Bernhard A. Macek:
ALMA SEIDLER
Österreichs Jahrhundertschauspielerin
316 Seiten, Verlag MyMorawa, 2018
Man erinnert sich noch heute an ihr unwiderstehliches Lachen. Und an ihre wunderbar-bescheidene Auskunft: „Ich bin ein Ensemblehund“. Vielleicht ist das daran schuld, dass die Erinnerung an die große Burgschauspielerin Alma Seidler nicht dermaßen leuchtet wie etwa jene an die Beinahe-Zeitgenossin Paula Wessely? Weil sie nicht dafür gesorgt hat, als Privatperson für die Medien interessant zu sein (sondern es geradezu peinlich vermied)? Weil sie keine großen Hauptrollen in Filmen gespielt hat, sondern sich mit (allerdings tollen kleinen) Nebenrollen begnügte, weil sie nicht gerne von Wien und vom Burgtheater weg war?
Jedenfalls hat sich Autor Bernhard A. Macek nun daran gemacht, zwischen Buchdeckeln an die ganz große Seidler zu erinnern. Edith Sonka, offenbar im Haushalt der Künstlerin beschäftigt, hat viele Dokumente und Fotos aus der Frühzeit beigesteuert, die man sonst nicht kennen würde – die „ältere“ Alma Seidler ist uns doch weit mehr vertraut als eine flotte junge Frau mit Motorradmütze… Das putzt das Buch, das auch sonst mit Bildmaterial nicht spart, doch sehr auf.
Zu erzählen ist, in Chronologie (wie es Biographien am besten entspricht), die Geschichte einer Tochter aus sehr gutem Haus – der Papa war vom Ackerbaufachmann zum Universitätsprofessor und 1917 schnell noch, auf Initiative von Kaiser Karl, zum Ministerpräsidenten aufgestiegen (was ihm nach 1918 nicht so gut bekam): Da war Töchterchen Alma, geboren am 8. Juni 1899 (noch in der Steiermark) trotz ihrer jungen Jahre bereits am Burgtheater – gerade noch ans „Hof-Burgtheater“ engagiert, dem sie dann, als es nur noch „Burgtheater“ hieß, ein Leben lang treu blieb. Spektakuläre Gastspiele waren ihre Sache nicht – sie bewegte sich ungern von zuhause weg, höchstens später im Sommer als Mitwirkende zu den Bregenzer und Salzburger Festspielen.
Der Autor lässt Berufs- und Privatleben von Alma Seidler parallel laufen. In dem Schauspieler-Kollegen Karl Eidlitz (1894-1981) fand sie früh die Liebe ihres Lebens, heiratete ihn 1920, bekam im gleichen Jahr den einzigen Sohn Johannes – und hat ihr Privatleben absolut nie der Öffentlichkeit preisgegeben. Ein Rätsel, das auch der Autor (und niemand sonst) auflösen konnte, ist das Verhalten des Paares später in der Kriegszeit. Da ging der Jude Karl Eidlitz ins Schweizer Exil – und Alma Seidler blieb in Wien, spielte weiter, leistete keinen Widerstand, wartete offenbar darauf, dass der Spuk ein Ende hätte. Dennoch – dass eine Frau den Gatten ziehen lässt und innerhalb eines Regimes, das ihn vertreibt (und seinesgleichen tötet) verbleibt, scheint schwer zu erklären, wusste man doch auch nicht, ob diese Situation nicht „ewig“ fortdauern würde. Vielleicht hat auch Karl Eidlitz im Wissen, dass es Alma Seidler außerhalb Wiens nicht aushalten würde, auf diese Lösung bestanden? Es bleibt ein Rätsel – aber eines, über das man ohne tiefere Kenntnis nicht urteilen kann und darf.
