BIETIGHEIM/ BISSINGEN: EIN VIELGESTALTIGER RAUM : „Dantons Tod“ mit dem Landestheater Tübingen Reutlingen am 16. Januar 2014 im Kronenzentrum
„Es ist Zeit, die Masken abzureißen“ – so lautet ein zentrales Motto in Georg Büchners Revolutionsdrama „Dantons Tod“. In der rasanten Inszenierung von Ralf Siebelt werden die Massenszenen zwar nicht sonderlich betont, aber das Volksgeschehen verlagert sich akustisch in den Hintergrund der Bühne. Der Raum ist durchaus sinnlich und vielgestaltig. Es ist eine Metallkonstruktion, eine Art gekentertes Raumschiff, eine durch den Äther schwenkende Denkzentrale, die vor allem bei Dantons Verteidigungsrede zu explodieren scheint. Man denkt hier als Zuschauer auch an eine zerschossene Kathedrale politischer Macht. So ist der Raum in den Zuschauerraum gleichsam hineingekippt, die in diesem Raum agierenden Figuren scheinen das Publikum anzuspringen. Sie agieren vereinzelt sogar im Zuschauerraum. Und auch die musikalischen Klangkompositionen von Jojo Büld schaffen die passenden Atmosphären und Stimmungen. Im Zentrum des atemlosen Geschehens steht der von Martin Maria Eschenbach emotional dargestellte Georges Danton, der sich mit dem von David Liske facettenreich gemimten Maximilien Robespierre in einem ständigen Konflikt befindet: „Die Revolution frisst ihre eigenen Kinder…“ Jeder kann wegen Nichtigkeiten dem Lynchmob zum Opfer fallen, Hinrichtungen werden zu Massenspektakeln, was in dieser Inszenierung aber auf einen beengten Raum beschränkt wird. Danton, einst Volkstribun, hat sich starr dem Hedonismus verschrieben und will sich ins Private zurückziehen.
Ralf Siebelt lässt als Regisseur drastisch deutlich werden, wie sehr Danton das Leben satt hat. Dazu sieht man im Hintergrund immer wieder einstürzende Hochhäuser in riesigen Staubwolken – eine gute Idee. Klarere Konturen hätte man sich allerdings bei der Personenführung gewünscht, hier bleibt vieles im Ungewissen. Dies gilt vor allem für die Auseinandersetzungen von Danton mit Robespierre. Dieser sieht in Danton ja einen Feind der Revolution, den er bis aufs Blut bekämpfen will. Einzig die brillante Verteidigungsrede Dantons mit Hall-Effekten überzeugt bei dieser Aufführung wirklich. Die Revolution scheitert angesichts der Sätze, die wie ein Leitmotiv wirken: „Sie haben uns gesagt: Schlagt die Aristokraten tot, das sind Wölfe! Wir haben die Aristokraten an die Laternen gehängt. Sie haben gesagt: Das Veto frisst euer Brot; wir haben das Veto totgeschlagen…“ Als Danton mit seinen Freunden unter dem Fallbeil stirbt, zerreisst ein Lichtblitz die Bühne. Das ist effektvoll.
Gut bringen die Schauspieler auch den speziellen Sprachduktus Büchners zur Geltung, der zwischen aphoristischer Kürze und ausladender Rhetorik schwankt. Hier ragen Christian Beppo Peters als Camille Desmoulins, Philip Wilhelmi als Pierre Phillipeau, Gotthard Sinn als Marie-Jean Herault-Sechelles und vor allem Patrick Seletzky als geheimnisvoll-undurchsichtiger Gegenspieler Louis Antoine de Saint-Just hervor. In den Gefängnisszenen wäre eine stärkere Betonung des lyrischen Abgesangs überzeugender gewesen, so wie Büchner sich ihn gewünscht hat.
Stark wirken bei dieser Inszenierung die Frauen, wenngleich man deren Verzweiflung über den Verlust der Männer auch noch drastischer hätte zum Ausdruck bringen können. Erregendere Durchschlagskraft und Lebensnähe hätte dem Schlussruf „Es lebe der König!“ (mit dem Dantons Frau Julie und Desmoulins‘ Gattin Lucile ihren Männern freiwillig in den Tod folgen) und der Szene zuvor deswegen noch mehr Gewicht verliehen. Julienne Pfeil spielte Julie, Lucile und Marion dennoch weitgehend glaubwürdig. Hildegard Maier agierte mit stoischer Würde als Jean-Marie Collot D’Herbois, gab Danton bei den Szenen vor dem Volkstribunal immer wieder scharfe Erwiderungen.
Alexander Walther