Berlin/ Philharmonie: “ Abbado bringt den „SOMMERNACHTSTRAUM”, 18.05.2013
So voll, denke ich, war die Philharmonie noch nie. Theoretisch ist das unmöglich, aber es sind gefühlte Tausende, die an diesem Abend mit Claudio Abbado und den Berliner Philharmonikern einen Sommernachtstraum erleben möchten.
Genauer gesagt geht es um die Bühnenmusik zu William Shakespeares gleichnamigen Stück. „Ein Sommernachtstraum“ op. 61 heißt sie genau so bei Felix Mendelssohn Bartholdy. Mit der schon 1826 entstandenen Ouvertüre (op. 21), komponiert von dem knapp 18-Jährigen, versetzen uns Mendelssohn und Abbado in eine geheimnisvolle Zauberwelt.
Pianissimo schwebend der Einsatz, in freundlichem E-Dur erklingen sanft die Bläser. Zirpen da nicht die Grillen, tanzen mit den Violinen dort nicht die Elfen? Rauer Schabernack fehlt auch nicht. Mendelssohn, mit Shakespeare aufgewachsen, kannte sich aus. Für Abbado gilt selbstverständlich das gleiche. Wie er manche Stellen abschattiert und pointiert, einzelne Bläserstimmen herausholt und auch mal spielerisch gegeneinander setzt, führt bei diesem doch recht bekannten Stück zu neuen Hörerlebnissen.
Erstaunlich ist jedoch die Tatsache, dass Mendelssohn diese Bühnenmusik, die die Themen der Ouvertüre aufnimmt und weiter verarbeitet, erst 1843 komponierte. Nämlich im Auftrag des Preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV (genannt der Romantiker auf dem Thron) für eine Aufführung von Shakespeares Sommernachttraum in Potsdam.
Wie allgemein üblich trifft Abbado eine Auswahl und bringt die Teile 1, 3, 5, 7, 9 und 13. Hübsch tänzerisch erklingt das Scherzo, die Nr. 1. – Im Intermezzo (Nr. 5) erfüllen die Bläser deutlich die Forderung nach „Allegro appassionato“. – In traumhaft schönem Andante becirct uns das Notturno, die Nr. 7, aber ganz ohne Versüßlichung.
Beim folgenden Hochzeitsmarsch lassen es Abbado und die Seinen beinahe knallen. Fast scheint, als würde der Maestro die Tatsache karikieren, dass dieses Stück bei allen möglichen und unmöglichen Anlässen als Erkennungsmelodie oder Untermalung herhalten muss.
Zweimal – im Lied „You spotted snakes with double tongue“ (die Nr. 3) und im Finale (Nr. 13) gesellen sich Frauenstimmen zu den Instrumentalisten und verleihen diesen Szenen einen speziellen Sound. Es sind Deborah York, Sopran, Stella Doufexis mit warmem Mezzo und die engelgleich singende Damen aus dem Chor des Bayerischen Rundfunks, einstudiert von Konstantia Gourzi. Durch sie gewinnt diese Szenenmusik eine weitere, zauberisch schwebende Dimension. Starker Beifall und Bravos belohnen alle Beteiligten.
Nach der Pause die „Symphonie fantastique” op. 14 von Hector Berlioz. Die aber ist wird „der Hammer“ und beweist im nachhinein, dass auch ein Musikgenie wie Mendelssohn irren konnte.
Als ihm Berlioz Teile seiner bereits in Rom preisgekrönten Kantate „Sardanapale“ vortrug, nannte er sie unumwunden „“miserabel“, lese ich im Programmheft. Auch bezeichnete er des Franzosen Instrumentierung als „so entsetzlich schmutzig und durcheinandergeschmiert, daß man sich die Finger waschen muß, wenn man mal eine Partitur von ihm in der Hand gehabt hat.“
Ob Berlioz’ Notenpapier befleckt war, entzieht sich meiner Kenntnis, doch aus heutiger Sicht möchte ich sagen, Mendelssohn hätte sich nicht die Finger, sondern die Ohren waschen sollen. Der 6 Jahre ältere Berlioz, dessen Symphonie 1830 entstand und 1831/32 revidiert wurde, ist von beiden der weitaus modernere. Der hat bereits die Tür zu einer neuen Musik aufgestoßen. Vielleicht eine Folge seines eher unsteten, von Langzeit-Amouren, Revolutionseindrücken und Drogensucht geprägten Lebens.
Wie nun Abbado und die Berliner Philharmoniker diese Symphonie und damit auch Berlioz’ Vita aufblättern und aufschlüsseln, wird zum Ereignis. Im 1. Satz gibt sich der Komponist Träumen und Leidenschaften hin. Der folgende, walzerselige Ball wirkt beim ersten Hinhören noch harmlos munter, zeigt aber durch gewisse Übertreibungen bereits ironische Züge, die Abbado herausarbeitet.
Die ländlichen Szenen des dritten Satzes nehmen deutlich Bezug auf Beethovens Pastorale, zumal die Bläser sie äußerst stimmungsvoll und wunderbar klar intonieren. Doch dieses friedvolle Landleben hat bei Berlioz schon seine Unschuld verloren. Denn der Drogenrausch lauert und mit ihm das schlechte Gewissen. Folglich hat Berlioz den 4. Satz „Gang zum Richtplatz“ genannt. Bedrohlich trumpfen die tiefen Streicher auf.
All’ das kulminiert im 5. Satz, wenn sich das fürchterliche Dies Irae (großartig die beiden Tuben) und der Sabbat-Tanz schließlich zu einem teuflischen Miteinander vereinen. Die Rhythmusverschiebung mit dem „Nachklappen“ der Bässe, die Dissonanzen und fugativen Einsprengsel sind vielleicht einem berauschten Hirn entsprungen, doch sie weisen den Weg in die Erschütterungen der Moderne.
Abbado und die Seinen bringen das alles mit vollem Einsatz und spektakulärem Können, so dass ich einzelne nicht herausgreifen möchte. Es ist eine Gemeinschaftsleistung unter Abbados Händen. Wie Hochleistungssportler, die sie ja sind (!), haben sie „alles gegeben“ und Berlioz „Symphonie fantastique”, die Quintessenz seines Künstler-Lebens, als das präsentiert, was sie ist: ein Meisterwerk.
Zuletzt „standing ovations“, tosender, nicht enden wollender Jubel, dazu begeistertes Kreischen von jungen Leuten. Ein Ausnahmeabend, ein Sommernachtstraum der anderen Art. Der Dank gilt ihnen allen.
Ursula Wiegand
Nächste Termine am heutigen 19. Mai und am 21. Mai. Die Vorstellungen sind ausverkauft. Heute aber auch live-Übertragung in Cineplex-Kinos!