Die junge und den Fotos nach bezaubernde Alma Seidler hatte in der Zwischenkriegszeit riesige Erfolge mit Rollen, die ihr auf den Leib geschrieben schienen. Es heißt übrigens, dass sie die berühmte „Lach-Szene“ der Zofe Maria in Shakespeares „Was ihr wollt“ 1921 erfunden haben soll (seither versucht jede Schauspielerin, die auf sich hält, ihr diesen Lachanfall angesichts von Malvolios gelben Strumpfbändern nachzuspielen). Dass sie Max Reinhardt ins Auge stach, ist logisch, aber unerklärlicherweise klappte die Zusammenarbeit nicht. Das Burgtheater war sehr froh, Alma Seidler (die zu dieser Zeit ein berühmtes Käthchen von Heilbronn war, desgleichen Hauptmanns Pippa, aber auch mit „Arm wie eine Kirchenmaus“ ein Boulevard-Star) zu behalten, betrachtete sie als unabdingbares Ensemblemitglied, für das man sogar Gagenerhöhung erwog.
Erst 29jährig wurde sie bereits zur „Kammerschauspielerin“ (der Titel wurde als Ersatz für die „Hof-Schauspieler“ erfunden), und sie bewährte sich weiterhin zwischen den Genres – ob für Shakespeare, ob als junge Queen Victoria in den „Mädchenjahren einer Königin“. Interessanterweise hat sie, wie man es den Burgschauspielern nachsagte, viel zu lange das „jugendliche Fach“ gespielt – später mit 36 die als 14jährig angegebene „Hannele“ von Hauptmann, mit 40 den Christopherl in Nestroys „Jux“, mit 46 die junge Julie in Molnars „Liliom“, mit 47 die Christine in „Liebelei“…
Die Jahre im Dritten Reich zeigten, wie wichtig die Seidler für Wien und das Burgtheater war – es gab für die im System belastete „Versippte“ die Sondergenehmigung, hier weiter zu spielen, wenngleich sie unter besonderer Beobachtung stand und, sehr zum Ärger der Nazis, als „monarchistisch“ und „klerikal“ galt. Zum Empfang mit Hitler wurde sie – an der Seite von Vilma Degischer, Hilde Wagener und Hermann Thimig – dennoch abkommandiert…
Nach dem Krieg kehrte Karl Eidlitz heim und an das Burgtheater zurück, eine skurrile Persönlichkeit für alle, die sich an ihn erinnern, und Alma Seidler hielt die Hand über ihn (und bezahlte seine offenen Rechnungen im Kaffeehaus). Es war eine schwere Zeit gewesen, Alma Seidler, ihr Gatte, ihr Sohn waren viel krank, wohl aus Erschöpfung. Die Situation besserte sich allerdings langsam, und der legendäre Humor der Seidler, über den viele Schauspieler (besonders ausführlich Elfriede Ott) dem Autor berichtet haben, kam wieder zum Vorschein.
Nun näherte sich auch langsam das „ältere Fach“, es kamen die kleineren Rollen, die sie, wie Direktor Ernst Haeusserman sagte, „groß“ machte – und eine Menge kleine Aufgaben im österreichischen Nachkriegsfilm, weil sie einfach nicht lange von zuhause weg sein wollte. Der Ehrgeiz nach „Karriere“ und „Startum“ nach äußerlichen Gesichtspunkten war ihr gänzlich fremd. Es reichte ihr, an ihrem Haus geliebt zu werden – und ein paar schöne, unvergessliche Altersrollen zu spielen, ob es die Claire Zachanassian war oder an der Seite von Adrienne Gessner die unschuldsvolle alte Giftmörderin in „Arsen und alte Spitzen“: Die Seidler konnte bekanntlich alles. Dass eine ihrer letzten Rollen auf der Bühne, hoch in den Siebzigern, das „alte Weib“ in Raimunds „Verschwender“ war, bleibt allen Besuchern des Burgtheaters, die sie darin gesehen haben, unvergesslich. Der Seidler-Humor funkelte… Am 8. Dezember 1977 ist sie gestorben.
Sie selbst hat einmal gesagt, sie habe nur einen Wunsch gehabt – in Wien zu leben und am Burgtheater zu spielen. Das ist ihr erfüllt worden und ihrem Publikum, das sie nicht vergessen hat, auch.
Renate Wagner