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BERLIN/DeutschesTheater/ Kammerspiele: WASTWATER

12.05.2013 | KRITIKEN, Theater

Berlin/ Deutsches Theater, Kammerspiele: „WASTWATER“, 11.05.2013


Foto: Ursula Wiegand

Ulrich Matthes, Starschauspieler am Deutschen Theater, hier erstmals als Regisseur – das macht neugierig. In den Kammerspielen des Deutschen Theaters bringt er „Wastwater“ von Simon Stephens, der mit seinen Grübel-Stücken Furore macht. Dieses hier hat „Theater heute“ gar als bestes ausländisches Stück 2011 gekürt.

Womöglich trifft der rund 40-jährige Autor damit den Nerv der Zeit und den der Intellektuellen in Großbritannien und im deutschen Werther-Land. Stephens’ Figuren sind hier sämtlich Neurotiker mit diffusen Schuldgefühlen und Sehnsüchten. Angeblich suchen sie nach Liebe, doch sie bleiben blutleere Typen aus Stephens’ Schreiblabor, bleiben Redende, die ihr Innenleben plötzlich nach außen kehren, so als lägen sie auf der Couch.

Alle haben offenbar Leichen im (seelischen) Keller ähnlich dem angeblich leichenreichen dunklen See namens Wastwater im britischen Lake District. Realistisch ist nur der ständige Griff nach dem Handy, den einige hier praktizieren, diese heutige Art der zumeist unverbindlich bleibenden Kontaktsuche.

An echten Kontakten hapert es auch bei den drei sehr unterschiedlichen Paaren, die sich an einem 5. Juni abends begegnen oder verabredet haben. Durch Vorfälle in der Vergangenheit sind sie ohne ihr Wissen miteinander verknüpft, aber diese zusätzliche, arg artifizielle Verknotung sei hier nicht weiter erörtert.

Die Treffen ereignen sich übrigens nicht am dunklen Wastwater, sondern nahe dem Flughafen Heathrow. Flackerndes Neonlicht erhellt ab und zu die düsteren Gänge. Das schmerzt dann die Augen, der Flugzeuglärm strapaziert die Ohren. (Bühne: Florian Lösche). Mark, der Maler, der später auftritt, findet Flugplätze schön. Wohl als Orte, um der banalen Realität zu enteilen.

Von Heathrow Richtung Kanada wird bald Harry (Thorsten Hierse) abheben, ein junger Mann, der sich noch immer heimlich in die Hose pinkelt (was nur zur Sprache kommt). Lediglich wenige Stunden bleiben ihm, um sich von seiner Ziehmutter Frieda zu verabschieden. Tapfer, ja nassforsch unterdrückt sie ihren Schmerz, eine armselige, verhärmte Person in Gummistiefeln aus der englischen Unterschicht.

Er soll doch noch ein Jahr hier bleiben, wirft sie ins Gespräch – eher ist es ein Monolog -, wohl wissend, dass dieser Wunsch unsinnig ist und sie das einzige ihrer Ziehkinder, das sie geliebt hat, nie wiedersehen wird. Mütterlich fragt sie, ob er auch alles dabei hat, steckt ihm sogar noch einige sicherlich hart ersparte Geldscheine zu.

Barbara Schnitzler spielt diese vom Leben Gezeichnete mit anrührender Herbheit. Und er, ständig aufs Handy guckend und ansonsten von der drohenden Übervölkerung der Erde schwadronierend, wird sie sicherlich nie anrufen.

Sian (Elisabeth Müller) und Jonathan (Bernd Stempel) bilden das nächste Paar. Sie, tough und im leuchtend gelben Kleid (Kostüme: Pauline Hüners), hat dem Ex-Lehrer, der mit seiner Frau kein Kind adoptieren durfte, ein Mädchen von den Philippinen beschafft.

Bevor sie dafür kassiert und ihm das Girl übergibt, unterzieht sie ihn, einen Waschlappen von Mann, einem hochnotpeinlichen Verhör. Seine Daten hat sie bereits auf ihrem Handy, stochert aber wie eine Kriminalpolizistin in seiner farblosen Vergangenheit herum.

„Ich habe nichts gemacht,“ sagt er, eigentlich die Quintessenz seines Lebens offenbarend. Beinahe wollüstig traktiert sie ihn, doch er lässt sich das alles gefallen. Warum Leute unbedingt ein Kind haben wollen, ist ihr unverständlich. Als sie endlich die schüchterne Kleine herbeibringt, sinkt er, Kontakt suchend vor dem Kind auf die Knie.

Eine echte Polizistin ist jedoch die aparte Lisa (Susanne Wolf), allerdings eine mit Porno-Karriere, wie sie ihrem Lover Mark (Moritz Grove) ungefragt gesteht. Eigentlich wollten sich beide nur etwas netten, außerehelichen Sex gönnen. Sie knutschen, doch dann redet sich Lisa ihre Vergangenheit von der Seele.

Der wesentlich jüngere Mark ist verwirrt und lehnt es ab, sie beim Sex zu schlagen und zu würgen. Sie würde beizeiten das Wort „Wasser“ zum Aufhören rufen, beruhigt sie ihn. „Wastwater“ ist also nahe, und er will nichts wie weg.

Doch Mark bleibt und hört sich die Lustschreie zusammen mir ihr auf dem Handy an. Dreimal streichelt er nun ihr Gesicht und verpasst ihr danach gleich eine schallende Ohrfeige. „Glaubst du an gute Menschen und an schlechte Menschen?“ fragt sie ihn. Nach dieser Art von Sex fühlen sich beide offensichtlich gut und zu den Guten gehörig.

Wie fühlen sich die Zuschauer? Die akzeptieren die zurückhaltende Regie von Ulrich Matthes, und die entspricht durchaus dem redseligen und handlungsarmen Stück. Auch verzichtet Matthes darauf, diesen Papiertypen Lebendigkeit zu verordnen und verlässt sich auf die Sprech- und Schauspielkunst seiner Kolleginnen und Kollegen. Und die lohnen den Abend.

Andererseits hellt die psychologische Schatzsuche des hoch gelobten Jung-Autors den dunklen „Wastwater“ nicht annähernd auf und wird für mich dennoch zum „wasting of time“. Das Publikum sieht’s wohl ähnlich. Die Vorstellung ist ausverkauft, doch der Beifall fällt sehr knapp aus.

Ursula Wiegand

 

 

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