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BIELEFELD: PETER GRIMES – Premiere

13.02.2012 | KRITIKEN, Oper

Von der vermeintlich sozialen Sicherheit im Mob – Benjamin Britten: Peter Grimes, Theater Bielefeld 18.2.2012 (Premiere: 11.2.2012)

„Nur ein kleines Gerücht“: Mit dieser lapidaren Bemerkung kehrt man zum dörflichen Alltagsleben zurück und delektiert sich noch tatenlos am Anblick des versinkenden Fischerboots des Außenseiters Peter Grimes. Wozu der Mensch in der Masse fähig ist, interessierte Helen Malkowsky bei ihrer Bielefelder Produktion an Benjamin Brittens Meisterwerk. Mit seziererischer Genauigkeit legt die Regisseurin die verkrusteten Strukturen der Dorfgesellschaft bloß. Keiner, der nicht eine Schuld in sich trägt, aber in bigotter Selbstgefälligkeit sich im schnell zusammengerotteten sozialen Pfuhl des Mobs suhlt. Lieber auf den Außenseiter als Sündenbock eindreschen, als selbst Gefahr laufen zum ebensolchen gestempelt zu werden, zumal Grimes als Außenseiter nicht nur als das unschuldige Opfer gesehen wird, im Gegenteil. Malkowsky gelingt mit ihrem Team (Saskia Wunsch – Bühne, Henrike Bromber – Kostüme, Gregor Fritz – Licht) eine ungemein dichte Studie des Phänomens Mob & Masse, weil sie  nicht wertet, sondern nur gnadenlos sichtet, beobachtet. Ihr gelingt es glaubhaft, die Masse nicht als Einheit, sondern als Konglomerat von Individuen zu zeichnen.

Malkowsky gelingt das nicht allein Dank des vorzüglichen Sängerensembles, das das Theater Bielefeld für diese Aufführungsserie aufgeboten hat. Angeführt vom grandiosen Sängerschauspieler Peter Bronder, der mit heldischem Charaktertenor eine Idealbesetzung für den Fischer darstellt. Bronders Grimes ist ein visionärer Verfechter seiner Ideale und das in kompromißloser Intensität. Mit der verbohrten Starre seines Kämpfertums scheint er sich nicht bewußt, dass sein Weg von Leichen gesäumt ist und als er sich dessen bewußt wird, zerbricht er daran und versinkt im Meer der über ihn einbrechenden Fakten. Das Bild, das Malkowsky und Wunsch dafür finden, läßt aktuelle Tagespolitik assoziieren… – ein Schelm der Übles dabei denkt.

Bronder zur Seite, Sarah Kuffner als toughe Ellen Orford. Der aus dem Bielefelder Opernchor hervorgegangenen Sopranistin gelingt eine ungemein beklemmende Studie der Lichtgestalt, die anders, aber ebenso wie Grimes an ihren Idealen zerbricht. Neben den innigen Momenten, wie der Stickerei-Arie, hat die Kuffner aber auch genügend Aplomb für die espressiven Ausbrüche der komplexen Partie. Jacek Strauch als beider Freund Balstrode trumpft mit Rod Steiger Attitüde auf. Ein Außenseiter auch er, dem aber ob seines Auftretens der Dorfmob nichts anhaben kann. Strauchs kantabler Bariton legt die Partie recht belcantistisch an, wie überhaupt die Bielefelder Aufführung in toto beweist, dass dieses Meisterwerk des 20. Jahrhunderts durchaus „singbar“ ist. Eine finstere Charakterstudie der Wirtin Auntie gelingt der grandiosen Mezzosopranistin Ceri Williams, die für ihre zwielichtigen Nichten (stimmschön: Cornelie Isenbürger und Christiane Linke) auch einmal kurzerhand als Engelmacherin fungiert. Allen Individuen der Dorfgemeinschaft gebührte es genügend gewürdigt zu werden, stellvertretend seien nur erwähnt: Der tenorale Anstifter zur Hexenjagd, Michael Pflumm als kauzig verklemmter Methodistenprediger Boles, Xenia Maria Mann als köstlich schrullige Hobbykriminalistin Mrs. Sedley, die zerfressen ist von ihrer Bigotterie und Opiumsucht.

Die große Dorfgemeinschaft repäsentierte der fulminante Bielefelder Opern- und Extrachor (Einstudierung Hagen Enke). Welch eine Herausforderung muss es gewesen sein, die ungemein komplexe Chorpartitur in solch einer Brillanz zu präsentieren und dabei im Spiel, wo jede einzelne Figur eine Geschichte zu erzählen hat, noch über sich hinauszuwachsen. Die Leistung des Bielefelder Opernchores war nicht zuletzt der Garant für das Gelingen dieser ungemein komplexen und dichten Aufführung.

 Spiritus rector aber war Alexander Kalajdzic der die bestens präparierten Bielefelder Philharmoniker zu eienem ungemein präzisen wie expressiven Spiel animierte. Bielefelds GMD scheute selbst das Durchbrechen der Schmerzgrenze nicht, aber so hat Brittens Meisterwerk und Anklage wider Hexenjagd zu klingen. Durch Kalajdzics leidenschaftliche Interpretation fand der düstere, in seiner Schlichtheit der Mittel beklemmende Raum Saskia Wunschs seinen musikalisch idealen Widerpart.

Nach einer Ruhepause eines Atemholens brach sich frenetischer Jubel im Rund Bahn. Ausdruck von Begeisterung und verdientes Lob für eine meisterhafte Interpretation dieses Schlüsselwerks des Musiktheaters.

Opernfreunden sei diese Aufführung, die noch bis zum 27. März auf dem Bielefelder Spielplan steht unbedingt anempfohlen!

Dirk Altenaer

 

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