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BERLIN/Schillertheater: RAPPRESENTATIONE DI ANIMA ET DI CORPO von E. de Cavalieri

18.06.2012 | KRITIKEN, Oper

Staatsoper Unter den Linden in Berlin: „Rappresentatione di Anima et di Corpo“ von Emilio de’ Cavalieri (Vorstellung: 17. 6. 2012)


Achim Freyer siedelte in seiner Inszenierung die frühbarocke Oper von de‘ Cavalieri im Zirkusmilieu an (Foto: Clärchen und Matthias Baus)

Im Berliner Schillertheater, dem Ausweichquartier der Staatsoper Unter den Linden während der Renovierung des Opernhauses, wurde mit dem Stück „Rappresentatione di Anima et di Corpo“ („Das Spiel von Seele und Körper“) von Emilio de’ Cavalieri (um 1550 – 1602) eine besondere Opernrarität der frühen Barockzeit gezeigt. Dieses sakrale Spiel zum Heiligen Jahr (Text von Agostino Manni) wurde im Februar 1600 in Rom im Oratorio della Vallicella, einem Saal der Bruderschaft des Heiligen Filippo Neri, uraufgeführt, wobei dem Komponisten ein Gesamtkunstwerk der besonderen Art vorschwebte – mit Solisten, Chören und einem farbigen Instrumentarium, die phantasievolle Bilder und faszinierende Klänge in den Saal zaubern sollten.

Der Inhalt des Werks in Kurzfassung: Der Mensch, der durch die Personifizierung von Körper (Corpo), Seele (Anima), Rat (Consiglio) und Verstand (Intelletto) dargestellt ist, wird durch die irdischen Vergnügungen (Piacere), die Welt (Mondo) und das weltliche Leben (Vita mondana) in Versuchung geführt. Die Boten des Himmels, der Schutzengel (Angelo custodo), die Seligen Geister (Anime beati) und die Engel (Angeli nel cielo), helfen ihm auf dem Weg zu Gott.

Diesen Inhalt erläutert Achim Freyer, der Regisseur der Oper, anschaulich in seinem Beitrag im Programmheft: „Cavalieris »Oper« mit ihren allegorischen Figuren, die sich aus dem menschlichen Kosmos herleiten, wie Körper, Seele, Intellekt, Umsicht, Einsicht, Lust, Welt usw., ist handlungsarm. Die Zeit gibt den Weg und ihr Maß unaufhaltbar vor und vergegenwärtigt die Vergänglichkeit. Wesentlich sind die Entscheidungen in einemmodellhaften Spiel, ein »Lebenstanz« um Himmel und Hölle. Der Körper, hinfällig, verführbar für die Lüste der Welt, für Schmerz empfänglich, bleibt latent mit den Drohungen der Hölle und den Versprechungen des Himmels im Spiel. Die Seele, deren Sehnsucht die Freiheit und die Unabhängigkeit vom Klischee der vielfältigen Lustangebote ist, strebt zum Himmel, zum größeren Geschenk der Schöpfung. Die Selbstverkörperung, das «Gestalt-werden-Lassen» aller dieser Gedankenfiguren ist Thema dieses Werkes und unserer Arbeit, weniger Oper, als geschrieben steht, ein Samenkorn für vielleicht Zukünftiges. Die Einfachheit der Erzählung und ihre Fragestellungen bestimmen Musik, Text, Spiel und Tanz; ein Kosmos fast kindlicher Unschuld, der uns wohltut und unser artifizielles Kompendium von Lebensinhalten hinterfragt.“

