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Bernhard Maier: DIE BEKEHRUNG DER WELT

16.10.2021 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

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Bernhard Maier:  
DIE BEKEHRUNG DER WELT
Eine Geschichte der christlichen Mission in der Neuzeit
448 Seiten, Verlag C.H.Beck, 2021

So umfassend wie noch nie wollte Bernhard Maier, seines Zeichens Professor für Allgemeine Religionswissenschaft und Europäische Religionsgeschichte an der Universität Tübingen, die Geschichte der christlichen Missionierungen erzählen, und das ist ihm in vieler Hinsicht gelungen.

 Zuerst einmal nimmt er sich nicht nur eine Region (meist sind es Südamerika oder Afrika, die im Fokus stehen), sondern betrachtet das Thema welt-umfassend. Zweitens ist die Zeit der Idealisierung und Bewunderung für die Missionstätigkeit lange vorbei, und Maier sieht sie, wie heute üblich, in engem Zusammenhang mit der Kolonialgeschichte. Tatsächlich ist der politische  Aspekt, den er immer wieder anspricht, so stark wie der religiöse, wenngleich niemand leugnen wird, dass es unter den Missionaren auch Idealisten gegeben haben mag, die an das glaubten, was sie taten (egal, ob wir heute „Bekehrungen“ für Verblendung halten).

Die ab dem 16. Jahrhundert angestrebte Christianisierung der Welt hat eine Vorgeschichte, die der Autor zu Beginn schildert. Denn erst einmal musste ein „Christliches Abendland“ geschaffen werden, musste sich das Christentum als möglichst einzige Religion über Europa erstrecken (und alle lokalen Glaubensvorstellungen und Kulte vernichten), wie es Jesus Christus in seinem „Taufbefehl“ angeblich formuliert hatte. Das geschah schon damals nicht ohne Gewalt, wenn man an die Brutalität denkt, mit der etwa Karl der Große die Slawen „bekehren“ ließ. Aber bis zum großen Zeitalter der Entdeckungen war es zum größten Teil vollbracht – wobei man bedenken muss, dass genau in diese Epoche auch Martin Luther fiel, das Christentum sich spaltete, und protestantische Missionare ebenso ihre Tätigkeit aufnahmen wie katholische.

Bernhard Maier tritt den Weg um die Welt chronologisch an, beginnt mit Südamerika und der Karibik, zeichnet schon dort die verschiedenartigen Interessen der Herrschenden (dort waren es noch Spanien und Portugal) wie des Papstes nach, der damals einen gewaltigen Machtfaktor darstellte. Die großen Orden strömten in die Länder, die Franziskaner, Dominikaner, Jesuiten (noch heute steht jeder Südamerika-Reisende in ihren goldstrotzenden Kirchen).

Sicher gab es auch „soziale“ Experimente, wie es die Jesuiten versuchten, aber damals schon wurden die Einheimischen als Zwangsarbeiter in die Gold- und  Silberminen gesteckt, und auch gegen die Sklaverei hatte man nicht viel einzuwenden. Und wie viele der Einheimischen etwa an den eingeschleppten Seuchen starben, kümmerte auch nur wenige. Dass man aus der „Neuen Welt“ viel Profit zog, nicht nur materiell, auch ideell, dazu enormen Erkenntniszuwachs, und dass Missionare vielfach als Wissenschaftler viel für die Erforschung der neuen Völker, Sprachen und Sitten leisteten, steht dann auf einem anderen Blatt.

Die Reise des Buches führt über Nordamerika, wo viele Missionen Fuß fassten, aber die faktische Ausrottung des größten Teils der indigenen Völker nicht verhinderten. Deren (erfolgloser) Widerstand klammerte sich vielfach an die eigenen Religionen und Rituale, um die Ablehnung des aufgezwungenen neuen Glaubens zu demonstrieren.

In den Welten Asiens gibt es jeweils zwei Kapitel für Indien, China und Japan, weil es in diesen Ländern gelang, die erste Flut der Eroberer aufzuhalten, um ihnen später ja doch zu erliegen, so sehr man sich gegen die Christianisierung wehrte (in Japan wurde der Katholizismus verboten, überzeugte Bekehrte mussten in den Untergrund wie hierzulande die Protestanten).

