Foto-Copyright: Loredana La Rocca
„Bella Figura“ von Yasmina Reza mit dem Euro-Studio Landgraf am 22.1.2020 im Kronenzentrum/BIETIGHEIM-BISSINGEN
Alles außer Kontrolle
„Ein Mann, der vor die Hunde geht, sollte dies in aller Stille tun“. Dieses Bonmot ist bezeichnend für die hintersinnige Beziehungskomödie in sechs Bildern von Yasmina Reza. Heio von Stetten mimt hier gekonnt den von Firmen-Insolvenz bedrohten Mittvierziger Boris Amette, der mit seiner Geliebten Andrea (facettenreich: Julia Hansen) in einem schicken Restaurant Essen gehen möchte. Er erzählt ihr jedoch, dass seine Ehefrau ihm das angesteuerte Restaurant empfohlen hat. Der langjährige Fremdgeher versucht diesen Fauxpas zu vertuschen. Doch beim Verlassen des Parkplatzes fährt er die von Doris Kunstmann souverän und mondän zugleich gespielte zukünftige Schwiegermutter von Francoise Hirt (mit vielen Nuancen: Nina Damaschke) an, der besten Freundin seiner Frau. Und von da an ist nichts mehr so, wie es war.
Dies arbeitet der Regisseur Thomas Goritzki mit der Ausstattung von Stephan Mannteuffel eindringlich, rasant und turbulent zugleich heraus. „Ich habe atemberaubende Verandas gebaut – und dann ist die Bauaufsicht gekommen und hat meinen Kunden gesagt, dass sie gegen die Vorschriften verstoßen. Wenn sie mich mit meinem Privatvermögen für den Schaden haftbar machen, bin ich geliefert“, jammert Boris. Zu allem Unglück kommt jetzt noch der verflixte Unfall hinzu. Doch zum Glück ist der alten Dame nichts passiert. Auf der Bühne sieht man ein rotes Auto, auf dessen Kühlerhaube man die Verunglückte setzt, damit sie sich ausruhen kann. Andrea und Boris stehen aber plötzlich vor der genervten Francoise, ihrem Freund Eric (sehr exaltiert: Boris Valentin Jacoby) und dessen desorientierter Mutter Yvonne. Peinlichkeiten und Fettnäpfchen werden jetzt nicht mehr ausgelassen. Man will zwar „Bella Figura“ machen, doch gelingt dies nur bruchstückhaft. Alles gerät außer Kontrolle. Andrea meint: „Manchmal wache ich morgens auf und denke mir: eigentlich könnte ich irgendwo hingehen, ein neues Leben anfangen, mit neuen Freunden, in einer großen Stadt mit viel Sonne.“ Im Hintergrund wird ein Parkplatz sichtbar, der viel Raum für Illusionen lässt. Yvonne, die früher als Pin-Up-Girl gearbeitet hat, erinnert sich an das Ballkleid der Herzogin von Longueville, das sie sich nachnähen ließ. Sie konstatiert: „Das ist das Fiese am Älterwerden. Man wird verletzbar. Man hat nicht mehr die Kraft, zu antworten.“ Ihr Sohn Eric entgegnet: „Du bist nicht alt, Mama“. Doch sie erwidert: „Doch. Von nun an geht’s bergab. Man klammert sich zwar fest, aber früher oder später geht’s für jeden abwärts.“ Doris Kunstmann gelingt es als Yvonne Blum ebenso gut wie Julia Hansen als Andrea, die Geheimnisse und Vielschichtigkeit ihrer Rolle auszuloten. Boris Valentin Jacoby verdeutlicht als Eric glaubwürdig seinen psychischen Zusammenbruch. Er klagt die Gesellschaft an: „Ich schufte mich ab, um die Familie zusammenzuhalten. Ich bin den ganzen Tag damit beschäftigt, alles mögliche Zeug zu organisieren, damit es uns gut geht, nie kriege ich auch nur den Hauch einer Anerkennung, nie, nichts als Beschwerden, Rumgenörgel, Leidensmienen!“ Francoise dagegen sinniert darüber nach, wie ihr Vater ihr beibrachte, allein aus dem Haus zu gehen. So nimmt man in der rasanten und kurzweiligen Inszenierung wahr, wie die Personen aneinander vorbeireden und sich oftmals aus dem Weg gehen. Selbst der von Ines Reinhard nonchalant gespielte Oberkellner besitzt dabei ein klares Profil. Andrea (die sich selbst als „sexsüchtig“ bezeichnet) und ihr genervter Freund Boris steigen zuletzt aber wieder als unzertrennliches Liebespaar ins rote Auto und fahren einfach davon: „Kein Mensch will gerne in der Öffentlichkeit gedemütigt werden.“
Alexander Walther