Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

BERLIN/Theatertreffen: Schauspiel Köln bringt DIE RATTEN

18.05.2013 | KRITIKEN, Theater

Theatertreffen Berlin: Schauspiel Köln bringt „DIE RATTEN“, 17.05.2013


Bernd Grawert als Paul John, Lina Beckmann als Frau John, Foto: Klaus Lefebre .

 50 Jahre Theatertreffen Berlin – das ist zur Institution geworden und mehr als ein Parcours durch die Aufführungen deutschsprachiger Bühnen, einschließlich Wien und Zürich. Die Vorstellungen sind in der Regel ausverkauft, bleiben aber ein Griff in die Glückstrommel. Was die Jury als exemplarisch auswählt, trifft nicht immer die Zustimmung des Publikums und der Kritiker. Kann das „Schauspiel Köln“ mit Gerhart Hauptmanns Tragikkomödie „Die Ratten“ überzeugen?

Uraufgeführt wurde das Stück am 13.01.1911 in Berlin, wo es Hauptmann angesiedelt hatte, in einer Mietskaserne am Alexanderplatz. Spielort ist nun hier die pechschwarze Hinterbühne im „Haus der Berliner Festspiele“ in der Schaperstraße.

Über ein Wiesenstück mit Schaukelstühlen und kleiner Restaurantterrasse gelangen wir hinein. Ein gewollter Kontrast. Denn mit Hauptmanns Naturalismus und dem entsprechenden Interieur hat solch eine moderne Regisseurin wie Karin Henkel nicht viel im Sinn. Ein Flügel und drei Kleiderständer stehen im Raum, vor denen sich die Schauspieler/Innen coram publico umziehen. (Bühne: Jens Kilian)

Neu ist dieser Einfall nicht, auffällig mitunter nur das, was sie sich überstreifen. So der Tüllrock, den Michael Weber selbst als Hausmeister oder Polizist mit Pickelhaube trägt. (Kostüme: Klaus Bruns). Ohnehin haben die meisten mehrere Rollen inne, die kleine Jennifer Frank spielt sogar vier, darunter – sehr lustig – ein bellendes Hündchen.

Yorck Dippe gibt den abgehalfterten Theaterregisseur, besser gesagt Schauspielerdompteur. Der will vom Alltäglich-Natürlichen auf der Bühne nichts wissen und lässt den jungen Theologen Erich Spitta, der Schauspieler werden will, immer wieder einen Shakespeare-Text deklamieren.

Betont übertrieben erledigt das Jan-Peter Kampwirth. Später wird er in seiner Doppelrolle als Bruno Mechelke, Frau Johns abgerutschten Bruder, das polnische Dienstmädchen Pauline Piperkarcka erledigen, sprich ermorden. – Kate Strong, dreifach tätig, findet mit einem englischen Song, gespickt mit „fucking“, bei den Zuhörern viel Anklang und erhält spontanen Zwischenbeifall.

Ansonsten liefern die hier Genannten gekonnte Schauspielstudien und bieten eine persönliche Talentschau. Allerdings übertreibt die junge Lena Schwarz, die neben der sanften Walburga Hassenreuter auch das polnische Dienstmädchen Pauline spielt, maßlos.

Sie schnallt sich einen hochschwangeren Bauch um, windet sich exzessiv am Boden und kreischt so hysterisch, dass der Text unverständlich wird. Ist das ihre eigene Interpretation, oder hat ihr die Regisseurin das so abverlangt?

Welch ein Gegensatz dazu die Darstellung der Frau John durch Lina Beckmann. Die wird selten laut und nie unangemessen fahrig. Fast unauffällig und beinahe bescheiden bestimmt sie das traurige, teils absurd komische Geschehen. Mit ihren Augen und wenigen Gesten. Ihr glaubt man das Putzfrauenleben, die Sehnsucht nach einem Kind (als Ersatz für ein verstorbenes), den Babykauf von der Polin, den raffinierten Austausch des Kindes gegen ein anderes.

Auch die versuchten Tricks, als die Sache auffliegt, die gekünstelte Ruhe, die Angst und die Anwandlungen von Wahnsinn, oft nur durch ein Augenflackern erkennbar – in allem ist Lina Beckmann überzeugend. Und mehr als das: ihre Darstellung erweckt Anteilnahme.

Großartig auch Bernd Grawert als Maurerpolier Paul John. Ein harter Arbeitertyp mit weichem Kern. Für das neue Baby, das er für seines hält, schmeißt er den Job und kehrt zu seiner Frau zurück. Doch Abgründe tun sich für diesen einfachen Menschen auf, als ihm nach und nach das unglaubliche Geschehen klar wird. Ein gestandener Mann, etwas prollig, und nun das Unfassbare, das ihn bis ins Mark trifft und sein bisheriges Leben ruiniert.

Frau John verübt Selbstmord, die anderen gießen Theaterblut über die Liegende. Bloß keine Gefühle, ist ja alles nur Theater. Soll uns das verklickert werden?

Das gelingt nun nicht mehr, denn Lina Beckmann und Berndt Grawert überragen durch ihre Darstellung alle hergeholten Lächerlichkeiten und zeigen: Liebe, Verzweiflung, Lug und Trug, Schuld und Sühne sind zeitlos. Auch heutige Schicksale enden mitunter ähnlich, ob’s der Regie passt oder nicht.

Ursula Wiegand

 

 

 

Diese Seite drucken