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BERLIN/Deutsches Theater: JOSEPH UND SEINE BRÜDER nach Thomas Mann. Premiere

07.04.2012 | KRITIKEN, Theater

Berlin, Deutsches Theater: Premiere „JOSEPH und seine BRÜDER“, 05.04.2012


Foto: Arno Declair

Aus Romanen Theaterstücke zu machen, ist eine Spezialität des John von Düffel. Nach „Herz der Finsternis“ von Joseph Conrad hat er fürs Deutsche Theater Berlin nun „Joseph und seine Brüder“ von Thomas Mann für die Bühne zurechtgestutzt.

Fürs eilige Berlin wurde Manns vierbändiges Werk, mit dem sich der Dichter von 1926-42 abplagte, auf  3 ½ Stunden eingedampft. Da bleiben nur die Personen und einige Geschehnisse übrig. Dreh- und Angelpunkt ist jedoch der väterliche Segen.

Dieser alttestamentalische Segen ist ein eigen Ding. Der funktioniert wie eine Zauberformel selbst dann, wenn er erschlichen wurde. Schon als Jugendliche war ich darüber sehr irritiert. Denn Jaakob (hier so geschrieben) gab sich bekanntlich – mit einem Ziegenfell über den Armen – für den behaarten älteren Bruder Esau aus.

Daher hat der blinde Vater (Isaak) nach dem Tastbefund den falschen Sohn gesegnet. Durch diese Täuschung ist Jaakob, der Raffinierte, zum Stammvater der 12 Stämme Israels geworden. Eine eigentlich unverständliche mythische Moral.

Diese Geschichte hat das DT der jungen Alize Zandwijk, Leiterin des RO Theaters in Rotterdam, anvertraut. Zum ersten Mal inszeniert sie in Berlin, eine Feuerprobe. Auch Hausregisseur Andreas Kriegenburg und einige Schauspieler sind unter den interessierten Zuschauern.

Das Stück ist in drei Teile gegliedert: „Die Geschichten Jaakobs & Der junge Joseph“, „Joseph in Ägypten“ und „Joseph, der Ernährer“.  Frau Zandwijk beginnt recht geschickt und gibt dem Publikum gleich Nachhilfeunterricht.

Denn Reuben, Jaakobs ältester Sohn, versucht, die Namen der Vorfahren auf ein weißes Tuch zu notieren, das locker an einem Draht quer über die Bühne (Thomas Rupert) hängt. Darauf zu schreiben, ist etwas schwierig und verursacht die ersten Lacher. Familiengeschichten sind wohl auch ein eigen Ding.

Den Reuben spielt Peter Moltzen, mutiert aber im 3. Teil auch mal zum Pharao. Solche Zuweisung verschiedener Rollen an die Darsteller hat, so scheint es, Methode, soll womöglich die biblische Familiensaga allgemeingültig machen. Schaut, so kann es gehen: heute die/der, morgen die/der.

So gibt der dickliche Christoph Franken mal den Juda, einen von Josephs Brüdern, aber auch Jaakobs Oheim Laban, der diesem nach 7 Jahren Knechtsarbeit in dunkler Nacht trickreich (wieder ein Betrug!) die älteste Tochter Lea (Judith Hofmann) zuführt und nicht die geliebte Rahel, verkörpert von Natalie Seelig.

Diese wiederum ist alsbald Benjamin, Jaakobs jüngster Sohn, und spielt zwischendurch – am Hofe des Pharao auf den Knien rutschend und wirres Zeug quasselnd – gekonnt den Zwerg Dudu. Andererseits wird aus der gebärfreudigen Lea (Judith Hofmann) im Ägyptenteil die nach Joseph verrückte Mut, die Frau des Pharao-Vertrauten Potiphar.

Nur wenige bleiben die gleichen, so Ingo Hülsmann als Schimeon und Sven Fricke als Levi. Noch deutlicher wird das bei den beiden Hauptpersonen: Jörg Pose bleibt Jaakob, obwohl er später wie ein Verwalter im Anzug erscheint (Kostüme Johanna Pfau) und oft eine gewisse Ironie ins Spiel bringt. Der junge Thorsten Hierse im weißen Gewand ist und bleibt Joseph und hat dankenswerterweise nie ein Handy in der Hand.

Dieser Joseph, der spät geborene Sohn der geliebten Rahel, ist zwar Vaters Liebling, doch den gewünschten Segen mag er ihm noch nicht gewähren. Die Brüder sind eh auf ihn eifersüchtig, denn Joseph ist klüger als sie und besitzt auch einen gewissen Hochmut.