Europa hat von den reichen Kulturen Asiens unendliche Eindrücke empfangen (man denke nur an die China-Mode, die sich in jedem Schloß wiederfindet, das auf sich hält). Ein Kontinent wie Indien, der damals schon großteils vom Islam in Besitz genommen war, zeigte bei der ungeheuren Vielfalt der heimischen Religionen kein besonderes Interesse an einer weiteren. Dennoch ist es den Briten gelungen, diese Kolonie zu ihrem „Juwel der Krone“ zu machen.

Anders war die Situation in der „Südsee“, wo man keine Kulturen erkannte (obwohl es sie natürlich in den Ahnenritualen, Tänzen, der Maskenkunst etc. sehr wohl gab) und man meinte, einfach „Wilden“ zu begegnen. Diese entzückten sich schlau an den Waren, die die Eroberer mitbrachten (in Papua Neuguinea waren auch die Deutschen sehr aktiv) und entwickelten einen eigenen „Cargo“-Kult, den sie anstelle des Christentums annahmen…

Ein ganz großes Kapitel gilt Afrika, wo die europäischen Kolonialmächte (immer mit den Missionaren im Schlepptau) den Kontinent geradezu zerstückelten. Deutschland hatte sich mit Kamerun, Deutsch-Südwestafrika, Deutsch-Ostafrika und Togo ein Riesenstück abgeschnitten, vielfach so groß wie das Heimatland. Hier und vor allem im Kongo des belgischen Königs Leopold II. fanden die größten Verbrechen gegen die Einheimischen statt (und es waren, zu ihrer Ehre gesagt, vielfach die Missionare, die sie berichteten).

Weitere Schwerpunkte galten den Ländern im Hohen Norden (wo man es mit Schamanen zu tun hatte), und auch dem Nahen Ostens rund um Palästina, dem Land der Bibel. Diese Region zählte allerdings bis zum Ersten Weltkrieg zum  islamischen Ottomanischen Reich.

Dabei ist der Autor nicht „einäugig“ in seiner Betrachtung – wie etwa europäische Wissenschaftler, oft in Verbindung mit den Missionaren, die Möglichkeiten genutzt haben, Unbekanntes zu erforschen, zählt zu den Erträgnissen, die dann (abgesehen von den Gewinnen der Kapitalisten) nach Europa zurück flossen.

So wie der Autor das Thema weit fasst und sich beispielsweise der Kinderliteratur zuwendet, die die neuen Welten abenteuerlich thematisierte, von der „Schatzinsel“ bis „Lederstrumpf“, verfolgt er in einem sehr interessanten Kapitel aus dem 20. Jahrhundert den Niederschlag des Missionswesens in der Welt des Films – anfangs romantisierend, später zunehmend kritisch. In „Schwarze Narzisse“ (1947) wollte Deborah Kerr im Himalaya eine neue Missionsstation gründen, in der „Herberge zur sechsten  Glückseligkeit“ (1958) ging Ingrid Bergman als Missionarin nach China, in „Die Geschichte einer Nonne“ (1959) arbeitete Audrey Hepburn als belgische Ordensschwester im Kongo. In der Folge gestaltete sich der Blick auf koloniales Umfeld kritischer, wobei auch der „Held“ Albert Schweitzer vielfach hinterfragt wurde. Letzter Höhepunkt war wohl Martin Scorsese großartiger Film „Silence“ (2016), wo er Schicksale der „verbotenen“ Christen in Japan im 17. Jahrhundert zeigte.

Heute sind die meisten betroffenen europäischen Nationen (wenn auch nicht alle in gleicher Intensität) damit befasst, ihre koloniale Vergangenheit aufzuarbeiten (und sich in tätiger Reue, sprich Restitutionen zu üben), und auch die Katholische Kirche  hat bereits ihre frühere Missachtung anderer Religionen bereut. Wirklich gut machen kann man wenig, historische Rückblicke führen schließlich in andere Zeiten und Welten, wo gänzlich andere Werte und Anschauungen herrschten als heute.

Renate Wagner

 

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