Bern: “IL TRIONFO DEL TEMPO E DEL DISINGANNO” – Konzerttheater, 26. 5.2013
Calixto Bieito hat das zweiteilige, weltliche Oratorium (HWV 46A) in Szene gesetzt. Der Librettist Kardinal Benedetto Pamphilj und der Komponist Georg Friedrich Händel haben das Werk im Jahr 1707 geschaffen. Händel war 22 Jahre jung. Anscheinend sind auch zu dieser Zeit ewige Jugend, Gefallsucht und Schönheit Themen, welche zu Diskussionen Anlass geben.
Händels Oratorium hat in den 206 Jahren seit der Uraufführung nichts von seiner Aktualität verloren. Auch heute geben Hedonismus, unbegrenzter Konsum, Jugend, Schönheit, Eitelkeit, Genuss den Ton an, man/frau will „in“ sein!
„Memento moriendum esse“ flüsterte ein Priester des Jupiter den römischen Triumphatoren ins Ohr, ein Symbol der Vanitas,
der Eitelkeit. Diese Aussage wird in Bieitos Inszenierung des Trionfo klar und eindeutig ausgedrückt. Möglicherweise wären Händel und Kardinal Pamphilj über die Inszenierung leicht erstaunt. So realistisch konnten die Herren in Ihrer Zeit wahrscheinlich nicht inszenieren, da die gezeigte Freizügigkeit doch eher in unserem Jahrhundert Einzug fand.
„Carpe Diem“ ist das Motto im 1.Teil: Hier konsumieren Bellezza und Piacere hemmungslos und genießen gedankenlos alle Aspekte ihres jugendlichen Lebens. Alle Mahnungen und Unkenrufe von Tempo und Disinganno verfehlen ihren Zweck. Im Gegenteil: Bellezza und Piacere nehmen gegen Tempo und Disinganno den Kampf auf und wollen den unerbittlichen Ablauf der Zeit nicht wahrhaben. Das Karussell, als Mahnmal für die Zeit, läuft rückwärts, gegen den Uhrzeiger. Bellezza und Piacere versuchen sogar Tempo zu verführen, zu bestechen, die Zeit anzuhalten. Doch Disinganno und Tempo verunsichern Bellezza mit den immer wieder wiederholten Hinweisen auf die Vergänglichkeit der Lust (memento mori).
Im 2. Teil besinnt sich, angeregt durch Tempo und Bellezza, darauf, dass die Zeit nicht anzuhalten ist, und verzichtet schlussendlich auf alle diesseitigen Freuden. Dies trotz aller Versuche durch Piacere, diesen Entschluss rückgängig zu machen (Arie „Lascia la spina, cogli la rosa„. Bellezza steht bei der berührenden Schlussarie „Pure del cielo„, buchstäblich beraubt allen modischen Firlefanzes, zusammen mit Tempo fast nackt auf der Bühne. Die Vergänglichkeit wird dargestellt durch Senioren, welche regungslos im Hintergrund posieren.
Die Inszenierung wirkt im 1. Teil erotisch, ohne je obszön zu werden. Der Hedonismus, die Sinneslust wird ebenso sauber dargestellt. Der Gegenpol, also Vernunft, Nüchternheit, Klarheit, wird klar herausgstellt, so intensiv, dass Bellezza oft ins Nachdenken gerät und unsicher wird, ob ihre vom Konsum bestimmte Lebensweise richtig und zielführend ist. Piacere dagegen bleibt von solchen Ideen unberührt und plädiert für grenzenloses Genießen.
Im 2. Teil dagegen herrscht wesentlich mehr Nüchternheit, auch der Bühnenraum ist karger, das Karussell nicht mehr beleuchtet, dagegen sind wiederum einige Spiegel vorhanden, um die Reflektion, das Überlegen zu ermöglichen. Interessant schein mir die Idee, Vergänglichkeit mit den im Hintergrund bewegungslos stehenden Senioren darzustellen.
Calixto Bieito hat mit dieser Regieführung Massstäbe gesetzt für die szenische Aufführung von Oratorien.
Das Berner Symphonieorchester unter der Leitung von Sébastien Rouland, nicht im tiefen Orchestergraben, sondern in alter Theaterpraxis für das Publikum sichtbar, spielt die Händelsche Musik mit Emotion. Roulands Dirigat ist optimal dynamisch, aber nie zu laut. In keinem Moment übertönt das Orchester die SängerInnen auf der Bühne. Schade, dass nicht Originalbarockinstrumente verwendet wurden.
Der Tenor Charles Workman als Tempo singt seinen Part sehr kräftig, mit sauberer Intonation und Diktion. Seine schauspielerische Darbietung wirkt für mich ein bisschen unterkühlt.
Hélène Le Corre, Bellezza, spielt und singt hervorragend, Ihre Stimme ist klar, ohne falsches Tremolieren und Vibrato, eine Sopranistin, die mich voll überzeugt und ihrer Rolle sängerisch wie schauspielerisch voll gerecht wird. Die Sopranistin Christine
Daletska als Piacere wird Ihrer Verführerinnenrolle voll gerecht, spielt den Part absolut sauber und auch erotisch und überzeugt auch sängerisch.
Die schwerste Rolle, Disinganno, hatte Ursula Hesse von den Steinen. Als Mezzo singt sie eine eigentlich für einen Alt geschriebene Musik und meistert dies mit einer Bravour, welche ihresgleichen sucht. Dieser Part wurde von Bieito extrem schwierig angelegt. Hesse meistert dies mir einem schauspielerischen Können, das als meisterhaft bezeichnet werden muss.
Das Berner Premierenpublikum belohnte diesen Abend mit lautstarkem, lange anhaltenden Applaus, der dem ganzen Bühnenteam galt.
Peter Heuberger