Als er ihnen seinen Traum von den sich neigenden Ähren erzählt und meint, so würden sie sich einst vor ihm neigen, rasten sie aus. Sie prügeln auf ihn ein, werfen den vermeintlich Toten in eine Grube, und Juda pinkelt sogar noch auf ihn. Das alles spielt sich jedoch – ein guter Regieeinfall – wie ein Schattenspiel hinter dem weißen Flattervorhang ab. In späteren Szenen sind diese Vorhänge rot oder schwarz.

Bekanntlich wird Joseph durch einen ägyptischen Händler gerettet und zieht mit dem nun als Verkäufer von Sonnenbrillen und bunten Luftballons durch ein zum Touristenmekka gewandeltes Ägypten. Diese Szene wirkt etwas übertrieben, lockert aber das Geschehen auf.  Nur nicht alles so ernst nehmen, heißt wohl das den Mythos aussparende Motto.

Joseph macht im fremden Land wegen seiner Klugheit bald Karriere, hält sich aber trotz der überdeutlichen Avancen von Mut, seines Gönners Gattin, makellos. Ein Frauenliebling, der dem Sex entsagt.

Denn dieser junge Mann fühlt sich nach wie vor als etwas Besonderes, seine Herkunft lässt ihn nicht los. Auch dann nicht, als er nach einem Gefängnisaufenthalt vom Pharao zum Wirtschaftsminister befördert wird. Denn Joseph hatte dessen Traum von den sieben fetten Kühen und sieben mageren Kühen richtig auf sieben fette und sieben magere Jahre gedeutet. Daher lässt er die Lager aufstocken, um das gehortete Getreide später mit sattem Gewinn zu verkaufen.

Im Hinterkopf hat er dabei auch den Vater und seine Brüder. Denen hat er schon lange verziehen, ihnen will er sich beweisen und sie letztendlich für sich gewinnen. Verarmt kommen sie nach Ägypten, um Korn zu kaufen. Erst nach gewisser Zeit gibt er sich als ihr Bruder zu erkennen und hilft ihnen großzügig aus ihrer Not.

Spontane Zuneigung erntet Joseph dafür aber nicht, auch nicht vom heiß geliebten Vater. Eine Umarmung nach den langen Jahren der Trennung findet nicht statt. Überdies verwehrt Jaakob ihm weiterhin den heiß erhofften Segen.

Den erteilt er vielmehr Juda, der dem Vater die einstige Untat bekannt hat. Seine Reue ist Jaakob Leistung genug. Eine Einschätzung, die im Neuen Testament in Jesu Worten wiederkehrt: „Im Himmel ist mehr Freude über einen einzigen Sünder, der Buße tut, als über tausend Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.“ Anständigkeit zahlt sich so gesehen nicht aus.

Geht es aber wirklich nur um den Segen, den sich niemand allein durch gute Taten verdienen kann?  Der Segen ist eine freiwillige Gabe, bei Jaakob wohl auch eine klug kalkulierte. Er zieht Juda, den aktiven Nachkommenerzeuger dem enthaltsamen Joseph vor. Der ist auch schon durch seine hohe Stellung am Hofe gesegnet.

„Du hast Dich abgesondert,“ lautet des Vaters unerwarteter Vorwurf an den wieder gefundenen Sohn. Das hat Joseph tatsächlich getan, aber keinesfalls freiwillig. Jaakob hat also die Zukunft des Volkes im Sinn und unterdrückt seine Vaterliebe.

Insgesamt, so scheint es mir, geht es in diesem Stück eigentlich um die Liebe. Des Vaters Segensverweigerung ist nach biblischer Lesart gleichzeitig ein Liebesentzug. Danach wirken beide Männer gleichermaßen steif und unglücklich.

Verhärtet geht Jaakob von dannen, ohne den Sohn auch nur zu berühren. Hilflos, mit hängenden Armen, steht dieser da, gelähmt von dieser Wendung der Dinge. Schicksalsbedingt ist dieser Joseph über seine Sippe hinausgewachsen, er gehört nicht mehr dazu, so gerne er das möchte.

Er will seinen Vater dem Pharao vorstellen, denkt sich Joseph, und ihm die Augen dafür öffnen, dass auch andere Gesellschaftssysteme und religiöse Orientierungen ihren Wert haben. Am Gelingen dieses Versuchs sind Zweifel angebracht. Bis heute. –  Zuletzt kräftiger Beifall für die großartigen Darsteller und auch fürs Regieteam.  

Ursula Wiegand

Weitere Termine: 12. und 21. April sowie am 05., 10., 16. und 20. Mai 2012

 

 

 

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