudrun Wewezow (Stimme von oben)
Bayerische Staatsoper München, 29.9.1976
Drei Brünnhilden/Isolden sind hier für die Kaiserin, die Färberin und die Amme aufgeboten. Der aufnahmetechnisch hervorragenden Mitschnitt ist ein Musterbeispiel für die Richard Strauss-Pflege der Bayerischen Staatsoper. Die Färberin stellte Nilssons letztes großes Rollendebüt dar. Wie hier nachzuhören, war es eine gute Idee der Rysanek, Nilsson diese Partie anzuempfehlen. Der mit ihren Lebensverhältnisse zwar unzufriedene, aber final bodenständige Charakter der Färberin fand in Birgit Nilsson eine grandiose und berührende Stimme. Ingrid Bjoner gab im Vergleich zur Aufnahme aus 1964 anlässlich der Eröffnung der Bayerischen Staatsoper nach dem Krieg eine wuchtig-hochdramatische Kaiserin, Varnay verkörperte nach der Ortrud wieder eine ihrer unnachahmlich „bösen Intrigantinnen“. Die Männerbesetzung mit King und Fischer-Dieskau ist Luxus pur.
Wagner: Starke Scheite schichtet mir dort ‚Brünnhilde’s Schlussgesang‘ aus Die Götterdämmerung
Stockholm Philharmonic Orchestra; Stig Rybrant
Birgit Nilsson (Brünnhilde)
in schwedischer Sprache, Stockholm, 1953
Wagner: ,Starke Scheite schichtet mir dort aus ,Die Götterdämmerung‘
Sydney Symphony Orchestra; Charles Mackerras
Birgit Nilsson (Brünnhilde)
Sydney Opera House, 1973
Wagner: Mild und leise ‚Isolde’s Liebestod‘ (aus Tristan und Isolde)
Sveriges Radios Symphoniorkester; Sergiu Celibidache
Birgit Nilsson (Isolde)
Stockholm, 1967
Die ,Starken Scheite‘ aus Stockholm 1953 leiden an einem schleppenden, spannungsarmen Dirigat. Da gefällt der Ausschnitt von der Eröffnung der Oper in Sydney unter der musikalischen Leitung von Sir Charles Mackkeras schon wesentlich besser. Celibidache dirigiert einen phänomenalen Liebestod, Birgit Nilsson darf noch einmal zeigen, dass die Isolde die Rolle ihres Lebens war.
Dr. Ingobert Waltenberger