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Bert Rebhandl: JEAN-LUC GODARD

25.11.2020 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Buchcover Godard

Bert Rebhandl
JEAN-LUC GODARD
Der permanente Revolutionär
Biografie
286 Seiten, Paul Zsolnay Verlag, 2020

Demnächst wird er 90: Jean-Luc Godard, französischer Kultregisseur, geboren am 3. Dezember 1930, väterlicherseits Schweizer, während die Mutter aus einer französischen Bürgerfamilie stammte, die sich im Krieg der Vichy-Regierung angeschlossen hatte, was niemandem zur Ehre gereicht. Einst hat er als Dreißigjähriger „den“ Kultfilm der so genannten „Nouvelle Vague“ geschaffen, „Außer Atem“, dann das Kino mit einer großen Anzahl höchst unterschiedlicher Filme bedient – unterschiedlich in jeder Hinsicht.

Wenn der renommierte Filmkritiker Bert Rebhandl den Leser nun durch das Leben von Jean-Luc Godard führt, dann ist es in erster Linie eine Wanderung durch seine Filme, wobei es beispielsweise schlechtweg faszinierend ist, die quasi „impressionistische“ Entstehung von „Außer Atem“ in genauer Schilderung zu verfolgen. Warum und wie – das wird von Film zu Film dargestellt. Viele davon gelten als „unzugänglich“, eine eigene Handschrift haben sie immer, auch wenn Godard durchaus nicht „nur“ Kunstkino machte – schon einer der früheren Filme wie „Eine Frau ist eine Frau“ mit seiner damaligen Gefährtin Anna Karina war in seiner Spannung zwischen Romantik und Erotik, musicalartig verfremdet, durchaus ein Kassenerfolg.

Natürlich hielt sich die „Nouvelle Vague“, die nicht nur eine Zeit-, sondern auch eine Modeerscheinung gewesen war, nicht lange, und Godard filmte auch für Carlo Ponti (und später für noch „zweifelhaftere“ Produzenten wie Menahem Golan und Yoram Globus sowie Aaron Spelling, für diesen eine Russland-Dokumentation). Für Ponte brachte er für einen Moravia-Roman in „Die Verachtung“ die junge Brigitte Bardot auf die Leinwand, daneben, durchaus eine Sensation in Filmkreisen, den legendären Fritz Lang als alten Darsteller. Und einen Film wie „Lemmy Caution gegen Alpha 60“ mit Eddie Constantine würde man auch nicht gerade mit Godard, dem Anspruchsvollen, in Verbindung bringen – vieles ist vergessen (wofür der Regisseur wohl dankbar ist).

Und besonders interessant an Rebhandls chronologischem Weg durch dieses Schaffen ist dessen Ungleichheit zwischen theoriegetränktem, quasi philosophischem Anspruch an „Film“ als revolutionäre Kunst und dem, was dann in einem langen Leben auch noch gemacht wird. Wobei Godards Schaffen, je „politischer“ er privat wurde, umso mehr irrlichterte zwischen demagogischen Dokumentationen, auch Selbstbespiegelungen (seine „König Lear“-Version ist gewiß auch eine solche) und schließlich Arbeiten für das Fernsehen. Da ist es klar, dass der Autor den Begriff des „radikal offenen Künstlers“ prägt (und man in einigen Einwürfen zu ahnen meint, dass der Biograph seinem Objekt auch nicht immer folgen kann).

Es ist sehr viel Theorie in diesem Buch, aber die steckt ja schon in Godard selbst, der von Anfang an, seit seiner Zeit als Filmkritiker, jenseits der kommerziellen Verständlichkeit agieren wollte. Dazu zählt dann auch seine unschöne Kontroverse mit Francois Truffaut, mit dem gemeinsam er einst begonnen hatte – und den er für seine Erfolgsfilme wie „Die amerikanische Nacht“ heftig angriff (und später zusehen musste, wie dieser mit der „Letzten Metro“ ihm alle Filmpreise wegschnappte). Nicht alles, was man von dem Menschen Godard liest, ist sympathisch.

Eine „Kippfigur an der Grenze von Biographie und Werk“ will der Autor, wie er im Vorwort schreibt, bieten: Am Ende ist es doch primär eine Aufzählung der Filme geworden, während sich die Person Godards gewissermaßen nur dazwischen schiebt, als wäre das Leben weniger wichtig als das Werk. Obwohl natürlich durchaus biographisches Material durchschimmert: die noble Kindheit in der Schweiz, die anfänglichen Jahre in Paris mit krimineller Konnotation, der theoretische Einsteig ins Filmgeschäft via Filmkritik, dann das Filmemachen, die privaten Fehden, die Frauen-Geschichten, zuerst Anna Karina (mit der er ein Traumpaar der damaligen Moderne bildete), dann die lebenslange Gefährtin Anne-Marie Mieville, was ihn nicht hinderte, eine wilde Affäre mit Maruschka Detmers einzugehen.

Und das seltsame, schwankende, ungleichmäßige politische Engagement, das Godard zweitweise völlig beanspruchte – für die Palästinenser (was ihn dann zu einer unguten Konfrontation mit „Shoa“-Regisseur Claude Lantzmann bracht), für linke Regime, ohne dass er den „Sozialismus mit Herz“ gefunden hätte. Und immer wieder die ganz schlichten, eines „Künstlers“ nicht wirklich würdigen Ausflüge ins Geldverdienen, was dann dem Untertitel des Buches „Der permanente Revolutionär“ widerspricht.

Ein Buch mit viel Theorie, aber auch durchaus viel Praxis. Und der Mann, der dahinter steckt? Wie immer – lebende Filmgeschichte ist er auf jeden Fall, und die allermeisten seiner Zeitgenossen hat er überlebt. Und sein Werk, an dem sich Cineasten fransig diskutiert haben, wird bestehen bleiben.

Renate Wagner

 

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