Dass dieses allegorische Werk von Achim Freyer, der auch für Bühnenbild, Kostüme und Lichtkonzeption verantwortlich zeichnete, in einem Ambiente angesiedelt wird, das stark an ein Zirkusmilieu erinnert, war abzusehen. Er platzierte den Chor und einen Teil der Musiker auf der linken und rechten Seite der Bühne, den Rest des Orchesters an der Rückwand, hinter einem Tüllvorhang versteckt, Nur der Dirigent durfte vor seinem Pult bleiben, während der Orchestergraben als Hölle diente, aus der Teufelsgestalten und ein paar Verdammte emporlugten. Auf der auf diese Weise vergrößerten Bühne, die wie ein Wartesaal anmutete, lagen neben Gepäcksstücken unter anderem Totengerippe, Masken und allerlei als „Teufelswerk“ apostrophierten Dinge herum, wie beispielsweise rote Damenschuhe, Glitzergewand etc. Fast alle Akteure traten in schwarzer Kleidung auf, waren in schwarze Mäntel gehüllt und trugen schwarze Hüte, nur die Darstellerin der Anima trug anfangs ein weißes Kleid, ehe auch sie in einen schwarzen Mantel gesteckt wurde. Bunt und mit Luftballons behängt war hingegen die Sängerin der Vita mondana, bis sie – ihrer Kleidung beraubt – als Tod auf der Bühne steht. Kreativ und zirkusreif waren die farbprächtigen Lichteffekte, die auch die Decke des Opernhauses mit einschlossen.

Aus dem exzellent besetzten Ensemble ragten einige Interpreten stimmlich besonders heraus. In erster Linie die Schweizer Mezzosopranistin Marie-Claude Chappuis als Anima, die mit einem engelsgleichen Gesang aufwartete, dass einem der Atem stockte. Ihr am nächsten kam der Tenor Mark Milhofer in den Rolle des Intelletto und des Piacere, dessen klangschöne Stimme ebenfalls aus höheren Sphären zu kommen schien. Mit großem Einsatz agierte der norwegische Bariton Johannes Weisser als Corpo, obwohl seine Beweglichkeit eingeschränkt schien, war doch sein Leib mit zahlreichen Pfeilen durchbohrt (welch glorioser Einfall der Regie, die Empfänglichkeit des Körpers für Schmerz auf diese Art darzustellen!).

Sehr eindrucksvoll sang und spielte die chilenisch-schwedische Mezzosopranistin Luciana Mancini ihre Rolle als Vita mondana, die als Verführerin auch schauspielerisch zu gefallen wusste. Zu nennen sind auch die Sopranistin Narine Yeghiyan, die Mezzosopranistin Elisabeth Fleming, der Countertenor Benno Schachtner, der Tenor Florian Hoffmann und der Bass Alin Anca, die als Himmelsstimmen und als Engel für „himmlischen“ Gesang sorgten.

Für die geschlossene Leistung des Ensembles sorgten noch der auch aus der Wiener Volksoper bekannte Bariton Gyula Orendt als Tempo, der Tenor Kyungho Kim als Primo compagno di Piacere und der Bassbariton Marcos Fink als Mondo. Eine besondere Rolle hatten die beiden Knabensolisten des Staats- und Domchores, Thomas Wutz und Raphael Zinser, inne. Sie führten mit ihren hohen Stimmen wunderbar in die einzelnen Teile des Werks ein und waren auch als Angeli custodi zu hören. Der stimmkräftige Staatsopernchor, einstudiert von Frank Markowitsch, war als Madrigalensemble und als Höllenchor im Einsatz.

Für die hohe musikalische Qualität der Aufführung waren neben dem großartigen Sängerensemble vor allem das Orchester, die Akademie für Alte Musik Berlin, und sein Dirigent René Jacobs verantwortlich, der seit vielen Jahren zu den „Großmeistern“ der Barockmusik zu zählen ist. Wie ein Magier zauberte er die feinen Melodien der farbigen Partitur in den Publikumsraum, der von einer andächtigen Stille erfüllt war, wie man sie in Opernhäusern nicht allzu oft erlebt. Bei den zarten Tönen in den letzten Minuten der Aufführung hätte man das Fallen einer Stecknadel hören können, so leise war es im Schillertheater.

Umso lauter dafür der Jubel des begeisterten Publikums danach. Heftiger Applaus, der kein Ende nehmen wollte und in den sich für die einzelnen Interpreten immer wieder emphatische Jubelrufe mischten. Böse Blicke und bissige Kommentare für jene Besucher, die nach etwa zehn Minuten das Haus verlassen wollten und dadurch einige Zuschauerinnen und Zuschauer zum Aufstehen nötigten.

Udo Pacolt, Wien – München

 

 

 

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