Beate Karch
ERFINDER, SCHÖNGEIST, VISIONÄR
20 außergewöhnliche Männer aus Baden-Württemberg
172 Seiten, Südverlag, 2016
Adrienne Braun
KÜNSTLERIN, REBELLIN, PIONIERIN
20 außergewöhnliche Frauen aus Baden-Württemberg
156 Seiten, Südverlag, 2016
Je stärker die Globalisierung wird, umso stärker schlagen – glücklicherweise – die Regionala zurück. Sie haben nur den Nachteil, etwa bei Buchpublikationen, dass sie meist nur die Bevölkerungsschichten erreichen, von denen sie erzählen. Dennoch, jede Region hat Menschen hervorgebracht, die dann auch Weltgeschichte oder Kulturgeschichte oder Operngeschichte gemacht haben… zwei Bücher über jeweils 20 außergewöhnliche Männer und Frauen aus Baden-Württemberg beweisen es.
Deutschlands südwestlichste Ecke, drittgrößtes Bundesland, Zentrum Stuttgart, am Bodensee auch Österreichs Nachbar, kulturell an allen Ecken und Enden reich besetzt. So können in den beiden Büchern „Erfinder, Schöngeist, Visionär“ auf der Männerseite, „Künstlerin, Rebellin, Pionierin“ postuliert werden. Die Autorinnen, Beate Karch für die Herren, Adrienne Braun für die Damen, haben in den schmalen Büchern (Hardcover im Taschenbuchformat) nicht allzu viel Platz für ihre Porträts, jeweils nur ein paar Seiten, aber das macht nichts: Wer dergleichen zur Hand nimmt, will es nicht genau wissen, sondern den Überblick bekommen. Und das geschieht.
Der Leser, der nicht aus der Region kommt, wird sich vermutlich zuerst die „Promis“ heraussuchen, und da kann der Männer-Band gleich zu Beginn mit einem Namen aufwarten, der nicht zu schlagen ist: Johannes Kepler, der berühmte Astronom, war am 27. Dezember 1571 in der freien Reichsstadt Weil im Herzogtum Württemberg zur Welt gekommen. Dass der geniale Forscher auch eine große „Österreich-Karriere“ hatte, wissen wir – erst in Graz, dann in Prag bei Kaiser Rudolf II., dann in Linz, und sein Leben ragte bis in den Dreißigjährigen Krieg hinein. Die Autorin erzählt dabei auch viel von seinen wissenschaftlichen Forschungen und Erkenntnissen, dankenswert lesbar zusammen gefasst.
Es sind noch einige Herren überregional bedeutend geworden – der Verleger Johann Friedrich Cotta beispielsweise, was wäre die deutsche Literatur ohne ihn, oder Gottlieb Daimler, der für die Auto-Welt so viel leistete wie Graf von Zeppelin für die Luftfahrt oder Carl Laemmle für die Filmindustrie.
Mit Hermann Hesse schwebt man wieder in die höchsten Regionen, und Poltik-Interessierte werden mit Theodor Heuss, Kunst-Interessierte mit Oskar Schlemmer einerseits, Otto Dix andererseits und Ballett-Fans schließlich mit John Cranko (den man für seine Großleistungen für das Stuttgarter Ballett einfach „eingemeindet“ hat) wunderbar bedient.
Adrienne Braun kann bei den Damen nicht auf so viele internationale Namen hinweisen, Keplers Gattin ist dabei, die Günderode, die ihren kleinen Platz in der Literaturgeschichte deutscher Frauen behauptet, Margarete Steiff als Spielzeug-Pionierin.
Die wahr Popularität haben die beiden letzten Damen des Buches erreicht, die erste durch ihr mutiges Schicksal, das sie so tragisch mit Leben bezahlte: Sophie Scholl, im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Anneliese Rothenberger hingegen ist noch immer einer breiten Bevölkerungsschicht bekannt, zählte sie doch zu den ersten, die erfolgreich die Brücke von der E-Musik (sie war eine große Opernsängerin, u.a. Karajans Sophie im „Rosenkavalier“ bei den Salzburger Festspielen) zur U-Musik schlug, „Klassik light“ mit Charme und Unterhaltungstouch einem Millionenpublikum nahe bringend.
Die anderen Damen mögen dann allein durch die Charakterisierungen interessieren, die die Autorin ihnen gibt – eine Apothekermagd, eine Geldjongleurin, eine pragmatische Kochbuchautorin, eine Hochspringerin, eine Kriegsfotografin in Stöckelschuhen, das reizt schließlich auch zur Lektüre…
Renate Wagner