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BERNHARD HAITINK – CD BEETHOVEN: London Symphony Orchestra / Staatskapelle Dresden

03.11.2019 | Allgemein, cd

BERNHARD HAITINK

 

CD BEETHOVEN: Klavierkonzert Nr. 2, Tripelkonzert, London Symphony Orchestra, Pires, Nikolitch, Hugh, Vogt – LSO

 

Bernhard Haitink ist 90 Jahre alt, am 6. September 2019 hat er beim Luzern Festival am Pult der Wiener Philharmoniker mit Bruckners 7. Sinfonie seine Dirigentenlaufbahn beendet. In den letzten Monaten sind einige sehr empfehlenswerte Aufnahmen erschienen, mit CD-Premieren wie dem im Februar 2013 live im Barbican London mitgeschnittenen 2. Klavierkonzert von Beethoven mit der portugiesischen Pianistin Maria João Pires, die in diesem Jahr ihren 75 Geburtstag feierte. Gekoppelt ist das Album mit der legendären Live-Aufnahme des Tripelkonzerts (November 2005) und den Solisten Gordan Nikolitch (Violine), Tim Hugh (Cello) und Lars Vogt (Klavier). 

 

Haitink dirigierte das London Symphony Orchestra als Gastdirigent. Das 2. Klavierkonzert – vom kaum Zwanzigjährigen Beethoven vor dem ersten wahrscheinlich noch in Bonn komponiert, aber später veröffentlicht – lässt er formvollendet in quirliger Leichtigkeit und dennoch mit der schon ganz Beethoven zugehörigen viril draufgängerischen Klangsprache ertönen. Pires zeigt im Adagio, wie überirdisch schön und selbstverständlich gran espressione die fragil feinmaschigen Verzierungen hingetupft werden können. Aus dem Klavierpart kann durchaus geschlossen werden, was Beethoven selbst als Konzertpianist drauf hatte. 

 

Das Tripelkonzert, 1803/04 den spezifischen Talenten seiner ersten Interpreten auf den Leib geschneidert (u.a. versuchte sich der nicht gerade für seine Technik berühmte Erzherzog Rudolph am Klavier), ist ein Ausbund an vitaler Frische, lyrischer Emphase und kulminiert in einem rasanten Rondo im Stil einer Polonaise. Wieder darf in der vorliegenden Interpretation der sehnige Orchesterklang, die gute Abmischung von bubenhaftem Charme und Temperament, aber auch das im entrückt verträumten Largo liquide Tempo bewundert werden. Keine Erdenschwere  und grübelnde Introvertiertheit lastet auf dieser Aufnahme. Haitink verweist in seiner Lesart auf den Sturm und Drang, ihm gelingt eine gute Balance aus kunstvoller Verfeinerung und muskulöser Kraft. Von den Solisten lassen vor allem Lars Vogt und Gordan Nikolitch keinen Wunsch offen. Der Klang ist präzise und trocken.

 

CD BERNHARD HAITINK & STAATSKAPELLE DRESDEN, 6 CDs – Profil Hänssler

 

Bernhard Haitink war vom August 2002 bis 2004 Chefdirigent der Staatskapelle Dresden, jenes wunderbaren Traditionsorchesters, das 1548 von Kurfürst Moritz von Sachsen gegründet worden war. Auf 6 CDs gibt es einige der berückendsten Aufnahmen des Orchesters dank der wissenden Tontechniker des MDR auch in herausragender Qualität zu hören. Ausgenommen die ,Auferstehungssymphonie‘ in c-Moll von Gustav Mahler (Solistinnen Charlotte Margiono, Jard van Nes; Chor der Sächsischen Staatsoper Dresden, Sinfoniechor Dresden), die am 13. Februar 1995 live in der Semperoper zum Gedächtnis an den 50 Jahrestag der Zerstörung Dresdens  aufgenommen wurde, stammen alle anderen Mitschnitte aus dem Jahr 2002. 

 

Darunter findet sich eine der besten Aufnahmen der Achten-Bruckner im Katalog, live mitgeschnitten am 3. Dezember 2002 in der Semperoper („Konzert für Dresden“ nach der Hochwasserkatastrophe im Sommer 2002). Sie ist packender und geschlossener musiziert als seine drei anderen Aufnahmen aus 1969 und 2005 mit dem Concertgebouw Orchester Amsterdam sowie 1996 mit den Wiener Philharmonikern. Sie betört den Hörer mit ihrem himmelstürmenden Jubel gleichermaßen wie mit der intimsten Innenschau. Wenn ich außerdem eine einzige Aufnahme empfehlen dürfte, um vorzuführen, was die Staatskapelle Dresden an Wundern an goldenem Streicherton, berauschend flirrenden Hörnern und Trompeten (Finale), grosso modo insgesamt kultiviertestem Orchesterklang zu bieten imstande ist, es wäre dieses grandiose Benefizkonzert für die Opfer der Überschwemmung 2002. Das mit 28 Minuten breit musizierte Adagio erklingt feierlich voll noblem Atem. Die Atmosphäre in der Art eines kollektiven Gebets ist atemberaubend. Die Aufnahme darf zudem wegen der stupenden Tonqualität als ein Vorführalbum für höchste HiFi Ansprüche gelten. Wer sich in der Ära des historisch informierten Klangs nicht vor einem kantablen, mit vitaler Geste gespielten Mozart fürchtet, wird von der prall flüssigen Wiedergabe der Prager Symphonie in D-Dur K 504 genau so begeistert sein wie ich es bin. 

 

Beschlossen wird die Box mit dem Konzert vom 29. September 2002 aus dem Kulturpalast. Es war Bernard Haitinks erstes Abokonzert als Chefdirigent des Orchesters. Mit der Annahme der Position hat Haitink die schmerzliche Lücke füllen können, die durch den plötzlichen Tod von Giuseppe Sinopoli im Jahr zuvor entstanden war. Auf dem Programm standen die hochromantische Ouvertüre zur Oper ,Oberon‘ von Carl Maria von Weber als Hommage an den genius loci, ein luzide intensives Konzert in D-Dur Op. 61 für Violine und Orchester von Ludwig van Beethoven und die erste Symphonie von Johannes Brahms in c-Moll, Op. 68. Dank der Kunst des Geigers Frank Peter Zimmermann, der auf seiner wertvollen Stradivari Lady Inchiquin von 1711 spielte (die einst Fritz Kreisler gehörte), geriet das Konzert nicht zu einem Showcase, sondern zu einer Offenbarung an solistischer und orchestraler Gestaltungskraft. Die Kadenzen sind nirgendwo glänzender und dennoch mit sensiblerer individueller Aussage zu erleben. Sicherlich bleibt gerade dieses Violinkonzert eine ganz große Empfehlung auch im Beethoven-Jahr 2020. 

 

„Im zweiten Teil des Konzerts erklang die erste Symphonie von Johannes Brahms, auf der Insel Rügen und in Baden-Baden komponiert und die laut Hans von Bülow eigentlich auch als zehnte Symphonie Beethovens charakterisiert werden könnte. Auf jeden Fall verbindet Brahms und Beethoven in der äußerst komplexen ersten Symphonie die programmatische Beethoven’sche Idee „Durch Nacht zum Licht“. Haitink scheint den höchst persönlichen, durch Brahms gefassten Entwicklungen in den vier Sätzen seine eigene altersweise Sicht hinzuzufügen. Die existenzielle Dringlichkeit einer in Not geratenen Seele findet mit symphonischer Intensität in allerlei Umwegen einen hoffnungsfrohen Ausgang. Für aller Musikfreunde unnötig zu erwähnen, dass die Staatskapelle Dresden als eines der edelsten Orchester überhaupt bei diesem Programm auf dem Weltmeisterpodest steht.“ (Auszug aus meiner Besprechung vom 16.11.2016)

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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